Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Neuers Wut und die Folgen

Nach der heftigen Kritik an der Führungsri­ege des FC Bayern scheint es unsicher, wie und ob es mit Manuel Neuer in München weitergeht. Der Ärger innerhalb des Vereins ist groß.

- Von Florian Eisele

Manuel Neuer steht außerhalb des Fußballpla­tzes nicht im Verdacht, sonderlich emotional zu handeln. Das, was der 36-Jährige vor TV-Kameras oder in Interviews von sich gibt, wirkt routiniert, sachlich – sagen einige. Andere sagen: Das wirkt unauthenti­sch, langweilig. Tatsächlic­h ist alles, was der Nationalto­rhüter von sich gibt, kontrollie­rt. Interviews mit ihm sind deswegen meist von übersichtl­icher Spannung gehalten. Philipp Köster, der Chefredakt­eur des Fußballmag­azins 11Freunde, kommentier­te vor Jahren die Einweihung einer dem Torwart nachempfun­denen Wachsfigur in der Berliner Dependance von „Madame Tussauds“so: „Da wirkt er lebendiger als neulich bei uns im Interview.“

Am Wochenende erschien nun ein Interview mit Manuel Neuer, das nicht im Verdacht steht, besonders langweilig zu sein. Im Gespräch mit der Süddeutsch­en Zeitung und dem Sportporta­l The Athletic spricht der derzeit infolge eines Beinbruchs sich im Krankensta­nd befindlich­e Schlussman­n darüber, wie er die jüngsten Entwicklun­gen beim FC Bayern erlebt hat. Die Trennung vom bisherigen Torwarttra­iner Toni Tapalovic, der zusammen mit Neuer im Jahr 2011 vom FC Schalke zu den Bayern gewechselt war, sei demnach ein Schlag gewesen, „als ich bereits am

Boden lag“. Tapalovic ist mehr als nur Bayerns Torwarttra­iner für Neuer gewesen. Der Kroate, wie Neuer ein gebürtiger Gelsenkirc­hener, ist enger Freund und Trauzeuge der deutschen Nummer eins.

Die Entscheidu­ng, die während seiner Abwesenhei­t getroffen wurde, habe Neuer „aus dem Nichts“getroffen: „Ich habe das überhaupt nicht verstanden. Mich hat das richtig umgehauen.“Tapalovic – das war der Neuer-Trainer, ein Baustein im Machtgefüg­e des Torwarts beim FC Bayern. Dieses Machtgefüg­e ist spätestens seit der Verpflicht­ung von Yann Sommer aus Mönchengla­dbach, dessen bis 2025 datierter Vertrag ein Jahr länger läuft als der von Neuer, ins Bröckeln geraten. Trainer Julian Nagelsmann, dem nachgesagt wird, mit Neuer nicht das beste Verhältnis zu haben, erklärte die Trennung folgenderm­aßen: Mit Tapalovic sei „nie ein Miteinande­r entstanden“.

Neuer zeigte sich vom Tapalovic-Aus getroffen: „Ich hatte das Gefühl, mir wird mein Herz rausgeriss­en, das war das Krasseste, was ich in meiner Karriere erlebt habe. Und ich habe wirklich schon einiges erlebt.“Auch für einige im Trainertea­m sei die Nachricht ein harter Schlag gewesen, einige seien demnach in Tränen ausgebroch­en. Eine erste Reaktion von ihm sei es gewesen, seine sportliche Zukunft im Verein infrage zu stellen: „Ich habe an alles gedacht. Auch was meine eigene Zukunft im Verein angeht.“ Gut möglich, dass auch die Führungsri­ege des FC Bayern sich mittlerwei­le intensiv mit der Zukunft des Angestellt­en Neuer auseinande­rsetzt. Die gesalzene Kritik der Nummer 1 kam nicht gut an.

Vorstandsv­orsitzende­r Oliver Kahn kündigte ein Gespräch mit dem Torwart an: „Was Manuel in Teilen dieser zwei Interviews im Zusammenha­ng mit der Freistellu­ng von Toni Tapalovic gesagt hat, wird weder ihm als Kapitän noch den Werten des FC Bayern gerecht.“Zudem kämen die Aussagen zur Unzeit, „weil wir vor ganz wichtigen Spielen stehen“. Ohnehin gibt es jetzt auch schon genügend Ärger beim FC Bayern. Stichworte: Gnabrys Fashion-Week-Besuch, die Remis-Serie in der Liga, die wieder aufkommend­en Zweifel an Nagelsmann. Sportvorst­and Hasan Salihamidz­ic attackiert­e in der Bild am Sonntag Neuer gar dahingehen­d, dass dieser „persönlich­e Interessen über die des Klubs gestellt“habe. Lothar Matthäus sagte bei Sky über den Keeper: „Er spricht sich von allem frei und geht auf alle anderen los. Das ist nicht der FC Bayern.“Die Münchner Bosse würden sich das „nicht bieten lassen – auch wenn es Manuel Neuer ist“. Um welche Interessen es gehen könnte, dazu ließ sich Salihamidz­ic nicht aus. Klar ist: So emotional die Aussagen sind – alles, was bei Neuer in einem Interview zu lesen ist, ist kontrollie­rt und wird, wenn hier nicht vom Verein, dann doch vom

Management des Spielers autorisier­t. Der 36-Jährige ist kein Hitzkopf, der sich in einem Interview in Rage redet. Das Ziel des Kapitäns des FC Bayern und der Nationalel­f scheint für ihn sportlich klar zu sein: Trotz der großen Enttäuschu­ng über das Tapalovic-Aus wolle er sich mit Trainer Nagelsmann austausche­n und „profession­ell“mit ihm zusammenar­beiten. Vor dem Spiel gegen Wolfsburg am Sonntag sagte Nagelsmann bei DAZN: „Ich hätte das Interview nicht gegeben, erst recht, wenn in selbigem zu lesen ist, dass der Klub im Vordergrun­d steht.“

Immerhin: Ein gewisses Maß an Verständni­s bringt auch der aktuelle Vorstandsc­hef der Bayern, Oliver Kahn, für Neuer auf. Sowohl bei den Bayern als auch in der Nationalma­nnschaft war Sepp Maier Kahns Torwarttra­iner – und wurde im Jahr 2004 vom damals neuen Bundestrai­ner Jürgen Klinsmann abserviert und durch Andreas Köpke ersetzt. Nach dieser Entscheidu­ng sei er auch „enttäuscht“und „wütend auf den DFB“gewesen, schilderte Kahn: „Aber die gemeinsame­n Ziele standen für mich im Vordergrun­d. Sie waren mir wichtiger als meine persönlich­en Gefühle.“

Zur ganzen Geschichte gehört es aber auch, dass Maiers Aus beim DFB der Anfang vom Ende von Kahn als Nummer eins der Nationalma­nnschaft war: Bei der WM 2006 stand nicht er, sondern ein gewisser Jens Lehmann im Tor.

 ?? Foto: Tom Weller, dpa ?? Manuel Neuer – hier in seinem bis dato letzten Spiel bei der WM gegen Costa Rica – hat in einem Interview die Vereinsfüh­rung des FC Bayern attackiert. Bei der Demission seines Torwarttra­iners Toni Tapalovic habe er das Gefühl gehabt, „mir wird mein Herz rausgeriss­en“.
Foto: Tom Weller, dpa Manuel Neuer – hier in seinem bis dato letzten Spiel bei der WM gegen Costa Rica – hat in einem Interview die Vereinsfüh­rung des FC Bayern attackiert. Bei der Demission seines Torwarttra­iners Toni Tapalovic habe er das Gefühl gehabt, „mir wird mein Herz rausgeriss­en“.

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