Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Ich will einfach mein Leben zurück“
Seit mehreren Monaten kommen Betroffene in Wertingen zusammen, um sich über ihre Long-Covid-Erkrankung auszutauschen. Für manche ist es der einzige Ort, an dem sie Verständnis finden.
Gut vier Jahre ist es her, dass das Corona-Virus zum ersten Mal auftauchte. Gut zwei Jahre lang hielt es die Bundesrepublik in Atem. Aerosole, AHA+L-Regeln, FFP2-Maske, mRNA-Impfstoff waren Vokabeln, die die Deutschen innerhalb kürzester Zeit draufhatten. Für viele war der Spuk dann aber irgendwann vorbei. Das Virus grassiert zwar zur Erkältungssaison immer noch, doch für die meisten Menschen hat es seinen Schrecken verloren. Das macht die Lage von LongCovid-Patienten nicht besser. Seit ihrer Erkrankung kämpfen sie, dass Mitmenschen, Behörden und Ärzte sie ernst nehmen. Und ihnen helfen. Doch oft fühlen sich die Betroffenen alleingelassen. Um sich zumindest gegenseitig zu unterstützen, hat Elisabeth Knöferl in Wertingen eine Selbsthilfegruppe gegründet. Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist es eine Erleichterung, endlich ernst genommen zu werden.
Im Mehrgenerationenhaus in Wertingen sitzen sie um zusammengeschobene Tische herum. Sie sind schon voll im Thema. Es geht um Briefe von der Berufsgenossenschaft, um eine nicht enden wollende Folge von Arztterminen. Von Diagnosen, Anträgen, Ablehnungsbescheiden.
Die Teilnehmer der Gruppe wollen hier nur mit ihrem Vornamen vorkommen. Denn, wer Long-Covid hat, der wird von manchen belächelt. Oder erhalte wenig Verständnis. „Mach doch Sport“, habe ihr Bruder ihr geraten, berichtet Anja. Ihr Bruder sei topfit, laufe Marathon. Er könne nicht nachvollziehen, wie sie sich fühle. Wenn man aufstehe und bereits alle Muskeln schmerzten. „Als wenn man am ganzen Körper Muskelkater hat“, sagt Anja. Die anderen nicken, während sie ihre Erfahrungen schildert. Belastend dabei sei auch, dass sich die Symptome immer wieder änderten. Neben den Muskelschmerzen habe sie immer wieder Hitzewallungen, Blackouts, Sehstörungen. „Es wird ständig anders, aber nicht besser“, beschreibt sie die Krankheit. Seit 2022 ist die ehemalige Qualitätsprüferin berufsunfähig.
Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die unter dem Schirm des Bundesgesundheitsministeriums steht, ist Long-Covid eine Krankheit, die mit verschiedenen Beschwerden einhergeht. Diese treten nach einer
Zeit neu auf oder enden nicht nach der Infektion. Viele Patienten berichteten von einem Fatigue-Syndrom, also einer chronischen Erschöpfung. Hinzu kommen Kurzatmigkeit, Muskelschmerzen und kognitive Einschränkungen.
Auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Selbsthilfegruppe in Wertingen erzählen von solchen Symptomen. Beim Arzt heiße es dann oft, man habe doch gute Werte, sagt Lothar. Er war früher als Maschinenführer in einem Industrieunternehmen im Landkreis tätig. Nach seiner Infektion ging das nicht mehr. Er kämpfe immer wieder darum, dass seine Beschwerden ernst genommen würden. „Oft heißt es dann aber, das wäre vorher schon gewesen oder es wäre das Alter.“In der Selbsthilfegruppe sitzen Menschen jeden Alters.
Manche standen am Ende ihrer Berufstätigkeit, andere am Anfang oder mittendrin. Die Tatsache, dass sie nicht mehr arbeiten können, führt, neben dem Kampf gegen die Krankheit, zu einem weiteren Konflikt: Immer wieder flatterten Briefe herein. Von Berufsgenossenschaft, Arbeitsamt, Krankenkasse, Rentenversicherung, berichten die Teilnehmer. Immer wieder müsse man Telefonate führen, Menschen in den Ämtern
finden, die zuständig seien, um Rehaplätze kämpfen. In ihren Schilderungen wirkt es wie der Weg vom Pontius zum Pilatus. „Ich soll nachweisen, dass ich mich am Arbeitsplatz angesteckt habe“, sagt Anja, die um eine Anerkennung durch die Berufsgenossenschaft kämpft. „Wie soll ich das nach drei Jahren tun? Ich saß in einem Großraumbüro.“Bei Claudia, die im Krankenhaus gearbeitet hat, ist Post-Covid anerkannt. Damit sei es aber meist nicht vorbei, berichtet sie. Der Kampf gehe weiter. Mit dem Arbeitsamt und mit der Rentenversicherung.
„Die Krankenkasse will dich loswerden, die Rentenversicherung will dich loswerden, und der VdK sagt nur, dass man abwarten soll“, sagt Peter. Er hat vor seiner Erkrankung eine Krankenhausküche geleitet. Einkauf, Personalplanung, alles habe er gemanagt. Müsse er nun etwa Maultaschen zubereiten, wisse er nicht, wo er anfangen soll. Mit dem Kampf mit den Behörden käme auch die Angst vor dem sozialen Abstieg.
Viele in der Gruppe berichten von Geldsorgen. Solange nichts anerkannt ist, fließt oft auch kein Geld. Es scheint, als würden die Betroffenen von Long-Covid in kein Raster passen. Und wo kein Raster ist, da ist oft auch keine Anerkennung seitens der Behörden.
Was macht ihnen noch Hoffnung? „Hoffnung ist da, aber für uns heißt es, mit der Situation umzugehen“, sagt Peter. Bei anderen Krankheiten könne man ungefähr sagen, wie lange es dauert, bis man wieder gesund sei. Das ist bei LongCovid jedoch anders. „Mit den Schmerzen kann man sich arrangieren“, sagt Anja. „Aber womit man sich nur schwer abfinden kann, ist, dass man nichts mehr machen kann, was man früher gern gemacht hat.“Motorradfahren, Salsa-Tanzen, Freunde treffen. Ja, nicht mal mehr ein Buch lesen könne sie. Claudia nickt: „Ich will einfach mein Leben zurück.“
Long-CovidPatienten passen in kein Raster.
Info Die Long/Post-Covid-Selbsthilfegruppe trifft sich an jedem ersten Donnerstag im Monat um 19 Uhr im Mehrgenerationenhaus in Wertingen, Fritz-Sauter-Straße 10. Mehr Informationen gibt es unter austausch-lopoco@t-online.de.