Augsburger Allgemeine (Land Nord)

In Nahost droht ein Flächenbra­nd

Der Iran greift zum ersten Mal Israel direkt an. Hunderte von Drohnen und Raketen feuert das Mullah-Regime ab, die meisten werden mithilfe von Verbündete­n abgefangen. Doch wie wird Israel auf diese Eskalation reagieren?

- Von Christian Grimm und Holger Sabinsky-Wolf Kommentar, Leitartike­l, Eskalation in Nahost

Nach einem massiven Angriff des Iran auf Israel steht der Nahe Osten am Rande eines großen Krieges. Das Mullah-Regime in Teheran ließ in der Nacht zum Sonntag mehrere Hundert KamikazeDr­ohnen, Raketen und Marschflug­körper auf Israel abfeuern. Die meisten davon wurden von der israelisch­en Luftabwehr abgeschoss­en. Die Vereinigte­n Staaten, Großbritan­nien, Frankreich und Jordanien haben offenbar dabei geholfen, Flugkörper abzufangen. Die Schäden in Israel halten sich daher in Grenzen. Ein zehnjährig­es Mädchen wurde von herabstürz­enden Schrapnell­s verletzt.

Dennoch stellt der erste direkte Angriff des Iran auf den Erzfeind Israel eine gewaltige Eskalation dar. Die bekannte Nahostexpe­rtin Maha Yahya bezeichnet­e die Attacke als Wendepunkt in dem schon seit Langem währenden Konflikt der beiden Länder. „Wir stehen offen gesagt am Rande eines gefährlich­en Abgrunds“, sagte die Direktorin der US-Denkfabrik Carnegie Middle East Center dem Sender CNN. „Wir befinden uns nicht länger in einem Schatten- oder Stellvertr­eterkrieg zwischen diesen beiden Ländern.“

Wie wird Israel auf den Angriff reagieren? Das sogenannte Kriegskabi­nett kam am Sonntag zusammen, um darüber zu beraten, wie die Reaktion auf die nächtliche­n Luftangrif­fe ausfallen soll. Außenminis­ter Israel Katz sagte in einem Interview des Armeesende­rs: „Wir haben gesagt: Wenn der Iran Israel angreift, werden wir im Iran angreifen. Und dieses Bekenntnis ist immer noch gültig.“

Politiker aus aller Welt bemühten sich am Sonntag, die Lage zu entschärfe­n. US-Präsident Joe Biden telefonier­te noch in der Nacht mit Netanjahu. Das Weiße Haus teilte anschließe­nd mit, Biden habe den Angriff „auf das Schärfste“verurteilt und das „eiserne Bekenntnis“der USA zu Israels Sicherheit bekräftigt. Der Sender CNN berichtete jedoch unter Berufung auf einen ranghohen Regierungs­vertreter, Biden habe Netanjahu klargemach­t, die USA würden sich nicht an „offensiven Operatione­n gegen den Iran beteiligen“.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) verurteilt­e die Angriffe auf Israel, von denen er im Flugzeug nach China erfahren hatte, ebenfalls „mit aller Schärfe“, warnte aber vor einer

Gewaltspir­ale: „Man darf auf diesem Weg nicht weitermach­en“, sagte Scholz am Sonntag im chinesisch­en Chongqing. „Wir werden alles dafür tun, dass es nicht zu einer weiteren Eskalation kommt.“Er betonte erneut die deutsche Solidaritä­t mit Israel, das seit dem Terrorangr­iff der Hamas vom 7. Oktober jedes Recht habe, sich zu verteidige­n. Über weitere Reaktionen werde sich Deutschlan­d eng mit der G7-Gruppe führender westlicher Industries­taaten

abstimmen.

Auch Außenminis­terin Annalena Baerbock warnte vor einer weiteren Verschärfu­ng der Lage. „Ich rufe alle Akteure in der Region auf, besonnen zu handeln´“, sagte die Grünen-Politikeri­n und mahnte: „Die Millionen Frauen, Männer und Kinder in Israel, in Iran und in der ganzen Region, die gestern Nacht vor Angst nicht schlafen konnten, sie alle wollen diese Eskalation nicht.“Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) versprach verschärft­e Schutzmaßn­ahmen für jüdische und israelisch­e Einrichtun­gen in Deutschlan­d. Der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) forderte eine „komplett andere Iranpoliti­k“von Deutschlan­d und der EU. Es sei jetzt zwingend notwendig, darüber zu diskutiere­n, wie dem Iran Einhalt geboten werden könne. Dies gehe nur mit einer völlig anderen Wirtschaft­sund Handelspol­itik – „und die muss auf Sanktionen ausgelegt sein“, so Söder.

Die Führung in Teheran berief sich mit dem Angriff auf Vergeltung und Verbündete­n

Bundeskanz­ler Scholz warnt vor einer Gewaltspir­ale.

für eine mutmaßlich israelisch­e Attacke am 1. April auf ein iranisches Botschafts­gebäude in Syriens Hauptstadt Damaskus: Zwei Brigadegen­eräle der Revolution­sgarden waren getötet worden. Der Schlag gegen Israel hätte nach Darstellun­g der iranischen Führung deutlich heftiger ausfallen können. „Wir haben eine Operation begrenzt in Ausmaß und Größe gegen das zionistisc­he Regime ausgeführt“, sagte der Kommandeur der Revolution­sgarden, Hussein Salami, laut der Nachrichte­nagentur Tasnim. Irans UN-Mission erklärte den Angriff für beendet und warnte vor Gegenschlä­gen – wohl wissend um das große Eskalation­spotenzial.

Nach israelisch­en Angaben hat der Iran mehr als 300 Geschosse abgefeuert, darunter 120 ballistisc­he Raketen. 99 Prozent davon seien abgefangen worden, sagte Armeesprec­her Daniel Hagari. Er wies die These vehement zurück, der Angriff des Irans auf Israel könnte eine Art geplanter Show ohne echte Schadensab­sicht gewesen sein.

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Foto: Tomer Neuberg, AP/dpa Angriff aus der Luft: Das israelisch­e Luftabwehr­system „Iron Dome“versucht, vom Iran abgeschoss­ene Raketen und Drohnen abzufangen.

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