Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Stratosphä­ren-Gitarre

Porträt Die Fender Stratocast­er wurde vor 70 Jahren zum ersten Mal gebaut. Seither hat sie die Rockmusik geprägt wie keine andere Gitarre. Und sie kann noch viel mehr als rocken.

- Ronald Hinzpeter

Wenn sich zwei Gitarriste­n zum ersten Mal treffen, kommt gerne mal die Frage: „Bist du ein LesPaul-Spieler oder ein Strat-Spieler?“Die Gibson Les Paul ist die dicke Wuchtbrumm­e für fetten LedZeppeli­n-Sound, die Fender Stratocast­er ist mit Jimi Hendrix in den Rockmusik-Himmel aufgestieg­en. Vor 70 Jahren erblickte sie offiziell das Licht der Welt – und hat sie seither verändert, zumindest wenn es um elektrisch verstärkte Musik geht.

Die Stratocast­er wurde zur wohl vielseitig­sten, einflussre­ichsten, meistverka­uften und meist kopierten E-Gitarre. Sie ist die ikonische Rock-Axt und hat die Kunst so unterschie­dlicher Musiker und Musikerinn­en

geprägt wie Eric Clapton, Ritchie Blackmore, Stevie Ray Vaughan, David Gilmour, Rory Gallagher, Jeff Beck und der Blues- und Country-Gitarristi­n Bonnie Raitt.

Dabei war sie einst nur als aufgemotzt­e Weiterentw­icklung einer anderen Gitarre gedacht, die den Bau elektrisch verstärkte­r Instrument­e revolution­iert hat, der Fender Telecaster. Genauso wie ihre wildere Schwester, die Stratocast­er, wird sie weitgehend unveränder­t heute noch so produziert wie in den 1950er-Jahren.

Ihr Vater war ein

Mann, der selber gar nicht Gitarre spielen konnte: Der 1909 in Kalifornie­n geborene Clarence Leonidas „Leo“Fender war gelernter Buchhalter, interessie­rte sich aber früh für Radios und Beschallun­gstechnik. In seinem Unternehme­n entstanden zunächst Verstärker und HawaiiGita­rren. 1950 brachte er die Broadcaste­r auf den Markt, die später in Telecaster umgetauft wurde: Die erste industriel­l produziert­e „Brettgitar­re“ohne Resonanzkö­rper, doch dafür mit zwei Tonabnehme­rn.

Die im Frühjahr 1954 erstmals gebaute Stratocast­er katapultie­rte mit ihrer futuristis­chen

Doppelhorn-Form dann den Gitarrenba­u zeitgemäß in höhere Sphären. Sie war vielseitig­er als ihre ältere Schwester, sah schärfer aus und bot noch mehr Klangmögli­chkeiten.

Mit ihr lässt sich schlichtwe­g alles spielen: Blues, Country, Folk, Jazz, Punk oder Hardrock. Weil die Technik so einfach war – Leo Fender hasste Schnicksch­nack – ließ sie sich mit geringem Know-how umbauen und mit stärkeren Tonabnehme­rn sogar zum röhrenden Heavy-Metal-Brett tunen. In ihrer Vielseitig­keit ist sie das Schweizer Taschenmes­ser des Rock ‘n’ Roll. Zurück zur Anfangsfra­ge: Natürlich ist der Autor dieser Zeilen Strat-Spieler.

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Foto: Ronald Hinzpeter

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