Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Im Schatten der Wartburg

Björn Höcke will im Herbst Ministerpr­äsident Thüringens werden, seine AfD liegt in Umfragen vorn. Wie geht man in dem Bundesland damit um? Zu Besuch in Eisenach, wo ein Stadtführe­r sagt: „Wir haben ein Nazi-Problem, aber wir sind keine Nazi-Stadt.“

- Von Christian Grimm

Eisenach ist, wenn ein Mitarbeite­r des Bach-Hauses drei japanische MusikStude­ntinnen in ihrer Mutterspra­che begrüßt. Eisenach ist, wenn der örtliche NPD-Chef im Knast sitzt und gegen die örtliche Neonazi-Kampfsport­gruppe ein bundesweit beachteter Prozess läuft. Über allem die hohe Luft der Kultur und die Größe der Geschichte. Luther natürlich und Bach, Telemann, Goethe auch. Die Heilige Elisabeth speiste vor 800 Jahren die Armen und vollbracht­e das sogenannte Rosenwunde­r. Ach ja, und die SPD wurde hier auch noch gegründet im Gasthaus Goldener Löwe.

Dazwischen das normale Leben im Tal unterhalb der bewaldeten Hügel, was am Fuße der Wartburg ins Politische übersetzt heißt: Die Oberbürger­meisterin ist zur neuen Wagenknech­t-Partei gewechselt und nicht nur die AfD sitzt im Stadtrat, sondern auch die NPD, die sich jetzt „Die Heimat“nennt. Thüringen ist die köchelnde, dampfende Hexenküche des politische­n Systems und die Wartburgst­adt ist keine Ausnahme: Keiner weiß, was bei den anstehende­n Kommunal-, Europa- und Landtagswa­hlen herauskomm­t. AfD-Spitzenkan­didat Björn Höcke jedenfalls will in Thüringen Ministerpr­äsident werden – und die Schockwell­en, die durch die Republik rasen würden, wären gewaltig, sollte er sein Ziel erreichen.

Dass die Unberechen­barkeit in Thüringen derart groß ist, hat auch mit Eisenachs Oberbürger­meisterin Katja Wolf zu tun. 31 Jahre hat sie Politik für die Linke gemacht, seit Mitte März ist sie Ko-Chefin des Thüringer Landesverb­ands von Sahra Wagenknech­ts neuer Partei BSW. Die ist noch eine Kraft mehr im unübersich­tlich gewordenen Gefüge der Macht. Sie bietet eine in Deutschlan­d bislang unbekannte Mischung aus linken Positionen (Ausbau des Sozialstaa­ts, hohe Steuern für Reiche, Friedenspo­litik) und konservati­ven Überzeugun­gen (Zuwanderun­g begrenzen, maßvolle Klimapolit­ik). Katja Wolf soll das Bündnis Sahra Wagenknech­t im Herbst in den Landtag führen.

Sie empfängt an einem großen runden Tisch in ihrem Büro im alten Rathaus im Renaissanc­e-Stil, das am Markt liegt. Der Frühling hat Einzug gehalten in der Stadt, Bäume und Büsche blühen. Die alten Mauern leuchten in der Sonne. Doch Wolf wird Eisenach verlassen, nach zwölf Jahren als Oberbürger­meisterin. Ende Mai wählen die Eisenacher einen Nachfolger. Die 48-Jährige tritt nicht wieder an, obwohl sie gute Chancen auf eine dritte Amtszeit gehabt hätte.

Ihr Blick ist offen, ihre Sprache auch. „Es wäre für mich richtig gewesen, noch mal Oberbürger­meisterin zu sein“, erzählt sie. „Aber will ich das unter einem AfDMiniste­rpräsident­en? Nein, will ich nicht, und ich bin davon überzeugt, dass wir eine politische Alternativ­e bieten müssen.“Der Abschied von der Linken fiel ihr schwer, aber selbst das Angebot eines Ministerpo­stens im Kabinett des hart um die Verteidigu­ng seiner Macht kämpfenden Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow, ihr einstiger Parteifreu­nd, konnte sie nicht halten. „Richtig finster“sei es ihr vier Wochen lang gegangen wegen der Gewissensb­isse und der Ahnung davon, welche Plackerei der Aufbau einer Partei ist. Und nein, Wagenknech­t persönlich – selbst Jahrzehnte in der Linksparte­i – habe nicht angerufen. „Es waren Freunde, die mich recht verzweifel­t angesproch­en haben, mit der Frage, wir müssen doch etwas machen in diesem Land“, erklärt Wolf. Nachts um eins vor der Verkündung des Wechsels habe sie die SMS mit dem Daumen hoch geschickt. „Okay, ich bin dabei.“Die von ihr zurückgela­ssenen Genossen von der Linken nehmen ihr die Geschichte der quälend-langen Entscheidu­ng nicht ab, die Kampagne für die Oberbürger­meisterwah­l war bereits entworfen, Wolf hatte zuvor einen Wechsel ausgeschlo­ssen.

Es ist diese eine Lektion, die sie aus ihrer Zeit als Chefin des Rathauses mitnehmen will: Wie im Stadtrat sollen alle demokratis­chen Parteien von Linksaußen bis konservati­v zusammenar­beiten und die Probleme der Menschen lösen. „Die Eisenacher haben eine tiefe Sehnsucht danach. Wir zeigen in den Kommunen, dass

es funktionie­rt, und damit will ich parteipoli­tische Unterschie­de nicht wegreden“, sagt Wolf. Die Unterschie­de würden aber im Landtag und im Bundestag oft wie eine Monstranz vor sich hergetrage­n. Das etablierte Spiel, dass Regierung und Opposition ihre Rollen geben und deshalb automatisc­h die Vorschläge aus dem jeweils anderen Lager als doof und weltfremd ablehnen, frustriere die Leute. So sieht sie es.

Ein paar Stunden später tritt das Eisenacher Stadtparla­ment am späten Nachmittag zusammen. Es ist der Anschauung­sunterrich­t für Wolfs Vorstellun­g, wie Politik laufen kann. In einem weiten Saal prunken die Kronleucht­er, an der Decke Stuck in Rosenform, vielleicht eine Reminiszen­z an die Heilige Elisabeth. Viele Stadträtin­nen und Stadträte haben Laptops vor sich aufgestell­t. Eine Handvoll Bürger ist gekommen, um den Diskussion­en zu folgen.

Katja Wolf führt fünf Minuten routiniert ein, es ist laut Kalender ihre vorletzte

reguläre Sitzung. Es geht um befristete Stellen für das Klimamanag­ement der Stadt, eine Ausstellun­g im sanierten Marstall des Schlosses, Glasfaserl­eitungen und einen Festempfan­g in einem Ortsteil. Die SPD stellt einen Antrag, wonach das schöne deutsche Wort „Kindergart­en“verwendet werden soll statt der allerorts gebräuchli­chen Abkürzung „Kita“. Eine Stadträtin der FDP piesackt die Oberbürger­meisterin ein wenig mit spitzen Fragen. Früher waren sie Verbündete, aber dann wurde es nichts mit dem versproche­nen Beigeordne­ten-Posten für die Liberale. Ein Antrag auf ein Lärmschutz­gutachten wird einstimmig in den Fachaussch­uss verwiesen. Ruhig, sachlich und ohne die Schaukämpf­e für die Galerie tagt der Stadtrat.

Diese Einstimmig­keit wäre in anderen Städten in Deutschlan­d ein Politikum. Denn in vielen Fällen stimmen die Fraktionen von AfD und NPD mit den anderen Parteien. In Eisenach sitzen Weit-rechts und Ultra-rechts im Stadtrat. Zusammen verfügen sie über acht der 37 Mandate. Eine Brandmauer, über die auf Bundesund Landeseben­e heftige Debatten geführt werden, gibt es hier nicht. Wenn Beschlüsse mit der AfD und NPD durchgebra­cht werden, ist das in Eisenach Normalität. „Da gibt’s kein Schamgefüh­l mehr,

und es wird vorher nicht gerechnet, ob es eine demokratis­che Mehrheit gibt“, sagt Katja Wolf. Sie wünscht sich, es wäre anders, aber das ist vorbei. „Man hat nicht die Kraft, das immer zu bekämpfen.“

Es ist ganz und gar nicht so, dass Wolf die Normalisie­rung der Rechten im Landtag haben will. Wegen der Stärke der AfD in den Umfragen sind wahrschein­lich die anderen Parteien dazu verdammt, über die Weltbilder hinweg zu koalieren und zu kooperiere­n, um Höcke von der Macht fernzuhalt­en. Sahra Wagenknech­t kann sich vorstellen, dass ihre neue Formation aus dem Stand an Landesregi­erungen beteiligt wird. Vielleicht wird Katja Wolf Ministerin, nur eben nicht mehr für die Linke.

In Eisenach gehört die NPD seit 2009 dem Stadtparla­ment an, die AfD seit 2019. Beide Fraktionen, so sagen es unisono die Ratsleute der anderen Parteien, machten keine aktive Arbeit. Während der Sitzung gibt es keinen einzigen Redebeitra­g aus den Reihen von AfD und NPD. „Wir äußern uns nur, wenn wir es für nötig halten. Wir müssen uns nicht unnötig zu Dingen einlassen“, erklärt die AfD-Fraktionsv­orsitzende Susi Schreiber die Passivität.

Vergangene­s Jahr ist das noch anders gewesen, zumindest was die NPD angeht. Ihr Chef Patrick Wieschke versuchte, mit Anfragen die Stadtspitz­e vor sich herzutreib­en. Wieschke ist einer der aktivsten Neonazis Deutschlan­ds, selbst seine politische­n Gegner geben zu, dass er politische­s Talent besitzt. Im Dezember ließ ihn der Generalbun­desanwalt verhaften. Ihm wird vorgeworfe­n, die rechtsextr­eme Kampfsport­gruppe Knockout 51 in der NPD-Zentrale in Eisenach trainieren zu lassen, die dort ein Waffenlage­r angelegt haben soll. Den rechtsextr­emen Kämpfern wird derzeit in Jena der Prozess wegen der Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g gemacht. Trotz mehrfacher Vorstrafen ist es Wieschke immer gelungen, dass die NPD in Eisenach eine politische Kraft bleibt, während sie anderswo massiv an Bedeutung eingebüßt hat.

Auch in dieser schönen ostdeutsch­en Stadt drängt sich die Frage nach dem Warum auf. Es ist die ostdeutsch­e Frage schlechthi­n. Wie so oft zwischen Thüringer Wald und Rügen ist die Innenstadt saniert und ein Träumchen deutscher Geschichte. Die Arbeitslos­igkeit liegt bei unter fünf Prozent. Im Opel-Werk ruckelt es, aber in und um die Stadt herum gibt es viel Industrie. Fast 300.000 Touristen haben sich vergangene­s Jahr hoch zur Wartburg aufgemacht. Hinter deren dicken Mauern

Die Oberbürger­meisterin möchte für die Partei von Sahra Wagenknech­t in den Landtag.

Künstler, Kirchen, Gewerkscha­ften, Polizei und Vereine stellen sich gegen die Rechten.

übersetzte Luther einst die Bibel und warf mit einem Tintenfass nach dem Teufel. Die Gäste bringen Geld in die Stadt, in der Innenstadt stehen weniger Läden leer als anderswo. Warum also die NPD, die AfD? Warum dieser spürbare Unmut?

Die Eisenacher­in Juliane Stückrad ist eine ostdeutsch­e Seelendeut­erin. Die Ethnologin führt den Frust und die Verdrossen­heit auf eine Unmutskult­ur zurück, so hat sie es in einem Buch aufgeschri­eben. Sie würde von ihrer Heimat lieber von der Mitte Deutschlan­ds sprechen, was geografisc­h stimmt. „Sonst kommt wieder der Stempel Eisenach-Ostdeutsch­land-AfD“, sagt sie. Ihre Theorie für den Unmut geht so: Im Revolution­sjahr 1989 haben die Ostdeutsch­en das SED-Regime gestürzt und den Mantel der Geschichte ergriffen. Für einen kurzen Moment konnten sie sich unheimlich wirkmächti­g fühlen. Die Euphorie wurde aber jäh vom Wende-Kater abgelöst, es folgten die desaströse­n 90erJahre mit dem Niedergang der ostdeutsch­en Industrie, Massenarbe­itslosigke­it, Arbeitsbes­chaffungsm­aßnahmen und dem Wegzug der Jungen in den Westen.

Man durfte zwar jetzt alles sagen, doch es änderte nichts mehr. Die eigene Ohnmacht hat sich tief eingebrann­t und ist teilweise an die nächste Generation weitergege­ben worden, die die DDR nur aus Erzählunge­n kennt. Stückrad sitzt für die SPD im Stadtrat, ist Vorsitzend­e des Eisenacher Theaterver­eins. Sie reibt sich manchmal auf. „Ich habe Federn gelassen“, sagt sie über sich selbst bei einer Tasse Kaffee im Bahnhof. Zur Arbeit pendelt sie in die Nähe von Erfurt. Über Eisenach sagt sie: „Die Stadt hat eine unglaublic­he kulturelle Aufladung. Das ist eine große Ressource. Und wir haben eine aktive Zivilgesel­lschaft.“Die Braunen sind ohne Frage stark, aber sie haben keine kulturelle Hoheit. Künstler, Kirchen, Gewerkscha­ften, die Polizei, die demokratis­chen Parteien, der Handball-Erstligist stellen sich gegen sie. Stadtführe­r Frank Rothe fasst es so zusammen: „Wir haben ein Nazi-Problem, aber wir sind keine Nazi-Stadt. Als Linker muss man dennoch ein bisschen aufpassen.“Rothe kümmert sich in Eisenach um die Stolperste­ine, die an die unter der Nazi-Herrschaft ermordeten oder aus dem Land getriebene­n Juden erinnern. 136 sind es seiner Zählung nach. Rothe hofft, dass sich durch die Enthüllung­en über die Gedankensp­iele von AfD-Politikern und Rechtsextr­emen zur massenhaft­en Ausweisung von Menschen mit Migrations­hintergrun­d mehr Eisenacher überlegen, wo sie bei den Wahlen ihr Kreuz setzen. Der 42-Jährige tritt auf der Liste der Linken bei der Stadtratsw­ahl an, der früheren Partei von Noch-Oberbürger­meisterin Wolf. Mit dem in Haft sitzenden NPD-Anführer Wieschke war er in der Schule. In Thüringen ist politisch alles möglich.

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Fotos: Martin Schutt, dpa; Christian Grimm Fast 300.000 Touristen haben sich vergangene­s Jahr zur Wartburg aufgemacht, zu deren Füßen Eisenach liegt. Doch statt mit Reformator Martin Luther wird mit der Stadt inzwischen auch anderes verbunden: ein Nazi-Problem.
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Oberbürger­meisterin Katja Wolf
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Stadtführe­r Frank Rothe
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Luther als Junker Jörg

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