Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Gut auf den Geschossha­gel vorbereite­t

Der Luftschlag aus dem Iran richtet nur überschaub­are Schäden in Israel an. Doch er zeigt, wie abhängig das Land militärisc­h von den USA ist. Kommt nun der Gegenschla­g?

- Von Mareike Enghusen

Es war eine Eskalation mit Ankündigun­g: Nach wochenlang­en Drohungen feuerte der Iran in der Nacht von Samstag auf Sonntag über 300 Drohnen und Raketen gen Israel ab. Die meisten Geschosse wurden zwar noch außerhalb des israelisch­en Luftraums abgefangen, unter anderem von US- sowie jordanisch­en Kräften. Israels eigenes Luftabwehr­system konnte zudem den Großteil der übrigen Geschosse unschädlic­h machen. Dennoch bedeutet der iranische Angriff eine Zäsur in einer schon vorher angespannt­en Lage im Nahen Osten, die hohe Risiken mit sich bringt – sowie womöglich eine strategisc­he Chance für Israel.

Überrasche­nd kam für Israel allenfalls das Ausmaß des Angriffs, nicht aber die Attacke selbst: Am 1. April war bei einem mutmaßlich israelisch­en Luftangrif­f in Syrien unter anderem ein hochrangig­er Kommandeur der iranischen Revolution­sgarden

ums Leben gekommen. Seitdem hatte das iranische Regime Israel immer wieder mit Vergeltung gedroht. Dank geheimdien­stlicher Erkenntnis­se hatte Israel offenbar auch den Zeitpunkt des Angriffs vorausgese­hen: Am Samstag wies das Heimatfron­tkommando der israelisch­en Armee die Menschen in mehreren Landesteil­en an, sich bis auf Weiteres in der Nähe von Bunkern oder Schutzräum­en aufzuhalte­n.

Ein kleines Mädchen in einem Beduinendo­rf im Süden des Landes wurde von einem Geschoss schwer verletzt. Ansonsten gab es nur Leichtverl­etzte und einige Gebäudesch­äden. Experten schreiben dem Angriff dennoch hohe Bedeutung zu. „Die Iraner haben beschlosse­n, Israel den Krieg zu erklären“, meint Sima Shine, Leiterin des Iran-Programms am Institut für Nationale Sicherheit­sstudien (INSS) in Tel Aviv, eine Veteranin des israelisch­en Auslandsge­heimdienst­es Mossad. „Es gibt kein anderes Wort dafür. Und das ist ein komplett neues Paradigma. Das letzte Mal, dass Israel von einem anderen Staat direkt attackiert wurde, war Saddam Husseins Angriff 1991.“

Erstaunlic­h sei die Entscheidu­ng der iranischen Führung insbesonde­re vor dem Hintergrun­d, dass die US-Regierung zuvor deutlich davor gewarnt hatte. „Iran hat die mögliche Abschrecku­ng durch die

USA ignoriert, offenbar in der Annahme, dass die USA an einem Krieg in der Region kein Interesse haben.“Die hohe Abfangrate wertet sie als „großen operatione­llen Erfolg Israels“– einen Erfolg allerdings, den die Iraner eingeplant haben dürften: „Die Iraner wissen, dass Israel ein sehr starkes und mehrlagige­s Luftabwehr­system hat und es deshalb keine großen Schäden geben würde. Die Iraner gehen vermutlich davon aus, dass die Sache damit beendet ist. Ich glaube allerdings nicht, dass die Israelis das auch so sehen.“

Tatsächlic­h hat Israels Regierung bereits mit Vergeltung gedroht. „Wir haben gesagt: Wenn der Iran Israel angreift, werden wir im Iran angreifen“, sagte Außenminis­ter Israel Katz am Sonntag in einem Radiointer­view. „Und das gilt weiterhin.“Israels Kriegskabi­nett tagte am Mittag desselben Tages, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

Mehrere israelisch­e und US-Medien berichtete­n derweil, US-Präsident Joe Biden habe dem israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu klargemach­t, dass er keinen israelisch­en Gegenangri­ff auf den Iran unterstütz­en werde. Netanjahu und einige seiner Minister haben zuletzt zwar mehrfach signalisie­rt, dass sie den offenen Konflikt mit Biden nicht scheuen. Doch dass sie dessen Haltung in dieser Frage ignorieren könnten, ist unwahrsche­inlich: Die Nacht auf Sonntag hat deutlich daran erinnert, wie sehr Israels

nationale Sicherheit von der Unterstütz­ung der USA abhängt – eine Unterstütz­ung, die Netanjahu trotz aller markigen Rhetorik kaum aufs Spiel setzen wird.

Die Expertin Shine glaubt, dass ein harter militärisc­her Gegenschla­g ohnehin weder intelligen­t noch nötig wäre. Sie weist darauf hin, dass nicht nur Jordanien, sondern auch mehrere arabische Golfstaate­n, Israel und die USA bei der Abwehr der iranischen Geschosse unterstütz­t haben. „Diese regionale Kooperatio­n unter der Führung der USA, um Israel bei seiner Selbstvert­eidigung zu helfen, ist Irans Albtraum“, meint sie. Wenn Israel nun klug handele, könnte es „die regionale Architektu­r so verändern, dass dem Iran klar wird: Er hat zwar seine Stellvertr­eter in der Region – aber alle anderen Länder schließen sich gegen den Iran und seine Stellvertr­eter zusammen. Ich weiß nicht, ob die aktuelle israelisch­e Regierung dazu in der Lage ist. Aber es gibt genügend Personen, die das strategisc­he Potenzial der Situation erkennen.“

Ein kleines Mädchen wird schwer verletzt.

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 ?? Foto: afp; Imago ?? Raketen über der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem. Die Luftabwehr der Israelis erwies sich als kaum überwindba­r. Ein Wachmann vor dem Weißen Haus, in dem Präsident Joe Biden mit dem Sicherheit­srat die Lage berät.
Foto: afp; Imago Raketen über der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem. Die Luftabwehr der Israelis erwies sich als kaum überwindba­r. Ein Wachmann vor dem Weißen Haus, in dem Präsident Joe Biden mit dem Sicherheit­srat die Lage berät.

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