Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Du hast einen Sieg errungen“

Washington unterstütz­t Israel massiv bei der Abwehr des Angriffs. Danach gratuliert Joe Biden per Telefon Benjamin Netanjahu – warnt jedoch auch eindringli­ch vor einer Vergeltung­sspirale.

- Von Karl Doemens

Die Warnung des Präsidente­n war ebenso knapp wie eindeutig gewesen. „Don’t!“, hatte Joe Biden am Freitag auf die Frage eines Reporters nach seiner Botschaft an die Regierung des Iran geantworte­t: Lasst es! Die Mullahs sollten nicht wagen, das mit den USA verbündete Israel anzugreife­n. Kurz darauf machte sich der 81-Jährige für einen kurzen Wochenendt­rip in sein Ferienhaus in Rehoboth Beach auf.

Die Atempause an der Atlantikkü­ste sollte nicht lange dauern. Keine 24 Stunden später zeigte das Regime in Teheran, wie sehr es sich von Appellen seines Erzfeindes in Washington beeindruck­en lässt – gar nicht. Kurz nach 14 Uhr amerikanis­cher Zeit am Samstag muss Biden von der bevorstehe­nden Attacke erfahren haben. Unvermitte­lt und ohne Angabe von Gründen brach er seinen Wochenenda­usflug ab und flog ins Weiße Haus zurück. Kurz bevor er dort im abhörsiche­ren Situation Room mit seinen engsten Beratern, mit Außenminis­ter Antony Blinken und Verteidigu­ngsministe­r Lloyd Austin sowie den Topvertret­ern von Militär und Geheimdien­sten zusammenka­m, meldeten die Agenturen, dass der Iran zahlreiche Drohnen in Richtung Israel abgefeuert habe. Überrasche­nd kam der Vergeltung­sschlag Teherans nach dem israelisch­en Angriff auf ein iranisches Botschafts­gebäude in Damaskus, bei dem zwei Generale der Revolution­sgarden getötet wurden, für die Regierung in Washington nicht. Spätestens ab Donnerstag hatten sich in Washington die Informatio­nen verdichtet, dass der Schlag unmittelba­r bevorstehe. Zusätzlich­e amerikanis­che Kriegsschi­ffe und Flugzeuge wurden in die Region entsandt.

Seit dem brutalen Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober befindet sich die USRegierun­g in einer heiklen Schlüsselr­olle. Von Anfang an hat Biden versichert, dass die USA „felsenfest“an der Seite Israels stehen. Gleichzeit­ig muss der Präsident aber unbedingt eine Ausweitung des Konflikts und einen Flächenbra­nd vermeiden, der die USA zwangsläuf­ig einschließ­en würde: Die Eröffnung einer zweiten Front gegen Israel durch die Hisbollah-Milizen im Libanon oder gar ein offener Krieg zwischen Israel und Iran hätte nicht nur verheerend­e Folgen für die ganze Region. Er wäre angesichts der Kriegsmüdi­gkeit der Amerikaner auch eine schwere politische Hypothek im US-Wahljahr.

Ohnehin befindet sich Biden innenpolit­isch unter Druck. Der linke Flügel seiner Partei hat wenig Verständni­s für seine Unterstütz­ung des israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu im Gazakrieg. Tausende haben dem Präsidente­n bei den Vorwahlen in wichtigen Swingstate­s

ihre Stimme verweigert. Die Kritiker fordern, dass die US-Waffenlief­erungen an Israel eingestell­t oder zumindest konditioni­ert werden.

Diese Stimmen dürften nach dem iranischen Großangrif­f etwas leiser werden. Dafür setzen die Republikan­er nun alles daran, Biden wegen dessen Unterstütz­ung des Atomabkomm­ens mit dem Iran die Schuld für die militärisc­he Stärke Teherans und die Attacke auf Israel zuzuschieb­en. Die Drohnen waren noch nicht im israelisch­en Luftraum eingetroff­en, als ExBotschaf­ter Richard Grenell, der unbedingt Außenminis­ter von Trumps Gnaden werden möchte, beim Kurznachri­chtendiens­t X die Losung ausgab: „Donald Trump hat den Iran in die Pleite getrieben. Joe Biden hat dem Iran-Regime Hunderte Milliarden Dollar an Sanktionse­rleichteru­ngen, Krediten und Mitteln gegeben. Der Iran greift Israel nun mit Joe Bidens Geld an.“

Am amerikanis­chen Samstagnac­hmittag kursierten zunächst hartnäckig­e Gerüchte, der Präsident werde sich mit einer Fernsehans­prache an die Bevölkerun­g wenden. Derweil konnten die Amerikaner vor ihren TV-Schirmen live verfolgen, wie eine iranische Drohne nach der anderen von israelisch­en und amerikanis­chen Waffensyst­emen abgefangen und zerstört wurde. „Unsere Verpflicht­ung für die Sicherheit Israels und gegen Bedrohunge­n durch den Iran und seine Verbündete­n ist eisern“, versichert­e Joe Biden am frühen Abend bei X.

In Israel war es schon vier Uhr morgens, als der US-Präsident dann mit Premiermin­ister Netanjahu telefonier­te. Das Gespräch dauerte nach Informatio­nen amerikanis­cher Medien rund 25 Minuten. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich schon ab, dass der iranische Großangrif­f keine massiven Schäden in Israel verursacht hatte. Washington­s größte Sorge ist nun, dass Netanjahu mit einem überzogene­n erneuten Vergeltung­sschlag die Eskalation­sspirale endgültig außer Kontrolle bringen könnte. Biden soll Netanjahu in dem Telefonat nach Informatio­nen der Nachrichte­nseite Axios und des Senders CNN klar gesagt haben, dass Washington einen israelisch­en Gegenschla­g nicht unterstütz­en würde. Wörtlich, so wird kolportier­t, habe Biden seinem Kollegen, den er seit mehr als 40 Jahren kennt, geraten: „Du hast einen Sieg errungen. Nimm ihn an!“

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Foto: Adam Schultz, The White House/AP/dpa US-Präsident Joe Biden bei einem Treffen mit Mitglieder­n des Nationalen Sicherheit­steams.

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