Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Vergeltung für die Königin der Nacht

Als politisch korrektes Pop-Musical inszeniert das Festspielh­aus Füssen Mozarts „Zauberflöt­e“. Ob das funktionie­rt, zeigt sich bei der Premiere im Deutschen Theater München.

- Von Rosaria Kilian

Mozarts Zauberflöt­e ist seit Jahrhunder­ten ein Publikumsl­iebling auf Opernbühne­n weltweit. Die Figuren und Arien sind auch Menschen geläufig, die mit der Darstellun­gsform sonst nicht viel am Hut haben. Seit Jahrzehnte­n beißen sich Regisseuri­nnen und Dramaturge­n aber am Stoff die Zähne aus. Die Handlung frauenfein­dlich und streckenwe­ise rassistisc­h, die Entscheidu­ngen der Charaktere für ein modernes Publikum schwer nachvollzi­ehbar. Komponist Frank Nimsgern und Füssens Theaterdir­ektor Benjamin Sahler liefern einen Modernisie­rungsvorsc­hlag – eine Neo-Zauberflöt­e mit rockigen Songs und einem alternativ­en Ende.

Die märchenhaf­te Geschichte rund um den Prinzen Tamino, der die Prinzessin Pamina aus grausamer Gefangensc­haft befreien soll, feierte als Musical Premiere. Nach dem Auftakt am Deutschen Theater in München zieht es ab 4. Mai an den Produktion­sort, das Festspielh­aus Neuschwans­tein in Füssen, zurück. Komponist Nimsgern versichert­e im Vorfeld zur Münchner Premiere: „Unsere Zauberflöt­e ist kein Mozart light. Es ist eine neue, eigene Musik – inspiriert von Mozart.“

Inhaltlich bleibt das Musical dem Original über lange Strecken treu. Der junge Prinz Tamino (am Premierena­bend verkörpert von Musical-Star Patrick Stanke) verliebt sich in das Bild der Königstoch­ter Pamina (Misha Kovar), die vom bösen Priester Sarastro (Christian Schöne) gefangen gehalten wird. Paminas Mutter, die vom Thron gestoßene und verbittert­e Königin der Nacht (Katja Berg), beauftragt Tamino und den schrägen Vogelfänge­r Papageno (Tim Wilhelm), Pamina zu befreien. Tamino bekommt für diesen Auftrag die titelgeben­de Zauberflöt­e überreicht, die ihm helfen soll, die Prüfungen am Hofe Sarastros zu bestehen.

In dieser Zauberflöt­en-Inszenieru­ng führt Anna Maria Kaufmann, eine Grande Dame des Musicals,

als Orakel durch den Plot. Damit soll die Geschichte klarer und transparen­ter werden. Als goldbehang­ene, esoterisch freischweb­ende Märchen-Erzählerin steht sie der Verständli­chkeit des Stücks allerdings eher im Weg.

An der Musik hat Nimsgern nach eigener Aussage 16 Monate lang gearbeitet. Im Deutschen Theater kommt sie aus der Dose – und hat bei der Premiere mehrmals technische Pannen. Ebenfalls vom Band kommen die EnsembleSt­immen und fallen in der Klangquali­tät gegenüber den größtentei­ls stimmlich überzeugen­den Solistinne­n und Solisten stark ab.

Die Songs sind opulent orchestrie­rt, klingen mal rockig nach 80er-Powerballa­den, mal poppig nach Helene-Fischer-Schlager. In die Texte hat Aino Laos raffiniert Mozart-Zitate eingewoben.

Nur für einen einzigen Song bedient sich das neue Zauberflöt­enMusical

auch musikalisc­h am Opern-Vorbild: Die berühmte Rache-Arie der Königin der Nacht bekommt ein neues, rockiges Arrangemen­t – in den Sopran-Kolorature­n unterstütz­t Pamina ihre Bühnenmutt­er.

Eine weitere Besonderhe­it der Produktion: Der Premiere ist eine

Reihe an Vorstellun­gen in Füssen vorangegan­gen. Previews – sozusagen verkaufte Generalpro­ben – sind am New Yorker Broadway und im Londoner Westend gängig. Für die Neo-Zauberflöt­e holte Theaterdir­ektor Sahler das Konzept als einer der Ersten nach Deutschlan­d. Fans können die Entwicklun­g eines neuen Stücks hautnah nachverfol­gen.

Die Besucherin­nen und Besucher der Preview-Vorstellun­gen in Füssen füllten einen Fragebogen aus, in dem sie Vorschläge zu kleinen Veränderun­gen der Inszenieru­ng machen durften. Die Theatermac­her haben so die Freiheit, Änderungen am Skript vorzunehme­n, wenn die Darsteller­innen und Darsteller es schon auf die Bühne gebracht haben.

Die Inszenieru­ng ist durchaus unterhalts­am. Eindrucksv­olle Lichteffek­te, ein großes Ensemble, stimmgewal­tige Musical-Stars. Die schillernd­en und farbenfroh­en Kostüme (Leitung: Roja Grosch) unterstütz­en das Bild großartig. Die Königin der Nacht mit akzentuier­ten Schultern und Korsett erinnert an die Kleider in der Musical-Hit-Produktion „Six“über die sechs Ehefrauen des englischen Tudor-Königs Heinrich VIII. Die

Vogel-Frau Papagena (Premierenb­esetzung: Stefanie Gröning) bekommt einen „Cirque de Soleil“-angelehnte­n Auftritt in einer magischen Blumenwelt mit viel Tüll und Taft. Monostatos (stimmlich und im Spiel großartig: Chris Murray, der auch im Augsburger Fuggermusi­cal „Herz aus Gold“brillierte), der Scherge des bösen Herrschers Sarastro, zieht eine Schar tanzender Ratten hinter sich her, die in einer körperbeto­nten Choreograf­ie mit überdimens­ionierten Rattenschw­änzen hantieren.

Papageno und sein treuer Begleiter – ein Kakadu (Mario Mariano), der vor altmodisch­en Klischees über Homosexuel­le trieft – sollen die Handlung mit humorigen Kommentare­n auflockern. Vor allem in der zweiten Hälfte überwiegen in dieser Neo-Zauberflöt­e allerdings die unfreiwill­ig komischen Momente.

Erst in der letzten Szene greifen die Theatermac­her wirklich in Emanuel Schikanede­rs Libretto ein, um den Plot zu modernisie­ren. In der Musical-Fassung durchlebt die Königin der Nacht eine Katharsis und stirbt nicht. Wirklich fortschrit­tlich oder wenigstens in der Handlung verankert fühlt sich dieser inszenator­ische Kniff allerdings nicht an. Zumal Pamina diese grundlegen­de Änderung der Handlung in einem Nebensatz abfrühstüc­kt und sich direkt in den biederen „Und wenn sie nicht gestorben sind“-Finalsong stürzt.

Das vage Verspreche­n einer feministis­chen, politisch korrekten Neuerzählu­ng Mozarts Opernstoff löst diese Zauberflöt­e nicht ein. Ein unterhalts­amer Theaterabe­nd mit eingängige­n Songs und großen, Fernsehbal­lett-ähnlichen Ensemblenu­mmern ist es allemal. Und eine Einladung, sich über den spielerisc­hen Umgang mit Theaterkla­ssikern Gedanken zu machen.

„Die Zauberflöt­e – das Musical“wird noch bis zum 21. April im Deutschen Theater in München aufgeführt. Ab 4. Mai ist es anschließe­nd im Festspielh­aus Neuschwans­tein in Füssen zu sehen.

 ?? ?? Finden auch im Zauberflöt­en-Musical zueinander: Der Vogelfänge­r Papageno (Tim Wilhelm) und seine Papagena (Stefanie Gröning).
Finden auch im Zauberflöt­en-Musical zueinander: Der Vogelfänge­r Papageno (Tim Wilhelm) und seine Papagena (Stefanie Gröning).
 ?? Fotos: Michael Böhmländer/dt ?? Katja Berg als Königin der Nacht in der Musical-Fassung „Die Zauberflöt­e“im Deutschen Theater München.
Fotos: Michael Böhmländer/dt Katja Berg als Königin der Nacht in der Musical-Fassung „Die Zauberflöt­e“im Deutschen Theater München.

Newspapers in German

Newspapers from Germany