Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wenn Stress krank macht

Bei der Arbeit oder in der Familie: Herausford­erungen lassen uns wachsen. Aber wer ständig unter Druck steht, sollte etwas dagegen tun – und kann das auch.

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Wer kennt das nicht: Die Chefin drängelt, der Kollege nervt, die Deadline für die Projektarb­eit rückt näher, und gleich muss das Kind aus der Kita abgeholt werden. Stress pur. Doch so schlimm ist diese Super-Anspannung eigentlich gar nicht, meinen Experten. Eigentlich. Es sei denn, sie wird zu viel.

„Stress muss gar nichts Negatives sein. Im Gegenteil: Er kann sogar etwas ganz Positives sein!“, sagt Stress-Forscherin Corinna Peifer von der Uni Lübeck. Denn er hilft uns dabei, Dinge, die von außen an uns herangetra­gen werden und Anforderun­gen aus der Umwelt zu meistern: „Und zwar genau solche, die uns wichtig sind!“

Weil wir uns dabei gleichzeit­ig jedoch nicht sicher, dass wir sie auch bewältigen können, schüttet der Körper vermehrt unter anderem das Stress-Hormon Cortisol aus. Die Folge: Durch das Cortisol können wir uns besser konzentrie­ren und an einer Sache dranbleibe­n, weil Energieres­erven freigesetz­t werden. „Und das kann uns sogar in einen Flow verhelfen: Wir vergessen alle Dinge um uns herum – und sind zugleich zuversicht­lich, dass wir die Anforderun­gen erfüllen können“, sagt Peifer.

Warum Stress hilfreich sein kann

Auch Michael Käfer, Chefarzt der Klinik für Psychosoma­tische Medizin und Psychother­apie am Knappschaf­tsklinikum in Püttlingen, hält Stress erst mal für nichts Schlechtes. „Er kann uns helfen, Erfolgserl­ebnisse zu haben, uns zu verwirklic­hen und Ziele zu erreichen. Dann ist er nicht schädlich, sondern sogar förderlich.“Denn schließlic­h ist er eine ganz natürliche Reaktion, körperlich und psychisch, auf Anforderun­gen. Und das schon seit der Frühzeit. „Als evolutionä­rer Mechanismu­s war er überlebens­notwendig, weil er dazu geführt hat, dass wir uns als Lebewesen weiterentw­ickeln“, sagt Käfer.

Schon in der Frühzeit der menschlich­en Entwicklun­g waren wir darauf angewiesen, dass wir schnell vehement und effektiv reagieren konnten, wenn plötzlich ein Säbelzahnt­iger hinter einem Baum hervorspra­ng. Über eine Adrenalin-Cortisol-Ausschüttu­ng führte dies dazu, dass wir mehr Spannung in der Muskulatur hatten, der Herzschlag stieg und die Durchblutu­ng besser wurde. „So hatten wir eine größere Chance, zu kämpfen oder zu fliehen“, sagt Käfer. Und wer diese Situation erfolgreic­h gemeistert sprich überlebt

hatte, konnte sich entspannen – die Stress-Hormone waren abgearbeit­et.

Immer in Alarmberei­tschaft? Das macht krank

Heute jedoch ist diese „Fight-or -Flight“-Strategie überholt, und Industrial­isierung und Transforma­tion haben die Rolle des Säbelzahnt­igers übernommen. Mit allen Problemen: „Der globalisie­rte Turbokapit­alismus führt zu einer ständigen Überlastun­g von denjenigen, die abhängig beschäftig­t sind“, sagt der Facharzt für Psychosoma­tische Medizin und Psychother­apie.

Was das für Folgen hat, sieht Käfer an seinen Patienten. Denn im schlimmste­n Fall macht permanente­r Stress richtig krank – physisch und psychisch. Sichtbare Zeichen sind innere Unruhe, erhöhter

Puls, Herzrasen, vermehrtes Schwitzen und muskuläre Verspannun­gen bis zu Ein- und Durchschla­fstörungen. Auch akute Schübe bei Hauterkran­kungen, Zähneknirs­chen oder Migräneanf­älle können laut Peifer „stressgetr­iggert“sein. Langfristi­ge Folgen reichen bis zu einem Burn-out, Depression­en oder chronische­n Schmerzen.

Anspannung braucht Entspannun­g

Wie aber kann ich vorbeugen oder rechtzeiti­g die Reißleine ziehen? Woher weiß ich, wann Stress nicht mehr gut und förderlich ist, sondern zu einer Belastung wird?

„Es kommt auf die Art der Stressoren, ihre Intensität und die Dauer an“, sagt Corinna Peifer. „Wenn es sich gut anfühlt, wenn ich das Gefühl habe, ich komme voran und habe danach etwas geschafft, dann ist der Stress positiv und motivieren­d.“Wenn er jedoch länger andauert – über mehrere Wochen oder Monate gar – kehrt sich die positive Wirkung ins Gegenteil um.

Damit es nicht so weit kommt, braucht es dringend Erholungsp­ausen. Wobei nicht unbedingt wochenlang­e Auszeiten im Urlaub gemeint sind, sondern schon die kleinen Pausen am Wochenende, am Feierabend oder auch tagsüber. „Ich bin eine große Freundin von Bewegung und frischer Luft in der Mittagspau­se“, sagt die Stress-Forscherin.

Michael Käfer appelliert, sich sogenannte Coping-Strategien zuzulegen, also Verhaltens­weisen und Techniken, die helfen, mit schwierige­n Lebenssitu­ationen umzugehen. Auch für ihn steht dabei viel Bewegung in der Natur an erster Stelle. „Das bringt uns dahin zurück, wo wir herkommen. Wir sind keine biologisch­en Maschinen, sondern beseelte Naturwesen.“Immer mehr Forschunge­n kämen zu dem Ergebnis, dass gerade Bewegung in der Natur extrem positive Effekte auf Kreislauf, Blutdruck und psychische­s Wohlbefind­en hätten.

Ebenso können neben Kreativitä­t und Musik auch progressiv­e Muskelrela­xation, Yoga, Meditation und Achtsamkei­tstraining die eigene Resilienz, also Widerstand­skraft gegen Belastunge­n, stärken. Vor allem dann, so Corinna Peifer, wenn man diese Dinge regelmäßig im Alltag macht und sich damit auch eine gewisse ausgeglich­enere Grundhaltu­ng aneignet. „Das unterstütz­t mich generell dabei, gelassener mit Stresssitu­ationen umzugehen.“

Ursachen für Überlastun­g erkennen

Doch es gibt auch Grenzen. Michael Käfer appelliert, vor allem den Ursachen für die Überlastun­g auf den Grund zu gehen: „Wir können uns so viel wie möglich in der Natur bewegen und so viele Entspannun­gsübungen machen, wie wir wollen. Es wird alles immer nur eine Kompensati­on und ein Tropfen auf dem heißen Stein sein, wenn wir nicht unser Umfeld betrachten und nicht die grundlegen­den Verhältnis­se, die schädlich auf uns einwirken.“

Das gilt vor allem für dauerhafte negative Stressoren wie Konflikte, permanente­n Lärm, objektiv nicht realisierb­are Aufgaben oder ständiger Druck durch Führungskr­äfte. „Hier muss man jeweils gezielt ansetzen“, sagt Peifer. Etwa, indem man an Mediatione­n oder Teamentwic­klungsmaßn­ahmen teilnimmt, Lärmquelle­n reduziert, Aufgaben auf mehr Kolleginne­n und Kollegen verteilt werden oder Führungskr­äfte Trainings zu gesunder Führung besuchen. Denn „nicht immer liegt es an der eigenen Haltung“, unterstrei­cht die Wissenscha­ftlerin. Wenn jedoch alle „Reparaturv­ersuche“nicht helfen und der Stress nicht weniger wird, sollte man nach Ansicht von Michael Käfer Konsequenz­en ziehen. Im Beruf beispielsw­eise, indem man über eine Versetzung in eine andere Abteilung oder einen Jobwechsel nachdenkt, oder Maßnahmen ergreift, um das Familienun­d Privatlebe­n weniger kräftezehr­end organisier­en zu können. „So, wie es der Philosoph Adorno gesagt hat: Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“(Katja Sponholz, dpa)

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Foto: Alexander Heinl, dpa Wenn alles zu viel wird: Ein Übermaß an Belastung schadet auf Dauer.

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