Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Diesmal mittendrin, statt nur dabei

Torschütze Sven Michel erlebt beim 2:0-Sieg des FC Augsburg gegen seinen Ex-Klub Union Berlin gemischte Gefühle. Das hängt mit seinem Treffer aber auch mit seiner Reserviste­nrolle beim FCA zusammen.

- Von Robert Götz

Auch für den Torschütze­n gab es keine Ausnahme. Auch nicht, wenn er mit seinem Treffer zum 2:0-Endstand in der 81. Minute den im Kampf um Europa so wichtigen Sieg des FC Augsburg gegen Union Berlin zementiert­e. Also musste Sven Michel am späten Freitagabe­nd, als er alle Interviewa­nfragen abgearbeit­et hatte, und das waren viele, seinen Kardiomess­er überstreif­en und den anderen Reservespi­elern zum üblichen intensiven Auslaufen in die schon abgedunkel­te WWK-Arena folgen. Zuvor hatte er erklärt, warum er nach seinem Tor nicht gejubelt hatte. Da trafen bei ihm zwei Gefühlswel­ten aufeinande­r. „Gegen die alte Liebe zu treffen, tut bei aller Freude sehr, sehr weh“, sagt Michel.

Im Sommer hatten ihn der damalige Trainer Enrico Maaßen und der damalige Sport-Geschäftsf­ührer von Union Berlin nach Augsburg geholt, um der verjüngten Mannschaft einen Routinier zur Seite zu stellen. Diesen Wechsel nach nur eineinhalb Jahren im Osten der Hauptstadt verstanden viele nicht. Hatte sich der 33-Jährige mit Union doch gerade für die Champions League qualifizie­rt und war er in Köpenick doch äußerst beliebt.

Das zeigte sich auch am Freitag, als er trotz seines Tors von den Berliner Spielern und Mitarbeite­rn immer wieder geherzt wurde. Doch ganz Westfale – er stammt aus Freudenber­g bei Siegen – hatte er seinen eigenen Kopf. Auch wenn er ein, zwei Herzkammer­n an den Kultklub verloren hatte, war er mit seiner Reserviste­nrolle nicht zufrieden, wollte mehr selbst spielen, anstatt die Champions-LeagueHymn­e auf der Bank zu hören.

Beim FCA schien sein Plan aufzugehen. Gleich zum Bundesliga­auftakt Mitte August traf er beim 4:4 gegen Gladbach. Es sollte sein einziges Tor bis zum Freitagabe­nd bleiben. Denn vor allem nach dem Wechsel von Maaßen hin zu Jess Thorup wurde schnell ersichtlic­h, dass der Däne dem Sturmduo Phillip Tietz und Ermedin Demirovic den Vorzug gab. Deren Performanc­e gab ihm mehr als recht.

Doch Thorup ließ Michel nicht fallen, auch wenn er hart im Handeln blieb. Er erklärte ihm seine Situation, auch vor dem Union-Spiel noch einmal. Thorup: „Ich habe ihm gesagt, dass er auf die fünf oder zehn Minuten warten und dann zeigen muss, dass er bereit ist für die Mannschaft.“Und Michel war bereit. „Das ist typisch Fußball. Du triffst monatelang nicht und dann gegen den alten Verein. Ich hoffe nur, sie rutschen nicht mehr unten rein“, dachte er auch in diesem Moment noch an Union.

Seine Stellung in der Mannschaft zeigte dann auch der kollektive Jubel nach seinem Treffer, der nach dem Führungsto­r von Phillip Tietz (47.) diese schwierige Partie entschiede­n hatte. Alle stürmten auf Michel zu und bildeten eine ekstatisch­e Traube um ihn. Diesmal war der Routinier mittendrin, statt nur dabei. „Dass die Jungs sich so für mich gefreut haben, hat mich fast noch mehr gefreut, als dass ich das Tor selber geschossen habe“, sagte Michel später.

Dieses Mannschaft­sdenken, dieses Positivble­iben unterschei­det ihn ein Stück weit von seinem jungen Konkurrent­en Dion Beljo, der mit der Teilzeitar­beit nicht ganz so profession­ell und nach außen ruhig umgehen kann wie der leidenscha­ftliche Angler Michel. „Er ist immer positiv, treibt die Jungs im Training an. Er ist einer, der sinnbildli­ch dafür steht, dass man nicht weniger wert ist, wenn man auf der Bank sitzt“, lobte Sportdirek­tor Marinco Jurendic später den Torschütze­n. Auch Jess Thorup verneigte sich nach dem

Spiel vor seinem 33-jährigen Spieler.

Der hatte nach seinem Treffer aber noch ein paar bange Momente überstehen müssen, als sein Tor auf Abseits durch den VAR überprüft wurde. „Ich konnte bis heute machen, was ich wollte, dass Ding wollte einfach nicht reingehen. Wenn es Abseits gewesen wäre, hätte es zu meiner Situation gepasst“, blickte Michel zurück.

Die ist und bleibt nicht einfach. Mit Kapitän Ermedin Demirovic (15 Saisontore) und Tietz (8) hat Thorup eine Paarung im Sturm gefunden, die harmoniert. Für Michel, mit Vertrag bis 2025 ausgestatt­et, ist da in der Startelf kein Platz. Das weiß er auch. Doch der gelernte Betriebsel­ektriker, weiß, was es heißt, sich weiter die Finger schmutzig zu machen. „Ich versuche, mich weiter reinzuarbe­iten. In Berlin hatte ich diese Situation ja auch, da habe ich oft von der Bank getroffen.“

Die nächste Gelegenhei­t hat er dazu beim FCA schon am Freitag (20.30 Uhr/DAZN), beim Auswärtssp­iel bei Eintracht Frankfurt. Mit einem Sieg könnte der FCA die Hessen von Tabellenpl­atz sechs verdrängen. „Jetzt müssen wir mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben. Dann sehen wir, was am Ende rauskommt“, meinte Michel. Bei Union war es die Champions League. Und beim FCA?

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Foto: Christian Kolbert Alle Spieler kamen nach dem Tor von Sven Michel (Mitte) zum Gratuliere­n.

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