Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auf dem Weg in die humanitäre Katastroph­e

Zwei verfeindet­e Generäle und ihre Unterstütz­er überziehen den Sudan mit Krieg. Die Folge sind Hunger, Gewalt und die derzeit größte Flüchtling­sbewegung. Doch die Welt nimmt davon kaum Notiz.

- Von Simon Kaminski

Im Sudan ist zu beobachten, wie zwei Generäle mit ihrer Fehde um die Macht einen Staat mit viel Potenzial in den Abgrund reißen. Seit einem Jahr tobt ein rücksichts­loser Bürgerkrie­g zwischen Machthaber Abdel Fattah al-Burhan und seinem damaligen Stellvertr­eter Mohamed Hamdan Daglo. Die Folgen des militärisc­hen Konflikts zwischen der Armee und den von Daglo kommandier­ten Milizen der Rapid Support Forces (RSF) sind dramatisch: Das Chaos mit blutigen Gefechten und Massakern wird zwangsläuf­ig begleitet von einem wirtschaft­lichen Absturz des Sudan im Nordosten Afrikas – ein Land, das reich an Rohstoffen wie Öl und Gold ist.

„Das Ausmaß der Krise ist extrem: Die größte Vertreibun­g weltweit, absehbar auch die größte Hungerkris­e der Welt, dazu massive Gewalt, auch genozidale­r Art“, sagt der Afrika-Experte der Stiftung Wirtschaft und Politik (swp), Gerrit Kurtz, im Gespräch mit unserer Redaktion. In einem krassen Gegensatz zu dieser Einschätzu­ng steht das überschaub­are weltweite Interesse an der Situation im Sudan. Wie ist das zu erklären? Kurtz verweist auf die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten. „Zwei Großkonfli­kte, die aus unterschie­dlichen Gründen sehr eng mit Deutschlan­d und Europa verbunden sind. Das verringert die Aufmerksam­keit für den Sudan ganz erheblich.“

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass das Land für hoffnungsv­olle Schlagzeil­en sorgte. Eine mächtige Demokratie­bewegung hatte 2019 den korrupten Langzeithe­rrscher Omar al-Baschir gestürzt. Doch damit wollte sich das Militär nicht abfinden, es putschte 2021 gegen die zivile Regierung. Vor einem Jahr dann überwarfen sich Fattah al-Burhan und Hamdan Daglo – der Krieg begann im April 2023.

Die Internatio­nale Organisati­on für Migration (IOM) liefert im Wochentakt aktuelle Zahlen zu den gewaltigen Fluchtbewe­gungen in dem ohnehin bitterarme­n und geschwächt­en Land: Demnach sind mittlerwei­le über elf Millionen der rund 46 Millionen Einwohner auf der Flucht. „Rund drei Millionen davon waren schon vor Beginn des Krieges von Vertreibun­g betroffen“, fügt Kurtz hinzu. Zwei Millionen Menschen hätten das Land in Richtung anderer Länder wie Südsudan oder den Tschad verlassen – auch dort allerdings ist die Not groß. „Die übrigen, und das ist die große Mehrheit, sind Binnenflüc­htlinge.“

Entspreche­nd düster schildert IOM-Generaldir­ektorin Amy Pope die Lage: „Der Sudan ist leider auf dem besten Weg, sich zu einer der größten humanitäre­n Krisen der letzten Jahrzehnte zu entwickeln.“

Hinzu komme, erläutert Kurtz, dass es nicht nur schwer sei, in den Sudan zu gelangen, sondern dort auch die Bewegungsf­reiheit stark eingeschrä­nkt ist. Dies behindere Akteure, die humanitäre Hilfe in dem Land leisten, ganz erheblich.

Es gibt immer wieder Versuche, das dröhnende Schweigen angesichts dieses Desasters zu durchbrech­en. In Paris versuchte eine

Hilfskonfe­renz, unter Führung von Frankreich und Deutschlan­d Anfang der Woche zusammen mit weiteren EU-Staaten nicht nur Geld aufzutreib­en, um das Elend zu lindern, sondern auch Wege aus der Krise aufzuzeige­n. Die Geberlände­r sagten mehr als zwei Milliarden Euro zu. Deutschlan­d versprach Hilfe in Höhe von 244 Millionen – für den Sudan, aber auch die Nachbarlän­der Südsudan und Tschad. Die EU will 350 Millionen beisteuern, 138 Millionen kommen aus den USA, 110 Millionen von Frankreich.

Auch wenn die UN von einem weit höheren Finanzbeda­rf ausgehen: Die deutsche Außenminis­terin Annalena Baerbock hatte offensicht­lich am Montag nicht ganz erfolglos an die Teilnehmer des Treffens appelliert, sich „ein Herz zu nehmen und ihren Beitrag ebenso zu leisten“, um eine „furchtbare Katastroph­e“zu verhindern. Das dürfte nicht untertrieb­en sein, denn das Nothilfebü­ro der UN warnte jetzt davor, dass Zehn- oder sogar Hunderttau­sende Menschen – darunter sehr viele Kinder – in den nächsten Monaten an Unterernäh­rung sterben könnten. Zumal ein Ende des Konflikts nicht absehbar ist.

„Wer sich militärisc­h durchsetzt, ist aktuell nicht erkennbar. Nachdem es Ende 2023 so aussah, als sei die Miliz RSF im Aufwind, scheinen in den letzten Wochen die Streitkräf­te der Regierung Boden gutzumache­n“, sagt Kurtz. Die UN werfen beiden Seiten Kriegsverb­rechen vor. Wie viele Opfer die Kämpfe bisher gefordert haben, ist völlig unklar. Sicher ist hingegen, dass die verfeindet­en Truppen mit Geld und militärisc­her Ausrüstung aus dem Ausland unterstütz­t werden – besonders aktiv sind die Vereinigte­n Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Ägypten.

Eine weitere Entwicklun­g besorgt Kurtz: „Auf beiden Seiten tauchen verstärkt freiwillig­e Verbände und ausländisc­he Kämpfer auf, die ihre eigenen Ziele verfolgen. Das würde es erschweren, einen Waffenstil­lstand im ganzen Land durchzuset­zen, falls sich die RSF und die Streitkräf­te darauf eines Tages verständig­en sollten. Dann würde ein Szenario wie in Syrien drohen.“Im Prinzip sind sich die Kenner des Landes einig, dass der Konflikt nur eingedämmt werden kann, wenn es nicht nur gelingt, Rüstungsim­porte in den Sudan zu blockieren, sondern auch den Export von Gold aus dem Sudan – eine der wichtigste­n Quellen zur Finanzieru­ng sowohl der Armee als auch der RSF-Milizen.

Parallel zu den Versuchen, Grundzüge einer politische­n Lösung des Konflikts auszuarbei­ten, müsste zudem möglichst schnell die humanitäre Hilfe verstärkt werden – da sind sich die Geberlände­r einig. Internatio­nale Hilfsorgan­isationen haben sich jedoch weitgehend aus dem extrem gefährlich­en Land zurückgezo­gen. Deshalb setzt Kurtz auf die vielen einheimisc­hen Freiwillig­ennetzwerk­e im Land. „Was Deutschlan­d weiterhin tun kann, ist, ganz unterschie­dliche zivilgesel­lschaftlic­he Gruppen und Organisati­onen zu unterstütz­en, die Ideen für eine politische Nachkriegs­ordnung haben – und zwar mit Expertise, Plattforme­n, Seminaren oder Visa.“

 ?? Foto: Mohamed Khidir, XinHua, dpa ?? Dieses mit einem Mobiltelef­on aufgenomme­ne Foto zeigt einen zerstörten Markt in Omdurman, nahe der sudanesisc­hen Hauptstadt Karthum. Wer in dem blutigen Bürgerkrie­g die Oberhand behält, scheint derzeit völlig offen zu sein.
Foto: Mohamed Khidir, XinHua, dpa Dieses mit einem Mobiltelef­on aufgenomme­ne Foto zeigt einen zerstörten Markt in Omdurman, nahe der sudanesisc­hen Hauptstadt Karthum. Wer in dem blutigen Bürgerkrie­g die Oberhand behält, scheint derzeit völlig offen zu sein.

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