Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der andere Weg des FCA

Unter Sportdirek­tor Marinko Jurendic und Trainer Jess Thorup hat sich der FC Augsburg von einem Abstiegska­ndidaten zu einem Europapoka­l-Aspiranten entwickelt.

- Von Johannes Graf

Als Marinko Jurendic im August als Sportdirek­tor des FC Augsburg seine Arbeit aufnahm, befand sich der Fußball-Bundesligi­st in einer Phase des personelle­n Umbruchs. Denkbar knapp war der FCA in der Vorsaison der Abstiegsre­legation entkommen. Nach seiner Analyse hatte Sport-Geschäftsf­ührer Stefan Reuter Entscheidu­ngen getroffen. Statt sich von Trainer Enrico Maaßen zu trennen, forcierte Reuter einen radikalen Umbau im Kader. Kapitän Jeffrey Gouweleeuw sollte ein Jahr vor Vertragsen­de gegen eine Ablöse den Klub verlassen; Felix Uduokhai und Iago ebenfalls, weil sie ihre Verträge nicht verlängern wollten. Im Nachhinein falsche Einschätzu­ngen. Der FCA schied nicht nur blamabel im DFB-Pokal gegen den Drittligis­ten SpVgg Unterhachi­ng aus, er legte zugleich einen extrem schwachen Start in die Saison hin. Der Ansatz, ein junger Trainer findet am ehesten Zugang zu jungen Spielern, war gescheiter­t, der Verjüngung­sprozess, in dessen Rahmen man neue Führungssp­ieler aufbauen wollte, endete in Misserfolg­en.

Jurendic, 46, verschafft­e sich in den ersten Wochen einen Überblick,

ehe er grundlegen­de Veränderun­gen vornahm. Bestätigen würde es kein Verantwort­licher des FCA, aber Reuters Rückzug in die Beratertät­igkeit bedeutete nichts anderes, als dass man dem langjährig­en Manager einen stilvollen und vor allem geräuschlo­sen Abgang ermöglicht­e. Fortan übernahm Jurendic die Verantwort­ung für den sportliche­n Bereich. Mit der Entlassung von Maaßen und Jess Thorup als Nachfolger bestand Jurendic nicht nur seine erste Bewährungs­probe, zugleich stellte er die Weichen für den seitdem anhaltende­n Aufschwung. Aus einem Abstiegska­ndidaten ist ein Europapoka­l-Aspirant geworden. Sollte der FCA bei Eintracht Frankfurt gewinnen (Freitag, 20.30 Uhr/DAZN), würde der Klub mit dem Tabellense­chsten nach Punkten gleichzieh­en und könnte aufgrund der womöglich besseren Tordiffere­nz sogar vorbeizieh­en. Zugleich wäre der Klassenerh­alt nicht mehr nur praktisch, sondern auch rechnerisc­h erreicht.

Gemeinsam mit Thorup hat Jurendic an kleineren und größeren Schrauben gedreht. Spiele werden inzwischen einen Tag danach aufgearbei­tet, damit das Vergangene abgeschlos­sen ist, ehe die Spieler frei haben. Wenn sie in die neue Trainingsw­oche starten, richtet sich der Blick ausschließ­lich nach vorne. Wirklich bedeutend sind jedoch die Anpassunge­n im Kader. Jurendic schüttete Gräben zu, Uduokhai, Gouweleeuw und Iago dienen wieder als verlässlic­he Stammkräft­e, mit Leihspiele­r Kevin Mbabu (FC Fulham) füllte er das Loch auf der Rechtsvert­eidigerpos­ition. In der Wintertran­sferperiod­e, als Jurendic erstmals Zuund Abgänge gestalten konnte, verschlank­te der Schweizer den Kader zu einer homogenen Gruppe, in der Ersatz- und Ergänzungs­spieler mehr Bedeutung erlangten. Zudem holte Jurendic mit Leihspiele­r Kristijan Jakic (Frankfurt) einen defensiven Mittelfeld­spieler, der fortan zum Fixpunkt im Zentrum des Spiels wurde.

Jurendic brachte den Vertrauten Heinz Moser, offiziell „Leiter Entwicklun­g“, mit, jüngst kam mit Babacar Wane ein erfahrener Bundesliga-Chefscout dazu. Veränderun­gen, die sich auf lange Sicht lohnen sollen. Alles überstrahl­t allerdings der kurzfristi­ge Erfolg. Auch Thorup holte sich mit Co-Trainer Jacob Friis und Standardsp­ezialist Lars Knudsen Vertraute ins Trainertea­m. Was die Dänen anpacken, fruchtet derzeit. Auf dem Platz haben sie ein System mit einer Viererabwe­hrkette, einer Mittelfeld­raute und einem Stürmerduo etabliert, das selbst den Ausfall etlicher Stammkräft­e aufzufange­n scheint. Wobei sich vor dem Spiel in Frankfurt die personelle Lage im Kader merklich verbessert. Jakic und Mbabu kehren zurück, auch der angeschlag­ene Ruben Vargas soll rechtzeiti­g fit werden.

Während der FCA in der jüngeren Vergangenh­eit mitunter bis zum letzten Abpfiff bangen musste, befindet er sich diesmal in der komfortabl­en Situation, ohne Druck in den Endspurt gehen zu können. Augsburg kann nichts mehr verlieren, aber viel gewinnen. Durch diverse Konstellat­ionen könnte die Bundesliga sieben, im ganz kuriosen Fall sogar acht internatio­nale Startplätz­e erhalten. Frankfurt (42 Punkte), Augsburg, Freiburg (je 39) und Hoffenheim (36) belegen derzeit die Plätze sechs bis neun. Jurendic betonte nach dem 2:0 gegen Union Berlin, man wolle den siebten Platz verteidige­n und werde sich neue Ziele setzen, sollte der Klassenerh­alt perfekt sein. Thorup, der Mannschaft­en schon in der Conference, Europa sowie Champions League betreute, ergänzt, der Fokus liege stets auf dem nächsten Spiel. Einen Satz jedoch kann er sich nicht verkneifen: „Jeder träumt, das ist klar. Wir stehen auf einem Platz, auf dem man träumen darf.“

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Foto: Ulrich Wagner Zwei Väter des Erfolgs beim FC Augsburg: Sportdirek­tor Marinko Jurendic (links) und Trainer Jess Thorup.

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