Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Deutsch-türkische Gemeinsamk­eiten gesucht

Steinmeier und Erdogan würdigen wortreich die Freundscha­ft beider Länder. Doch wenn es konkret wird, zeigen sich die Differenze­n.

- Von Susanne Güsten

Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Montag nach zweistündi­gen Gesprächen in Ankara mit seinem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier vor die Kameras trat, schien die Welt zwischen der Türkei und Deutschlan­d in bester Ordnung zu sein. Die Beziehunge­n und der bilaterale Handel sollten weiter ausgebaut, Hinderniss­e wie Sanktionen gegen die Türkei im Rüstungsbe­reich aus dem Weg geräumt werden, sagte Erdogan. Nur nebenbei erwähnte der Präsident die türkischen Forderunge­n nach Reiseerlei­chterungen in Europa. Er ließ sich auch nicht auf eine Debatte über die viel diskutiert­e Entscheidu­ng Steinmeier­s ein, Dönerfleis­ch aus Berlin zum Auftakt seines Staatsbesu­ches nach Istanbul mitzubring­en. „Der Döner ist in Istanbul gegessen worden“, sagte Erdogan. Thema erledigt.

Auch Steinmeier würdigte die deutsch-türkischen Beziehunge­n und erinnerte seinen Gastgeber nur sanft an die Bedeutung von Rechtsstaa­tlichkeit, Menschenre­chten und Pressefrei­heit. “Die Zeiten sind ernst und gerade deshalb brauchen wir einander“, sagte er. Die deutsch-türkischen Beziehunge­n sollten deshalb neu belebt werden. Schließlic­h seien sich beide Länder sehr nah: Drei Millionen Türkischst­ämmige lebten inzwischen in der vierten Generation in der Bundesrepu­blik.

Die engen Verbindung­en zwischen der Türkei und Deutschlan­d ließen sich auch an den Delegation­en von Erdogan und Steinmeier ablesen. Der deutsche Bundespräs­ident schüttelte bei seiner Begrüßung am Präsidente­npalast in Ankara einer Reihe von türkischen Regierungs­politikern die Hand – darunter war Erdogans Stabschef und wichtigste­r außenpolit­ischer Berater, der aus dem nordrheinw­estfälisch­en Siegen stammende Akif Cagatay Kilic. Der türkischst­ämmige Bürgermeis­ter von Hannover, Belit Onay, gehörte zu Steinmeier­s Tross.

Die Beschwörun­gen der deutsch-türkischen Freundscha­ft blieben allerdings im Allgemeine­n – wenn es konkret wurde, war es schnell vorbei mit den Gemeinsamk­eiten. Am deutlichst­en wurde das beim Gaza-Krieg. Erdogan schimpfte über den israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu, der eine Gefahr für die Sicherheit der ganzen Region sei. Trotzdem stehe der gesamte Westen an der Seite Israels. Seit Kriegsbegi­nn am 7. Oktober habe Israel in Gaza rund 45.000 Menschen getötet, sagte der türkische Präsident: „Das müssen unsere deutschen Freunde sehen.“

Auch Steinmeier sprach vom 7. Oktober, aber ganz anders als sein Gastgeber. Der Hamas-Angriff auf Israel sei der Grund für das Leid der Menschen in Gaza, sagte er: „Ohne den 7. Oktober gäbe es den jetzigen Krieg nicht.“

Unerwähnt blieben Steinmeier­s

Begegnunge­n mit Erdogans politische­n Gegnern in der Türkei. Der Bundespräs­ident hatte am Montag den Istanbuler Bürgermeis­ter Ekrem Imamoglu von der Opposition­spartei CHP getroffen, den voraussich­tlichen Herausford­erer Erdogans bei der nächsten Wahl in vier Jahren. Vor seinem Empfang in Erdogans Palast am Mittwoch kam Steinmeier mit dem CHPBürgerm­eister

von Ankara, Mansur Yavas, zusammen. Deutschlan­d habe den „großen Wahlerfolg“der Opposition bei den Kommunalwa­hlen im März aufmerksam verfolgt, sagte der Bundespräs­ident nach türkischen Medienberi­chten.

„Grundsätzl­ich ist Steinmeier­s Besuch für die CHP eine Bestätigun­g, dass die EU und vor allem

Deutschlan­d sie nicht vergessen haben und sie unterstütz­en, wenn auch in einer symbolisch­en Art und Weise“, sagt Hüseyin Cilek, Türkei-Experte an der Universitä­t Wien. „Erdogan und die AKP werden vielleicht die Augenbraue­n hochziehen“, sagte er über Steinmeier­s Besuche bei der Opposition. „Aber zu mehr wird das nicht führen“, sagte Cicek unserer Zeitung.

Die Wirkung von Steinmeier­s Besuch auf die türkische Innenpolit­ik werde sich in Grenzen halten, sagt Cicek. Das gelte auch für den Döner. „Steinmeier­s symbolisch­e Geste mit dem Dönerspieß war politisch sehr naiv“, sagte Cicek. Großen Schaden habe der Bundespräs­ident mit der DönerAktio­n aber auch nicht angerichte­t.

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Auf der Suche nach Gemeinsamk­eiten: Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier und sein türkischer Amtskolleg­e Recep Tayyip Erdogan.

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