Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Einer, der etwas zu sagen hat
Mit seinen heute 95 Jahren zeichnet und malt Georg Bernhard täglich vier Stunden in seinem Atelier am Ammersee. Und weiterhin vertritt er auch kraftvoll eine entschiedene Meinung.
Weiter zeichnet er Tag um Tag. Morgens zwei Stunden, nachmittags zwei Stunden. Dafür geht er langsam von seinem Wohnzimmer-Stammplatz mit Blick auf eine alte Eiche im großen Garten zu seinem Atelier im Hinteren des verwinkelten Hauses am Westufer des Ammersees – die Beine wollen nicht mehr so, wie er es will. Aber die Hände stehen ihm weiter zu Gebot, und so kratzt, ja kratzt er mit Rohrfeder und (Sepia-)Tinte seine Figurationen auf und in handgeschöpfte dicke Büttenpapiere – den enormen Widerstand nutzend, den der raue Zeichengrund bietet. Auf dass die Linie „nicht langweilig“werde. Figurationen sind es derzeit nach EgonSchiele-, Gustav-Klimt-, OskarKokoschka-Vorwürfen. Er selbst kommentiert: „Schiele, Klimt, Kokoschka auf Bernhard’sche Art, das macht einen Riesenspaß.“
Zeichnen und Malen als geistiges täglich Brot also treibt Georg Bernhard weiter um und um – Georg Bernhard, den angesehenen Künstler, dem beide Konfessionen etliche Dutzend Fresken, Kirchenfenster und Mosaike in Gotteshäusern vor allem des süddeutschen Raums zu verdanken haben, Bernhard, den geschätzten und hohe Ansprüche stellenden langjährigen Professor an der Fachhochschule Augsburg (Fachbereich Gestaltung). 95 Jahre alt wird er heute, der „unaufhörlich arbeitende Wurler“, wie er sich selbst bezeichnet. Er bohre lange rum beim Zeichnen, überarbeite vieles, zerstöre auch manches. „Mir geht’s darum, dass man sieht, da will einer was – und sich Mühe dabei gibt.“
Anflug von Altersmilde? Anpassung des Anspruchs gegenüber sich selbst und des Anspruchs gegenüber seinen Kollegen? Fehlanzeige. Kann an dieser Stelle, kann zum 95. Geburtstag nicht vermeldet werden. Bernhard vertritt seine Meinung so kraftvoll und entschieden
wie eh und je, auch mal polternd – was seine Ehefrau Brigitte, sich geschwind ins Gespräch einmischend, ebenso entschieden bestätigt. Zur Kirche erklärt Bernhard, dieser Bewunderer Augustinus’: „Sie hat heute keine Funktion mehr, sie überzeugt nicht mehr, aber sie besitzt immer noch mehr Niveau als ein Landratsamt oder eine Sparkasse.“Wie schmeichelhaft dieser Vergleich tatsächlich ist, mag jeder selbst erachten. Und über seine Geburtsstadt erklärt Bernhard: „Augsburg ist, was die Kunst betrifft, mau.“Da erwartet er städtischerseits deutlich mehr an Einsatz.
Immerhin war es Augsburg, das ihn 1963, nach seinem Studium an der Münchner Kunstakademie, mit dem Kunstpreis auszeichnete und wo er dann Lehrer an der einstigen
Werkkunstschule wurde. Das Unterrichten bereitete Bernhard über nahezu zweieinhalb Jahrzehnte hinweg Freude – diese Debatten, was wichtig ist in der Kunst, dieses hartnäckige „Streiten bis zum Gehtnichtmehr“. Auch wenn ihn Ausstellungen und das ganze Drumherum angeblich nicht mehr interessieren: In diesem Jubiläumsjahr stellt er wieder mit ehemaligen Studenten aus, in Augsburg und Leitershofen. Auch Essing an der Altmühl und Hude bei Oldenburg zeigen seine Arbeiten. Fragt man Bernhard bei dieser Gelegenheit nach den Namhaften unter seinen Schüler(innen), hebt er erst einmal an mit Willi Weiner, Wolfgang Reichert, Anne HitzkerLubin, Daniela Kulot, Bea Schmucker ...
Ständig präsent aber ist Bernhard
an sakralem Ort und auch an Bauten der öffentlichen Hand. Seine Glasfenster im Kloster Maria Stern in Nördlingen, die große Fensterrosette von St. Ulrich in Augsburg, die Dreifaltigkeitskapelle in Kriegshaber sowie St. Jakobus in Gersthofen, dies sind wesentliche Beispiele seiner Kunst am Bau. Dazu unter anderem die Betonobjekte an der olympischen Kanustrecke 1972 sowie Fresken für eine Münchner Polizeibehörde. Zu vielen Aufträgen kam der Künstler über gewonnene Wettbewerbe. Ob er die Gründe kenne, warum er so viele Wettbewerbe gewann? Bernhard: „Das weiß ich nicht.“Erst wenn man ihn löchert, ob er denn gar keine Idee habe, worin er der Konkurrenz überlegen war, sagt er: „Ich habe ein Gefühl für Raum und Architektur gehabt.
Das spannten die Architekten.“In der freien Kunst des Georg Bernhard zieht sich das Figürliche durchs Lebenswerk. Mythologisches, Biblisches, Literarisches, Auseinandersetzungen mit der Kunstgeschichte. Er ließ Salome tanzen, er ließ Engel tanzen und auch Todgeweihte, zuletzt in Augsburg bei einer Ausstellung in St. Moritz. Mit verdoppeltem, mit verdreifachtem, „todsicherem“Strich, wie eine Überlagerung von Film-Stils, hielt Georg Bernhard unwiderruflich Letzte Dinge fest, die das nicht sind, was das Sterben auch sein kann: roh und brutal. Georg Bernhard zwei Jahre später: „Der Mensch ist zwar blöd und überflüssig, aber das beste Zeichenobjekt.“Gratulation einem Künstler, der nicht redet! Der stattdessen etwas zu sagen hat.