Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sie ist Augsburgs erste Notarin

Die 37-jährige Nora Ziegert ist die erste Notarin Augsburgs und übernimmt die Kanzlei von Bernhard Hille. Familie und Job managt sie mit einem ausgeklüge­lten Modell.

- Von Andrea Wenzel

Wer in die Biografie von Nora Ziegert blickt, zieht den Schluss: Etwas anderes als Juristin konnte die 37-Jährige eigentlich nicht werden. Ihr Vater, Ulrich Ziegert, ist ein bekannter Strafverte­idiger, der unter anderem den Fall Luigi Ferrari betreut hat, der fünf Jahre lang unschuldig im Gefängnis saß. Ihre Mutter, Hanna Ziegert, ist psychiatri­sche Gutachteri­n – unter anderem fürs Gericht – und war etwa im Fall Mollath aktiv. Dass Nora Ziegert Jura studierte, war zunächst aber eine Notlösung – die sich dann zu einer Karriere auswuchs, in deren Folge sie die erste Notarin in der Geschichte Augsburgs wurde und ein modernes Familienmo­dell lebt.

„Ich wusste nach dem Abitur nicht, was ich beruflich machen will. Also entschied ich mich für das Jurastudiu­m, weil ich dachte, das ist eine gute Basis und lässt mir viele Optionen offen“, erzählt Ziegert. Sie fand Gefallen am Zivilrecht und schloss das Studium mit Bestnoten ab. Diese ermöglicht­en ihr den Schritt ins Notarwesen. Zuletzt war sie Geschäftsf­ührerin der Notarkasse mit 1000 Mitarbeite­nden. So viele wird Nora Ziegert künftig nicht mehr haben, sondern „nur“noch acht. Sie übernimmt das Notariat von Bernhard Hille in der Annastraße. Der 67-Jährige geht nach 32 Jahren als Notar und vielen weiteren Aufgaben wie dem Engagement bei der Weltnotarv­ereinigung, der Bundesnota­rkammer oder mehr als einem Jahrzehnt als Sprecher der Notare im Landgerich­tsbezirk Augsburg in den Ruhestand. Er habe zwar eine „tolle Nachfolger­in“gefunden, der Abschied falle aber auch schwer: „Diese Notarstell­e wurde für mich neu geschaffen, ich musste sie mit meinem Team aufbauen“, erzählt er. Über die Jahrzehnte habe er viele Familien, Unternehme­n, Einrichtun­gen, Städte und Kommunen begleitet. „Von der Firmenüber­gabe bis zur Oma, die ihrem Enkel etwas vermachen wollte, war alles dabei“, erzählt Hille.

Er habe sich bei seinen Engagement­s stets als „Brückenbau­er“verstanden. „Unter anderem habe ich mich vier Jahre in Sachsen engagiert, um nach der Wiedervere­inigung das dortige Notariat aufzubauen. Hier waren immer wieder Brücken zu schlagen zwischen ostund westdeutsc­her Mentalität.“Dies scheine ihm gelungen zu sein: Das Sächsische Notariat hat ihn zum Ehrenmitgl­ied ernannt. Und auch im notarielle­n Alltag seien Brückenbau­er gefragt – immer dann, wenn nach der Erläuterun­g schwierige­r juristisch­e Sachverhal­te

Fragen und Konflikte auftreten, bei denen der Notar als neutraler Mittler agieren kann. „Ein sehr reizvoller Aspekt der notarielle­n Tätigkeit“, so Hille. Ebenso wie sein Einsatz für das Lesertelef­on der Augsburger Allgemeine­n, wo er unter anderem zu den Themen

Erbrecht oder Vorsorgevo­llmacht Ansprechpa­rtner war.

Bernhard Hille war bis zu seinem Ausscheide­n Ende April einer von 15 Augsburger Notaren. Bisher gab es nur Männer. Mit Nora Ziegert übernimmt eine der Stellen nun erstmals eine Frau. Die 37-Jährige hat einen dreijährig­en Sohn und vereint Familie und Karriere. Dafür lebt sie ein modernes Familienmo­dell. „Mein Mann arbeitet Teilzeit als Staatsanwa­lt. Dazu haben wir tolle Unterstütz­ung durch meinen Schwiegerv­ater.“Der feste Tag mit dem Opa sei für ihren Sohn ein Highlight und ihre Mutter ihr stets ein Vorbild gewesen, wie sich Familie und berufliche­r Erfolg vereinbare­n lassen. Im August zieht Ziegert mit ihrer Familie von München nach Augsburg. Bei der Heirat mit ihrem Mann sei ein Deal geschlosse­n worden: „Mein Nachname, seine Stadt“, erzählt sie lachend.

Ihre Aufgabe als Notarin beschreibt sie als lebendigen Beruf, der mehr sei, als Paragrafen zu wälzen. „Ich bin Beraterin für meine Mandantinn­en und Mandanten, helfe, Juristende­utsch in verständli­che Sprache zu übersetzen und umgekehrt.“Sie begleite Menschen bei für sie aufregende­n Schritten wie der Unterzeich­nung eines Ehevertrag­s oder dem Hauskauf. Sie schätze den Umgang mit den Menschen. „In meinem Beruf gibt es keinen Small Talk. Man kommt bei der Beratung zu einem Testament direkt dazu, ob es womöglich noch uneheliche Kinder gibt.“

Seit 1. Mai ist Ziegert Augsburgs erste Notarin. Für Bernhard Hille beginnt ein neuer Lebensabsc­hnitt. Dennoch wolle er, wenn gewünscht, seine Nachfolger­in weiter unterstütz­en und auch in einigen seiner Ämter – egal ob in der Juristerei oder außerhalb – weiter treu bleiben. Unter anderem ist er im Vorstand der Freunde der Kunstsamml­ungen Augsburg aktiv und Mitglied des Leopold-Mozart-Kuratorium­s. Er wolle sich aber auch Zeit für seine Frau nehmen, mit ihr wandern, segeln und Tango tanzen gehen.

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Wyszengrad Foto: Silvio Notar Bernhard Hille geht in den Ruhestand und übergibt an Nora Ziegert. Sie wird Augsburgs erste Notarin.

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