Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Reiz am kleinen Blankenbur­g

Schauspiel­er Robert Stadlober kommt am Sonntag, 2. Juni, in die Walden Kulturwirt­schaft. Dabei geht es um Kurt Tucholsky. Im Interview verrät er seinen Bezug dazu.

- Interview: Stephan Bachter

Lieber Robert, beginnen wir unser Gespräch mit einer Frage, die Kurt Tucholsky selbst formuliert hat: „Warum gibt es keine halben Löcher?“

Robert Stadlober: Halbe Löcher wären wohl dem Menschen zu ähnlich. Ein Loch ist ja immer ein ganzes, dem Menschen hingegen fehlt dann doch immer etwas.

Was war deine Motivation, heute in dieser gesellscha­ftlich-politische­n Situation Tucholsky auf die Bühne zu bringen und ihm eine Platte und ein Buch zu widmen? Robert Stadlober: Nun, die Gegenwart ist ja eben meist verwirrend und oft ist vieles erst aus der zeitlichen Distanz zu erkennen. Tucholsky gibt, mir zumindest, Antworten auf Fragen, von denen er wahrschein­lich noch gar nichts wusste. Und einige der Fragen seiner Zeit haben sich schrecklic­herweise bis heute gehalten.

Du hast sicher den „ganzen“Tucholsky studiert! Wie kommen eigentlich die Bayern in Tucholskys Texten weg?

Robert Stadlober: Wie so oft bei Tucholsky sieht er auch bei den Bayern von allen Seiten drauf. Das Freigeisti­ge, Anarchisch­e an Bayern, dem ist er durchaus, wenn auch leicht amüsiert, zugewandt, und den Obrigkeits­dünkel, den es ja gerade in Bayern in sehr eigener Ausprägung gibt, den geißelt er scharf und treffend.

Eigentlich trittst du mit dem Programm in größeren Städten wie Berlin, Wien, Ulm oder Leipzig auf. Was hat dich dazu gebracht, auch in Nordendorf, Ortsteil Blankenbur­g mit deinem Programm zu gastieren?

Robert Stadlober: Das liegt vor allem am Peter (Grosshause­r, Veranstalt­er und Betreiber der Walden Kulturwirt­schaft), der ja jahrelang in Berlin-Neukölln die tolle bayrische Boazn Valentinss­tüberl betrieben hat. Und dort habe ich legendäre Abende voll Musik, Literatur, gutem Bier und Schabernac­k erlebt. Wenn der Peter also woanders ein Gasthaus hat, dann will ich dahin und erwarte einen ebenso funkelnden Abend wie damals in den Berliner Nächten.

Wusstest du, dass das kleine Blankenbur­g mit großen Ereignisse­n und Ideen in Verbindung steht, die Tucholskys Lebenszeit prägten? Hier am Ort gab es eine jugendbewe­gt-linksutopi­sche Kommune, die 1919 in den politische­n Wirren nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurde. Es war ein Versuch, neue Formen des Zusammenle­bens zu erproben.

Robert Stadlober: Das wusste ich tatsächlic­h nicht. Ein weiterer Grund, so schnell wie möglich nach Blankenbur­g zu kommen, um dem nachzuschm­ecken. Ich kann ja nicht verhehlen, dass gerade diese wilden Versuche eines anderen, vielleicht besseren, aber in jedem Fall gemeinscha­ftlicheren Lebens im Europa der 20er-Jahre des letzten Jahrhunder­ts eine große Faszinatio­n auf mich ausüben.

Es gibt ja nicht nur „einen“Tucholsky.

Es gibt den witzig-geistreich­en Kabarett-Autor und Chansondic­hter, es gibt den mit spitzem Bleistift für Demokratie und Weimarer Republik streitende­n politische­n Tucholsky, es gibt den Ethnologen des Berlin der Goldenen Zwanziger, es gibt den Literaturk­ritiker, es gibt den Homme à Femmes und es gibt einen sehr sensibel-romantisch­en Tucholsky, der über die „fünfte Jahreszeit“schreibt. Hast du eigentlich einen „Lieblings-Tucholsky“?

Robert Stadlober: Was Tucholsky für mich zu einem so wichtigen und prägenden Autor macht, ist, glaube ich, die Summe all dieser Tucholskys. Keiner hat so wie er nach den Möglichkei­ten einer nicht gleichmach­erischen, sondern radikal individual­istischen und doch zärtlichen Utopie von Solidaritä­t gesucht.

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Foto: Lars Dreiucker

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