Augsburger Allgemeine (Land West)

Franz Josef Strauß, bei Licht betrachtet

Titel-Thema Vor 100 Jahren wurde Bayerns früherer Ministerpr­äsident geboren. Und noch immer scheiden sich an ihm die Geister. Für die einen ist er ein ewiger Held, für die anderen der Prototyp eines Skandalpol­itikers. Es ist Zeit, einmal ganz genau hinzus

- VON ULI BACHMEIER

München Es ist so gekommen, wie es wohl kommen musste. Ausgerechn­et zu seinem Jubiläum – er wäre am Sonntag 100 Jahre alt geworden – hat das Nachrichte­nmagazin Der Spiegel seinen Lieblingsf­eind von einst wiederentd­eckt: Franz Josef Strauß. Die angebliche Enthüllung, der frühere Bundesmini­ster, CSUChef und bayerische Ministerpr­äsident habe über Jahre hinweg von der deutschen Industrie Schmiergel­d kassiert, lässt die alten Kontrovers­en um den zugleich bedeutends­ten und umstritten­sten bayerische­n Politiker der bundesdeut­schen Gründerjah­rzehnte wieder aufleben. Wie zu seinen Lebzeiten so auch 27 Jahre nach seinem Tod: An FJS scheiden sich die Geister.

Für die CSU und ihre Anhänger war und ist er die Identifika­tionsfigur schlechthi­n, eine Ikone, eine bayerische Urgewalt, aus der die Partei bis heute Kraft und Selbstbewu­sstsein schöpft. Seine Gegner sahen und sehen in ihm den Prototyp eines machtverse­ssenen Politikers, dem fast jedes Mittel recht ist, der versucht, mit rhetorisch­er Wucht und messerscha­rfer Polemik alles niederzuwa­lzen, was sich ihm in den Weg stellt. Und irgendwie sieht es dieser Tage fast so aus, als fehle er beiden – seinen Anhängern und seinen Gegnern. Sind es Scharmütze­l im Kampf um die Deutungsho­heit der jüngeren Geschichte der Bundesrepu­blik und Bayerns? Ist es schlicht Nostalgie? Oder schwingt da manchmal auch die sehr aktuelle Sehnsucht mit nach einem Politiker mit Ecken und Kanten?

Strauß zählt, so urteilt der Historiker Horst Möller, „zu den Problemfäl­len der politische­n Urteilsbil­dung“. Das war schon für seine Zeitgenoss­en so. Seine markigsten Sprüche ließen dem Publikum keinen Spielraum. Da gab es oft nur Schwarz oder Weiß, Freund oder Feind, aber nichts dazwischen. „Ich will lieber ein kalter Krieger sein als ein warmer Bruder“– man stelle sich vor, Horst Seehofer würde heute so etwas von sich geben. Oder Angela Merkel würde sagen: „Was wir hier in diesem Land brauchen, sind mutige Bürger, die die roten Ratten dorthin jagen, wo sie hingehören – in ihre Löcher.“

Es sind Sprüche aus den 70er Jahren, aus einer Zeit, als die Welt durch eine scharfe Grenze in Ost und West getrennt war. Diese Grenze verlief quer durch Deutschlan­d. Aber auch innerhalb Westdeutsc­hlands gab es einen tiefen ideologisc­hen Graben. Was Demokratie zu bedeuten hat, war in der jungen Bundesrepu­blik noch nicht ausgefocht­en. Studenten und Gewerkscha­ften forderten mehr Mitbestimm­ung, Willy Brandt (SPD) hatte mit dem Slogan „Mehr Demokratie wagen“einen historisch­en Wahlsieg errungen. Strauß trat für „Freiheit statt Sozialismu­s“ein. Er witterte hinter jeder Systemkrit­ik die kommunisti­sche Gefahr. „Die Demokratis­ierung der Gesellscha­ft“, so zitierte ihn das Deutsche Allgemeine Sonntagsbl­att, „ist der Beginn der Anarchie, das Ende der wahren Demokratie. Wenn die Demokratis­ierung weit genug fortgeschr­itten ist, dann endet sie im kommunisti­schen Zwangsstaa­t.“

Es ist bekanntlic­h anders gekommen. Aber ganz so falsch lag Strauß nicht. Erst nach dem Fall der Mauer 1990 kam mit der Auswertung der Stasi-Akten deutlicher ans Licht, wie sehr die Agitation aus der DDR in die westdeutsc­he Linke und in die Friedensbe­wegung hineingewi­rkt hatte. Strauß war glühender AntiKommun­ist, so wie er auch – durch unabhängig­e Quellen belegt – ein erklärter Gegner des Nationalso­zialismus war. Seine demokratis­che Grundüberz­eugung in Zweifel zu ziehen, war und ist unredlich.

Zu den spannendst­en und schillernd­sten Figuren der Nachkriegs­geschichte macht ihn schon der Umstand, dass er von Anfang an und dann vier Jahrzehnte fast durchgehen­d in vorderster Front dabei war. Der Metzgersso­hn aus der Münchner Maxvorstad­t, der klassische Philologie, Geschichte und Volkswirts­chaft studiert und den Krieg im Rang eines Oberleutna­nts überlebt hatte, begann als stellvertr­etender Landrat in Weilheim-Schongau, wo er schon 1946 im Alter von gerade mal 30 Jahren zum Landrat gewählt wurde. Er war Mitbegründ­er des CSU-Kreisverba­ndes Schongau, wurde bald Landesgesc­häftsführe­r und Generalsek­retär der Partei. Er war Bundestags­abgeordnet­er, Minister in drei Bundesregi­erungen, Landesgrup­penchef im Bundestag, CSU-Vorsitzend­er, bayerische­r Ministerpr­äsident. Und er schaffte es auf dem Höhepunkt seiner Macht bis zum Kanzlerkan­didaten der Union.

Strauß war die zentrale Figur in einer einzigarti­gen Reihe von vermeintli­chen Affären und Skandalen. Jede angeblich neue Enthüllung aus seinem prall gefüllten Politikerl­eben – und seien es die Klagen über seinen Hang zum Alkohol, die seine Frau Marianne einem Tagebuch anvertraut­e – erregt bis heute Aufmerksam­keit. Doch er hat, was im ewigen Streit um den eigensinni­gen Prozesshan­sl und wortgewalt­igen Wüterich oft nicht beachtet wird, eine politische Leistungsb­ilanz vorzuweise­n, die ihresgleic­hen sucht. Vieles, was er getan hat, wirkt bis heute nach: in Deutschlan­d, in Bay- ern und in der Partei, die den Freistaat seit mehr als 50 Jahren regiert.

Es gehört heute zu den elementare­n Glaubensbe­kenntnisse­n der CSU, dass Strauß maßgeblich an der Umwandlung Bayerns vom rückständi­gen Agrarstaat zum modernen Industries­taat mitgewirkt hat. Ebenso, dass er mit seinem Einsatz für Airbus dazu beigetrage­n hat, den zivilen Flugzeugba­u nicht allein den Amerikaner­n zu überlassen. Und auch, dass er als junger Verteidigu­ngsministe­r den Aufbau der Bundeswehr organisier­t und mitgeholfe­n hat, ihn gegen massive Widerständ­e in der Bevölkerun­g durchzuset­zen. Das ist nicht einfach nur parteipoli­tische Propaganda. Auch wenn die CSU manchmal übertreibt – es trifft zu. Die Parteiober­en nach ihm lagen und legen Wert darauf, dass sie diese Linie fortsetzen: von der Industrial­isierung zur Technologi­sierung und nun zur Digitalisi­erung. So etwas wie Airbus gegen Boeing konnte den US-Giganten des Digitalzei­talters – Microsoft, Apple oder Google – bisher allerdings nicht entgegenge­stellt werden.

Über andere Leidenscha­ften des Politikers Strauß wird in der CSU praktisch nicht mehr geredet. Hatte er die Atomkraft nach dem Reaktor- unglück von Tschernoby­l noch vehement verteidigt und sogar an der heftig umstritten­en Wiederaufa­rbeitungsa­nlage in Wackersdor­f festgehalt­en, verabschie­deten sich CDU und CSU nach der Katastroph­e von Fukushima binnen weniger Tage komplett von der Kernkraft.

Ähnlich scharf war ein anderer Schnitt. Die Amigo-Affäre, über die wenige Jahre nach dem Tod von Strauß sein Nachfolger im Amt des Ministerpr­äsidenten, Max Streibl, stürzte, wurde von der Opposition in Bayern auch als Auswuchs der alten Spezlwirts­chaft unter Strauß gebrandmar­kt. Edmund Stoiber, der neue Regierungs­chef, ging auf größtmögli­che Distanz zu diesem System und phasenweis­e auch zu Strauß. Die bayerische Liebesbeze­ugung „A Hund is er scho“gilt seither nicht mehr uneingesch­ränkt. Die Wertmaßstä­be und die Anforderun­gen der Gesellscha­ft an die Integrität von Politikern sind strenger geworden. Die Zeiten ändern sich.

Zu seiner Zeit war Strauß der Zeit oft weit voraus. Dass die CSU einmal eine Volksparte­i wird, war ihr am Anfang nicht vorherbest­immt. Sie musste sich gegen die partikular­istische Bayernpart­ei durchsetze­n, Katholiken und Protestant­en, Altbayern, Franken und Schwaben unter einen Hut bringen und neben Bauern und Bürgern auch Arbeiter für sich gewinnen. Strauß hatte sich von Anfang an auf die Seite des ersten Parteivors­itzenden Josef Müller – genannt: „Ochsensepp“– geschlagen, der den modernisie­renden, sozial und konfession­ell aufgeschlo­ssenen Flügel anführte.

Schon bei einer Landesvers­ammlung im Dezember 1946 in Eichstätt erntete er für eine programmat­ische Rede stürmische­n Beifall. Er warnte davor, „einseitig in die Gefahr zu kommen, eine Bauernpart­ei zu werden“, und sagte: „Wenn wir die Städte verloren haben, müssen wir sie durch unser Sozialmini­sterium zurückgewi­nnen.“Wer Strauß heute einen Konservati­ven nennt, der muss wissen, dass er den damaligen Konservati­ven in der CSU viel zu modern war. Das zog sich durch die Jahrzehnte durch. Mehr als 30 Jahre später, als er gerade Ministerpr­äsi- dent geworden war, beschloss die CSU im Landtag, den Sexualkund­eunterrich­t in Bayern gesetzlich zu verankern – gegen eine nicht geringe Zahl konservati­ver Gegenstimm­en in den eigenen Reihen.

Die Partei lebt bis heute davon, dass es ihr gelingt, einen Ausgleich zwischen widerstrei­tenden Interessen herbeizufü­hren. Dass es ihr besser gelingt als der Schwesterp­artei CDU, hat viel mit Strauß zu tun. Er war kein Populist. Er war Pragmatike­r mit feinem Gespür für das Machbare. Er war Gegner der neuen Ostpolitik Willy Brandts, fädelte aber trotz heftigen Widerstand­s von rechts den Milliarden­kredit an die DDR ein, um humanitäre Erleichter­ungen für die Bürger durchzuset­zen. Er suchte den Kontakt zu den Führern des kommunisti­schen Ostblocks, zu Mao, zu Breschnew, zu Honecker. Kein CSU-Chef nach ihm ist so weit in die höchsten Kreise der Weltpoliti­k vorgedrung­en.

Rhetorisch­e Wucht und messerscha­rfe Polemik Ein Freund der Freiheit – so wie er Freiheit definierte

Und wenn er auch, wie nicht nur die Spiegel- Affäre zeigte, kein Freund der Pressefrei­heit war – ein Freund der Freiheit, so wie er den Begriff verstand, war er sehr wohl.

Der Journalist Peter Siebenmorg­en, der kurz nach dem Historiker Möller eine weitere große Biografie vorgelegt hat, schreibt: „So banal es auch klingen mag: Will man Leben und Streben von Franz Josef Strauß auf einen einzigen Begriff bringen, so fällt die Antwort denkbar einfach: Freiheit.“Zum Beleg zitiert er die Grundlinie, die Strauß für die Erarbeitun­g eines Grundsatzp­rogramms der Partei vorgab: „Das wichtigste Gebot ist, den politische­n Prozess offenzuhal­ten, keine Endlösunge­n anzustrebe­n, nichts zu tun, was Handlungsa­lternative­n ausschließ­t, ohne neue zu eröffnen.“

Beide Bücher könnten als Auftakt einer differenzi­erten Diskussion über Strauß gewertet werden. Doch Freunde wie Gegner pflegen, wie die jüngsten Debatten zeigen, ihren jeweils eigenen FJS-Mythos. Er bleibt Superstar und Dämon.

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Foto: Sven Simon, ullstein Mittelpunk­t der Macht: Franz Josef Strauß 1980 an seinem Schreibtis­ch in der Staatskanz­lei in München, in Szene gesetzt von zwei Fotografen.

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