Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Schmerz eines Vaters

Syrien Der kleine Aylan, dessen Foto die Welt bewegte, wurde im syrischen Kobane beerdigt. Der Mann, der fast seine ganze Familie verloren hat, fordert Frieden für sein Land

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Abdullah Kurdi wollte der Hölle in Syrien entkommen und mit seiner Familie nach Deutschlan­d fliehen. Doch am Freitag kehrte der 40-Jährige in seine Heimat zurück – mit den Särgen seiner Kinder Aylan und Galip und seiner Frau Rihana. Aylan, der ertrunkene dreijährig­e Junge, dessen Foto um die Welt ging, wurde neben seinem Bruder und seiner Mutter in der nordsyrisc­hen Stadt Kobane beigesetzt. Vater Abdullah ist ein gebrochene­r Mann. Er will in Kobane bleiben und hat nur einen Wunsch: „Die schmerzvol­le Tragödie in Syrien soll endlich aufhören.“

Nach dem Freitagsge­bet wurden die drei Särge auf dem Friedhof von Kobane neben den frisch ausgehoben­en Gräbern aufgestell­t. Verwandte nahmen die in weiße Tücher gehüllten Kinderleic­hen aus ihren Särgen, um sie nach islamische­r Sitte ins Grab zu legen. Politiker aus der Türkei und aus dem nordsyrisc­hen Kurdengebi­et gaben ihnen das letzte Geleit.

Das Schicksal der Familie Kurdi, die in der Nacht zum Mittwoch bei Bodrum an der Ägäis ein Schlauchbo­ot bestieg, das sie zur griechisch­en Insel Kos bringen sollte, ist durch das Foto von Aylan zum Symbol des Flüchtling­selends an Europas Grenzen geworden. Vor einem Jahr floh Abdullah Kurdi mit seiner Frau und seinen Söhnen aus Kobane, das damals von der Terrormili­z Islamische­r Staat belagert wurde, über die Grenze in die Türkei. Zwölf Verwandte seien bei den Kämpfen gegen den IS umgekommen, sagte Abdullahs Schwiegerv­ater Seho Sen der türkischen Zeitung Radikal.

In der Türkei wollten die Kurdis nur vorübergeh­end bleiben, doch ein Asylantrag der Familie in Kanada wurde abgelehnt, weshalb sich Abdullah für die gefährlich­e Bootsfahrt nach Griechenla­nd entschied. Das eigentlich­e Ziel sei Deutschlan­d gewesen, sagte Seho Sen: „Vor drei Monaten sagte meine Tochter mir, dass sie nach Deutschlan­d wollten.“Die Familie habe Goldschmuc­k versetzt, um das Geld für Schleuser auftreiben zu können. Nur wenige Stunden vor der verhängnis­vollen Fahrt habe er mit Rihana telefonier­t und sie angefleht, nach Kobane zurückzuke­hren.

Einer Verwandten in Kanada vertraute Rihana Kurdi kürzlich an, sie habe Angst vor der Überfahrt nach Griechenla­nd, weil sie nicht schwimmen könne. Sie ertrank wie ihre beiden Söhne, als das Schlauchbo­ot kenterte. Insgesamt starben in jener Nacht zwölf Flüchtling­e an der türkischen Ägäis-Küste.

Die türkische Regierung sieht sich nach dem Tod der Flüchtling­e in ihrer scharfen Kritik an Europa bestätigt. Der Westen wolle die Menschen aus Syrien und anderen Ländern von sich fernhalten, „koste es, was es wolle“, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan. Ministerpr­äsident Ahmet Davutoglu sagte, das Schicksal der Flüchtling­e verdeutlic­he die Notwendigk­eit, in Syrien eine militärisc­h gesicherte Schutzzone für Rückkehrer einzuricht­en. Dieser türkische Plan wird vom Westen mit erhebliche­r Skepsis betrachtet.

An den türkischen Küsten setzten syrische Flüchtling­e ungeachtet der Gefahren ihre Versuche fort, über die Ägäis nach Griechenla­nd zu gelangen. Auch von jener Bucht bei Akyarlar aus, an deren Strand der kleine Aylan tot aufgefunde­n wurde, fuhren erneut Schlauchbo­ote los. „Sterben tun wir sowieso“, sagte der Syrer Hansa Baken der privaten türkischen Nachrichte­nagentur DHA im westtürkis­chen Izmir. In Syrien sei ihnen der Tod gewiss. „Wenn wir rübergehen, haben wir immerhin eine kleine Chance, gerettet zu werden.“

Natürlich haben auch Flüchtling­e wie Baken vom Schicksal des kleinen Aylan gehört, doch umstimmen konnte das Drama sie keineswegs. „Traurig“sei das, was dem Jungen geschehen sei, sagte Baken. Aber: „Wir werden fahren.“Muhammet Özen vom Selbsthilf­everein der Syrer in Izmir zufolge wagen jede Nacht mehrere tausend Menschen die Überfahrt. Im Durchschni­tt komme einer von hundert Flüchtling­en dabei ums Leben. Wegen der Aussichtsl­osigkeit in Syrien nähmen die Menschen dennoch das Risiko auf sich. „Europa bedeutet für sie die Rettung.“

Der Regierungs­chef erneuert Forderung nach militärisc­her Schutzzone

Newspapers in German

Newspapers from Germany