Augsburger Allgemeine (Land West)
Deutsche Gründlichkeit war gestern
Gipfel Große Koalition will Flüchtlingskrise offensiv begegnen
Berlin Es gilt das Wort der Kanzlerin. Deutsche Gründlichkeit sei ja „super“, sagte Angela Merkel bei ihrem viel beachteten Auftritt vor der Hauptstadtpresse am Anfang der Woche, doch angesichts der Herausforderungen durch die Flüchtlingskrise sei nun „deutsche Flexibilität“gefordert. Wenn sich die Partei- und Fraktionschefs der Großen Koalition mit den zuständigen Fachministern am Sonntagabend im Kanzleramt zum Gipfel treffen, dreht sich alles um das Thema Flüchtlinge und die Frage, wie die ankommenden Menschen angesichts das nahenden Winters sicher untergebracht werden können. Bis Ende Oktober, so das Ziel, soll niemand mehr in einem Zelt wohnen – derzeit sind es noch rund 20 000.
Das Treffen, heißt es in Berlin, werde angesichts der Dimension der Herausforderung den Charakter eines „Fachgesprächs“haben, das der Vorbereitung des Bund-LänderGipfels mit den Ministerpräsidenten am 24. September dient. „Parteipolitischen Streit können wir uns nicht leisten, die Menschen erwarten von uns, dass wir rasch handeln“, heißt es in der Union. Und auch die SPD weiß, dass es am Sonntag nicht um die Erörterung von Grundsatzfragen, sondern um praktische Hilfen und pragmatische Lösungen geht. „Wir werden am Sonntag weder über Betreuungsgeld noch über Einwanderungsgesetz verhandeln, sondern ausschließlich über die Frage, wie wir die große Zahl der Flüchtlinge in Deutschland menschenwürdig unterbringen können“, sagt Fraktionschef Thomas Oppermann.
Die Regierung schaltet in den Krisenmodus um. In zahlreichen Punkten sind sich Union und SPD längst einig. So steht das Wort der Kanzlerin, dass sich der Bund dauerhaft und substanziell an den Kosten für die Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern beteiligt. Umstritten ist allerdings, wie dies geschehen soll. Die Länder fordern einen Pauschbetrag pro Flüchtling. Innenminister Thomas de Maizière hat eine Änderung des Grundgesetzes ins Spiel gebracht, damit der Bund das Geld direkt an die Kommunen überwei- sen kann, was nach der geltenden Gesetzeslage nicht möglich ist. Die Bundesregierung sieht die Gefahr, dass die Länder die Gelder nicht vollständig an ihre Städte und Landkreise weitergeben. Dieses Vorhaben stößt in Teilen der SPD allerdings auf massiven Widerstand. Während die Bundestagsfraktion nach den Worten ihres Vorsitzenden Thomas Oppermann offen für eine Änderung der Verfassung ist, lehnt der stellvertretende Parteichef Ralf Stegner dies kategorisch ab.
Einig sind sich Union und SPD, für Erstaufnahmeunterkünfte die strengen Vorschriften des Baurechts beim Brandschutz oder der Wärmedämmung zu lockern. Erwogen wird auch, dass der Bund die Kommunen bei der Bereitstellung von Unterkünften für die Erstaufnahme unterstützt. Nach Ansicht der SPD werden 100000 zusätzliche Plätze benötigt, von denen der Bund die Hälfte zur Verfügung stellen soll. Um die Asylverfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu beschleunigen, soll die Zahl der Mitarbeiter noch einmal aufgestockt werden, zudem sollen 5000 neue Stellen beim Bundesfreiwilligendienst für die Betreuung von Flüchtlingen geschaffen werden.