Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Foto ändert alles

Großbritan­nien Asyldebatt­e neu entfacht

- VON KATRIN PRIBYL

London Die Taktik der britischen Regierung in der Flüchtling­skrise hieß in den vergangene­n Monaten Abschrecku­ng. Gegen die „Menschensc­hwärme“auf dem Mittelmeer, wie Premiermin­ister David Cameron die Flüchtling­e nannte. Doch dann schockiert­e diese Woche das Bild des ertrunkene­n Flüchtling­sjungen die Briten, und die Situation scheint plötzlich eine andere.

Statt sie „Flüchtling­e“zu nennen, wurde der im Königreich negativ konnotiert­e Reizbegrif­f „Migranten“benutzt. Cameron kündigte am Freitag an, Großbritan­nien wolle mehrere tausend Menschen aufnehmen, die aus Syrien geflohen sind. „Als Vater habe ich mich tief bewegt gefühlt vom Anblick dieses kleinen Jungen an einem Strand in der Türkei“, sagte der Regierungs­chef nach seiner politische­n Kehrtwende. Das klang wenige Tage zuvor noch ganz anders, aber der Druck auf Westminste­r ist zuletzt zu stark geworden. Zum einen hagelte es scharfe Kritik von den anderen EU-Mitgliedss­taaten, die forderten, dass Großbritan­nien seinen Teil zur Lösung der Krise beitragen müsse. 2015 hat die Insel lediglich 216 syri- sche Flüchtling­e aufgenomme­n, in den vergangene­n vier Jahren waren es laut offizielle­n Angaben insgesamt etwa 5000 Menschen aus dem Kriegsland, die Zuflucht im Königreich gefunden haben.

Doch es war vor allem der innenpolit­ische Druck, dem Cameron nicht mehr standhalte­n konnte. Sowohl die Opposition als auch der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, beklagten die britische Verweigeru­ng. Das geistliche Oberhaupt der Kirche sagte, sein Herz sei gebrochen. Selbst bisherige Befürworte­r des harten Asylkurses wie einige Tory-Parlamenta­rier oder konservati­ve Medien forderten nun in ihrer Bestürzung über die Bilder des toten Jungen eine Entschärfu­ng. Mehr als 370000 Menschen haben zudem bis Freitagabe­nd in einer Petition die Regierung und Abgeordnet­e aufgeforde­rt, mehr Flüchtling­e ins Land zu lassen. Doch London will nicht jene Flüchtling­e aufnehmen, die derzeit in Calais ausharren, sich in Budapest in überfüllte Züge quetschen oder an den Stränden von Italien und Griechenla­nd voller Hoffnung ankommen. Man plane, Menschen Asyl zu gewähren, die bislang in Lagern nahe der syrischen Grenze leben, heißt es aus London.

Newspapers in German

Newspapers from Germany