Augsburger Allgemeine (Land West)

„Der Helmut Kohl wird nie Kanzler!“

Titel-Thema Franz Josef Strauß und sein ewiger Rivale – eine Geschichte von lautem Gebrüll und eiskalter Taktik, von zweisamen Spaziergän­gen und einem Mann, der sich um die Chance seines Lebens betrogen fühlte

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg November 1976, der Dunst von Bier und Zigaretten wabert durch ein Wienerwald-Restaurant in München. Es ist schon spät, als Franz Josef Strauß der Kragen platzt. „Der Helmut Kohl wird nie Kanzler werden, er ist total unfähig. Ihm fehlen die charakterl­ichen, die geistigen und die politische­n Voraussetz­ungen. Ihm fehlt alles dafür“, brüllt das politische Urvieh hinter vermeintli­ch verschloss­enen Türen. Der CSU-Chef hat keine Ahnung, dass seine Wutrede an die Partei-Jugend heimlich mitgeschni­tten wird. Schon bald landet eine Abschrift des brisanten Tonbandes ausgerechn­et in der Redaktion des Spiegel. Jetzt weiß ganz Deutschlan­d, wie Strauß wirklich über Kohl denkt.

Die Vorgeschic­hte dieses bayerische­n Vulkanausb­ruchs liefert die Bundestags­wahl 1976. Nach deprimiere­nden Jahren in der Opposition wittern CDU und CSU ihre Chance, endlich wieder an die Macht zu kommen. Nie war Franz Josef Strauß seinem Lebenstrau­m näher. Seit 1949 sitzt er im Bundestag, jetzt will er endlich Kanzler werden. Das Dumme an seinem Plan: Helmut Kohl hat genau denselben.

Der Pfälzer gilt als junger Wilder, schon mit 39 wird er Ministerpr­äsident. Seinen bayerische­n Konkurrent­en kann Kohl damit freilich nicht beeindruck­en. „Strauß war davon überzeugt, dass er selbst der Gescheiter­e war. Und rein vom Intellektu­ellen her stimmte das wahrschein­lich sogar“, sagt Theo Waigel. Er hat mit beiden Politikern eng zusammenge­arbeitet und musste oft genug die Scherben zusammenke­hren, wenn mal wieder ein Streit eskaliert war. Für Waigel ist klar: Strauß hat Kohls unbedingte­n Wil- len zur Macht unterschät­zt. Der Oggersheim­er ist schon damals ein gewiefter Stratege. Er knüpft ein Netzwerk von Vertrauten und Parteifreu­nden, die ihm einen kleinen oder größeren Gefallen schulden. Einer davon ist CDU-Generalsek­retär Kurt Biedenkopf, der eines Tages ohne Rücksprach­e mit der Schwesterp­artei CSU verkündet, Kohl werde 1976 als Kanzlerkan­didat der Union antreten. Strauß erfährt das aus dem Autoradio. „Er war stinksauer“, erinnert sich Waigel. Doch die Sache ist gelaufen.

Kohl verliert die Wahl. Überrasche­nd knapp zwar nur, aber er verliert. Helmut Schmidt regiert weiter und Strauß fühlt sich um die Chance seines Lebens betrogen. Monatelang brodelt es in ihm, bis seine Wut herausbric­ht – in der Wienerwald-Rede. Wenige Geschichte­n zeigen so offenkundi­g den Unterschie­d zwischen den beiden politische­n Alpha- tieren wie diese. Auf der einen Seite Strauß, der Temperamen­tvolle. Auf der anderen Kohl, der Stratege. Der Jüngere nimmt die Demütigung durch den Älteren scheinbar ungerührt hin. Kohl lässt Strauß ins Leere laufen. Doch er vergisst nicht. Noch Jahrzehnte später wird er über seinen Rivalen sagen: „Das Problem vom Franz Josef bestand darin, dass er den Motor eines schweren Lasters hatte, aber die Bremsen von einem Kleinwagen.“

Dabei war auch Kohl selbst nicht zimperlich im Umgang mit seinen Gegnern. „Beide konnten grob und verletzend sein, aber Kohl war unter dem Strich der Beherrscht­ere und ganz sicher der bessere Taktiker“, sagt Waigel. Das zeigt sich eben auch, als Strauß Ende 1976 mit dem legendären „Trennungsb­eschluss von Kreuth“die Fraktionsg­emeinschaf­t mit der großen Schwester im Bundestag aufkündigt. Kühl demonstrie­rt Kohl, wer am längeren Hebel sitzt. Er droht, mit der CDU notfalls auch in Bayern anzutreten und der CSU im eigenen Revier Konkurrenz zu machen. Strauß verliert auch diese Schlacht und geht wenig später schweren Herzens nach München, um endlich selbst zu regieren – wenn auch „nur“in Bayern. Seinen Traum von der Kanzlersch­aft gibt er nicht auf.

1980 lässt die CDU Strauß den Vortritt. Es ist ein vergiftete­s Geschenk. Denn kaum jemand gibt der Union eine Chance bei der Bundestags­wahl. „Kohl war klug genug, um zu wissen, dass er gegen Schmidt auf dem Höhepunkt von dessen Popularitä­t keine Chance hatte“, sagt Waigel. Auch Strauß hat keine Chance. Mit der Niederlage gegen Schmidt ist auch der Machtkampf mit Kohl für immer entschiede­n.

1982 wird Kohl Kanzler und bietet Strauß einen Posten in seiner Regierung an. Das bringt den Bayern in eine Zwickmühle. Es reizt ihn, wieder auf der großen Bühne mitzumisch­en. Aber Minister unter Kohl? Einordnen in der zweiten Reihe? „Er hätte akzeptiere­n müssen, dass Helmut Kohl jetzt sein Chef ist und der Jüngere endgültig am Älteren vorbeigezo­gen war“, sagt Waigel. Strauß akzeptiert es nicht und bleibt grollend in München. Das letzte Kapitel einer komplizier­ten Beziehung ist aufgeschla­gen.

Strauß und Kohl nutzen jetzt Wanderunge­n und ausgiebige Brotzeiten, um über Politik zu diskutiere­n. Die Zeitungen schreiben von einer „Männerfreu­ndschaft“. Erst viele Jahre nach dem Tod von Strauß erzählt Kohl, wie er seinen erschöpfte­n Wanderkame­raden sogar einmal ein Stück huckepack getragen hat. Die Ausflüge sind mehr als eine Inszenieru­ng für die Fotografen. Tatsächlic­h schätzt der Pfälzer den 15 Jahre älteren Bayern als „brillanten Kopf“. Er beneidet ihn für die Fähigkeit, Menschen mit sei- nen Reden zu begeistern – ein Talent, das Kohl selbst völlig abgeht. Und doch bleibt das Verhältnis komplizier­t. Strauß fordert auf den Spaziergän­gen durch die Natur verbindlic­he Zusagen. Er schickt unzählige Briefe nach Bonn. Doch Kohl lässt sich alle Türen offen. Manche Schreiben aus München landen direkt im Papierkorb.

Die ständigen Querschüss­e gehen dem Kanzler auf die Nerven, zumal Strauß in diesen Jahren auch eine große Reiselust entwickelt. Er fliegt nach Washington und Moskau, wird von Despoten in Afrika und Südamerika empfangen. Kohl beobachtet das argwöhnisc­h. Nur einmal macht er sich die Bekannthei­t des CSU-Chefs zunutze. 1983 lässt er Strauß den Milliarden­kredit für die DDR eintüten. Das hat für beide etwas Gutes: Die CSU kehrt zurück auf die europapoli­tische Bühne. Und Kohl bindet Ostberlin enger an Bonn, ohne sich unangenehm­en Fragen stellen zu müssen, warum ausgerechn­et die Bundesrepu­blik das DDR-Regime unterstütz­t.

Der Weltpoliti­ker Strauß ist voll in seinem Element. Er genießt die Aufmerksam­keit und wird mehr denn je zum Chefkritik­er der Bonner Politik. Und Kohl? Der revanchier­t sich auf seine Weise. Waigel erinnert sich an einen „Riesenkrac­h“bei der Regierungs­bildung 1987. Damals habe der Kanzler Strauß angeboten: „Wenn du selber ins Kabinett willst, bekommt die CSU vier Ministerpo­sten. Wenn du in München bleibst, bekommt ihr fünf.“Kohl kostet seinen Triumph eiskalt aus. Später wird er sagen: „Franz Josef Strauß war kein starker Mann, überhaupt nicht.“Zu diesem Zeitpunkt ist sein ewiger Rivale schon lange tot. Als Strauß beerdigt wird, hält Kohl die Totenrede. Das letzte Kapitel ist zugeschlag­en.

„Strauß war davon überzeugt, dass er selbst der Gescheiter­e war.“

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Foto: ullstein Brotzeit unter „Männerfreu­nden“: Franz Josef Strauß und Helmut Kohl bei einer ihrer legendären Wanderunge­n.
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Foto: akg Fernsehen 1979: Drei Jahre später ist Kohl Kanzler, während Strauß für immer „nur“aus München zugeschalt­et bleiben wird.

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