Augsburger Allgemeine (Land West)
Gott ist Geschichte
Krieg gegen Kultur Mit der Zerstörung des Baal-Tempels und gestern nun der Grabtürme in Palmyra provoziert der IS die Welt – verfolgt aber vor allem auch noch ein ganz anderes Ziel
Nun legten sie also auch die berühmten Grabtürme in Schutt und Asche, zumindest die drei am besten erhaltenen, wie syrische Behörden gestern mitteilten. Doch das war ja alles abzusehen: Nach der Sprengung des kleineren Tempels von Baal-Schamin wurde Anfang dieser Woche auch der des Baal in Palmyra zerstört. Und von dem selbst nach 2000 Jahren bis zu diesem Zeitpunkt immer noch beeindruckenden Heiligtum – eines der größten aus vorchristlicher Zeit im Nahen Osten – ist bis auf die Grundmauern so gut wie nichts mehr übrig, wie Satellitenbilder zeigen. Die fundamentalislamistischen Terroristen des IS müssen also einiges an Sprengstoff herangekarrt haben, und es stellt sich zwangsläufig die Frage nach dem Warum.
Warum radieren diese Radikalen planmäßig und Stück für Stück ein Weltkulturerbe aus? Natürlich: Weil sie es können, auch, um die Welt weiter zu provozieren, ihre Macht zu demonstrieren – die Unesco sprach denn auch dementsprechend empört von einem „Verbrechen gegen die Zivilisation“. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Denn wenn man mal ehrlich ist, so kümmert die Zerstörung einer Ruine im Wüstensand – zumal in diesen Tagen mit diesen vermeintlich ganz anderen Themen – allenfalls Archäologen, Orientalisten und vielleicht den einen oder anderen Feuilleton-Leser, der die antike Oasenstadt womöglich schon einmal im Bildungs-Urlaub besucht hat. Und warum sollte man sich auch aufregen, wenn Leute, die normalerweise anderen Menschen vor laufender Kamera die Köpfe absäbeln, nun ein paar alte Steine in die Luft jagen?
Nun, man stelle sich einmal vor, irgendeine christliche Splittergruppe bombt beispielsweise die Wieskirche weg – da würde aber nicht nur der örtliche Tourismusverband aufschreien. Nicht denkbar? Klar, heutzutage nicht, aber man muss nur in die ikonoklastischen Irrzeiten auch des Christentums zurückgehen, als vor ein paar hundert Jahren Bilderstürmer unzählige katholische Gotteshäuser verwüstet haben. Oder, um ein allseits gültiges Wort des Pop-Theoretikers Bazon Brock zu verwenden: „Blöde gibt es viele, am Rhein wie auch am Nile.“
Doch um einen bloß wild gewordenen Ikonoklasmus, der sich auf ein Bilderverbot stützt, das sowohl
den Islam als auch eigentlich das Christentum kennen, weil es sich ja immer noch auf das Alte Testament und die Zehn Gebote beruft, geht es den faschistoiden Fanatikern des IS nicht. Es geht ihnen auch gar nicht um so etwas wie den Islam, den es so ja bekanntlich gar nicht gibt. Zur Erinnerung: Bis zu den Anschlägen von 9/11, als schon einmal ein Bauwerk und mit ihm viele Menschenleben zerstört wurden, bis zum Auftauchen der sunnitischen Al-Kaida und neuerdings des IS galten ja lange Zeit die Schiiten als dessen radikalste Ausprägung. Ich erinnere mich jedenfalls noch gut an einen Besuch in Baalbek, jener größten aller Tempelanlagen im Nahen Osten in der von der Hisbollah kontrollierten Beeka-Ebene im Libanon, wie da, während man das riesige, in der Hitze brütende Tempelfeld ablief, von draußen die Maschinengewehre knatterten. Denn es war der Tag von Al-Quds, der von Khomeini ausgerufene Tag der „Befreiung“von Jerusalem – und der gemeine Milizionär ballert da eben gerne mal in die Luft. Die Säulen des JupiterTempels aber haben sie nie angerührt.
Und immerhin hat auch Palmyra, diese Perle in der syrischen Wüste, dieser ehemalige Knotenpunkt zwischen Fernem und Nahem Osten, Mittelmeerraum und Mitteleuropa schon so einige (auch islamische) Eroberer kommen und gehen sehen, ohne dass diese die Säulen geschleift hätten. Und vielleicht ist das ja schon einmal ein Teil der eigentlichen Antwort: Palmyra stand als einzigartige Mischung aus griechisch-römischer und orientalischer Kultur auch für Toleranz. Als Umschlagplatz einer frühen Globalisierung hatte dort auch jede Religion, jeder Gott seinen Platz und Tempel – zum Beispiel eben Baal und BaalSchamin, deren Heiligtümer nun zerstört wurden und die wie alle Götter verwandt oder zumindest verschwägert sind.
Es ist natürlich auch diese Toleranz, welche die IS-Terroristen bekämpfen, denen ein Nebeneinander der Kulturen und Religionen alleine schon aufgrund ihres Absolutheitsanspruches ein Gräuel sein muss. Aber es ist ja auch noch so viel mehr: Mit jedem Tempel, jeder Statue, jedem Stein, der da zu Wüstensand zurückverwandelt wird, löschen diese selbst ernannten Gotteskrieger bewusst auch die Vorläufer, die historische Bedingtheit ihrer „Gottheit“aus – weil es kann nur einen geben, und der muss zudem schon immer da gewesen sein.
Für Ideologen eines paranoiden Monotheismus nicht zu ertragen
Dass Religionen, Weltanschauungen, Götter erst erwachsen aus dem Nährboden der Geschichte, dass Mythen und Glaubensrichtungen unter Umständen aufeinander aufbauen, miteinander zu tun haben, ist für diese Ideologen eines paranoiden Monotheismus nicht zu ertragen. Und deswegen müssen auch alle Zeugnisse davon weg, all das relativierende Zeug eben, und das so radikal wie möglich: Die Götter sind Geschichte, und zu Geschichte werden sie gerade deswegen – auf das man sie vergisst – nun gemacht.
Genau deshalb sollte uns das eben auch interessieren, was da in der syrischen Wüste passiert. Weil es viel mit uns zu tun hat, allein schon, weil viele Menschen vor diesen Radikalen, die in ihrer eigenen Logik doch so rational handeln, zu uns fliehen. Weil diese Menschen auch ihre Götter mitbringen und uns vor die Frage stellen, ob wir wirklich vor einer Moschee in irgendeinem Gewerbegebiet Angst haben sollten – oder ob wir nicht besser denjenigen, die da vermeintlich nur Steine in die Luft jagen und damit aber eigentlich auch unser aller Geschichte, unser Selbstverständnis, unsere heutige Art zu leben meinen, endlich die Stirn bieten müssen.