Augsburger Allgemeine (Land West)

Gott ist Geschichte

Krieg gegen Kultur Mit der Zerstörung des Baal-Tempels und gestern nun der Grabtürme in Palmyra provoziert der IS die Welt – verfolgt aber vor allem auch noch ein ganz anderes Ziel

- VON CHRISTIAN IMMINGER

Nun legten sie also auch die berühmten Grabtürme in Schutt und Asche, zumindest die drei am besten erhaltenen, wie syrische Behörden gestern mitteilten. Doch das war ja alles abzusehen: Nach der Sprengung des kleineren Tempels von Baal-Schamin wurde Anfang dieser Woche auch der des Baal in Palmyra zerstört. Und von dem selbst nach 2000 Jahren bis zu diesem Zeitpunkt immer noch beeindruck­enden Heiligtum – eines der größten aus vorchristl­icher Zeit im Nahen Osten – ist bis auf die Grundmauer­n so gut wie nichts mehr übrig, wie Satelliten­bilder zeigen. Die fundamenta­lislamisti­schen Terroriste­n des IS müssen also einiges an Sprengstof­f herangekar­rt haben, und es stellt sich zwangsläuf­ig die Frage nach dem Warum.

Warum radieren diese Radikalen planmäßig und Stück für Stück ein Weltkultur­erbe aus? Natürlich: Weil sie es können, auch, um die Welt weiter zu provoziere­n, ihre Macht zu demonstrie­ren – die Unesco sprach denn auch dementspre­chend empört von einem „Verbrechen gegen die Zivilisati­on“. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.

Denn wenn man mal ehrlich ist, so kümmert die Zerstörung einer Ruine im Wüstensand – zumal in diesen Tagen mit diesen vermeintli­ch ganz anderen Themen – allenfalls Archäologe­n, Orientalis­ten und vielleicht den einen oder anderen Feuilleton-Leser, der die antike Oasenstadt womöglich schon einmal im Bildungs-Urlaub besucht hat. Und warum sollte man sich auch aufregen, wenn Leute, die normalerwe­ise anderen Menschen vor laufender Kamera die Köpfe absäbeln, nun ein paar alte Steine in die Luft jagen?

Nun, man stelle sich einmal vor, irgendeine christlich­e Splittergr­uppe bombt beispielsw­eise die Wieskirche weg – da würde aber nicht nur der örtliche Tourismusv­erband aufschreie­n. Nicht denkbar? Klar, heutzutage nicht, aber man muss nur in die ikonoklast­ischen Irrzeiten auch des Christentu­ms zurückgehe­n, als vor ein paar hundert Jahren Bilderstür­mer unzählige katholisch­e Gotteshäus­er verwüstet haben. Oder, um ein allseits gültiges Wort des Pop-Theoretike­rs Bazon Brock zu verwenden: „Blöde gibt es viele, am Rhein wie auch am Nile.“

Doch um einen bloß wild gewordenen Ikonoklasm­us, der sich auf ein Bilderverb­ot stützt, das sowohl

den Islam als auch eigentlich das Christentu­m kennen, weil es sich ja immer noch auf das Alte Testament und die Zehn Gebote beruft, geht es den faschistoi­den Fanatikern des IS nicht. Es geht ihnen auch gar nicht um so etwas wie den Islam, den es so ja bekanntlic­h gar nicht gibt. Zur Erinnerung: Bis zu den Anschlägen von 9/11, als schon einmal ein Bauwerk und mit ihm viele Menschenle­ben zerstört wurden, bis zum Auftauchen der sunnitisch­en Al-Kaida und neuerdings des IS galten ja lange Zeit die Schiiten als dessen radikalste Ausprägung. Ich erinnere mich jedenfalls noch gut an einen Besuch in Baalbek, jener größten aller Tempelanla­gen im Nahen Osten in der von der Hisbollah kontrollie­rten Beeka-Ebene im Libanon, wie da, während man das riesige, in der Hitze brütende Tempelfeld ablief, von draußen die Maschineng­ewehre knatterten. Denn es war der Tag von Al-Quds, der von Khomeini ausgerufen­e Tag der „Befreiung“von Jerusalem – und der gemeine Milizionär ballert da eben gerne mal in die Luft. Die Säulen des JupiterTem­pels aber haben sie nie angerührt.

Und immerhin hat auch Palmyra, diese Perle in der syrischen Wüste, dieser ehemalige Knotenpunk­t zwischen Fernem und Nahem Osten, Mittelmeer­raum und Mitteleuro­pa schon so einige (auch islamische) Eroberer kommen und gehen sehen, ohne dass diese die Säulen geschleift hätten. Und vielleicht ist das ja schon einmal ein Teil der eigentlich­en Antwort: Palmyra stand als einzigarti­ge Mischung aus griechisch-römischer und orientalis­cher Kultur auch für Toleranz. Als Umschlagpl­atz einer frühen Globalisie­rung hatte dort auch jede Religion, jeder Gott seinen Platz und Tempel – zum Beispiel eben Baal und BaalSchami­n, deren Heiligtüme­r nun zerstört wurden und die wie alle Götter verwandt oder zumindest verschwäge­rt sind.

Es ist natürlich auch diese Toleranz, welche die IS-Terroriste­n bekämpfen, denen ein Nebeneinan­der der Kulturen und Religionen alleine schon aufgrund ihres Absoluthei­tsanspruch­es ein Gräuel sein muss. Aber es ist ja auch noch so viel mehr: Mit jedem Tempel, jeder Statue, jedem Stein, der da zu Wüstensand zurückverw­andelt wird, löschen diese selbst ernannten Gotteskrie­ger bewusst auch die Vorläufer, die historisch­e Bedingthei­t ihrer „Gottheit“aus – weil es kann nur einen geben, und der muss zudem schon immer da gewesen sein.

Für Ideologen eines paranoiden Monotheism­us nicht zu ertragen

Dass Religionen, Weltanscha­uungen, Götter erst erwachsen aus dem Nährboden der Geschichte, dass Mythen und Glaubensri­chtungen unter Umständen aufeinande­r aufbauen, miteinande­r zu tun haben, ist für diese Ideologen eines paranoiden Monotheism­us nicht zu ertragen. Und deswegen müssen auch alle Zeugnisse davon weg, all das relativier­ende Zeug eben, und das so radikal wie möglich: Die Götter sind Geschichte, und zu Geschichte werden sie gerade deswegen – auf das man sie vergisst – nun gemacht.

Genau deshalb sollte uns das eben auch interessie­ren, was da in der syrischen Wüste passiert. Weil es viel mit uns zu tun hat, allein schon, weil viele Menschen vor diesen Radikalen, die in ihrer eigenen Logik doch so rational handeln, zu uns fliehen. Weil diese Menschen auch ihre Götter mitbringen und uns vor die Frage stellen, ob wir wirklich vor einer Moschee in irgendeine­m Gewerbegeb­iet Angst haben sollten – oder ob wir nicht besser denjenigen, die da vermeintli­ch nur Steine in die Luft jagen und damit aber eigentlich auch unser aller Geschichte, unser Selbstvers­tändnis, unsere heutige Art zu leben meinen, endlich die Stirn bieten müssen.

 ?? Fotos: imago, afp ?? Der Screenshot aus einem Video des IS zeigt die Sprengung des Tempels von Baal-Schamin im syrischen Palmyra. Wenige Tage später wurde dann auch der große Baal-Tempel zerstört, wie die Satelliten-Aufnahmen unten zeigen.
Fotos: imago, afp Der Screenshot aus einem Video des IS zeigt die Sprengung des Tempels von Baal-Schamin im syrischen Palmyra. Wenige Tage später wurde dann auch der große Baal-Tempel zerstört, wie die Satelliten-Aufnahmen unten zeigen.

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