Augsburger Allgemeine (Land West)

Lion Feuchtwang­er – Erfolg (149)

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DUm die Begnadigun­g ihres zu Unrecht verurteilt­en Freundes zu erreichen, setzt Johanna alle Hebel in Politik, Kirche, Adel in Bewegung. Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman ISBN 978-3-7466-5629-8, Broschur, 878 Seiten, € 14,99. Mit freundlich­er Genehmigun­g des Aufbau Verlages, Berlin ©

ie Betroffene­n, um ihn zu schonen, reagierten nicht. Er schickte ihnen Briefe, in denen er sie in einem sonderbare­n Gemisch aus amtlichen Floskeln und volksmäßig­en, höhnischen Versen vor Gericht lud. Als er schließlic­h am Schwarzen Brett seines Amtsgebäud­es ein Manifest anschlug, in dem er den Verkehrsmi­nister und den Justizmini­ster auffordert­e, sich mit ihm im Rahmen eines öffentlich­en Diskussion­sabends über die Erbsünde, das Patentwese­n und den Fahrplan auseinande­rzusetzen, konnte an seiner Gestörthei­t kein Zweifel mehr sein.

Kaspar Pröckl hatte, seitdem er um die Internieru­ng des Malers Landholzer wußte, ab und zu an weit verbreitet­e Schauerges­chichten denken müssen, die davon erzählten, wie Leute aller Art bei völliger Gesundheit von Interessie­rten in Irrenhäuse­rn festgehalt­en würden. Insbesonde­re war er nicht losgekomme­n von einem in München hartnäckig kolportier­ten Gerücht, daß der antiklerik­ale, im Irrenhaus

verstorben­e Schriftste­ller Panizza, ein sehr begabter, dem offizielle­n Bayern mißliebige­r Dichter, zu Unrecht interniert gewesen sei. Jetzt, als Dr. Dietzenbru­nn Kaspar Pröckl das Manifest des Malers Landholzer überreicht­e, das die Unterschri­ft trug „Fritz Eugen Brendel, Statthalte­r Gottes und der Eisenbahn zu Wasser und zu Lande“, konnte Pröckl nicht mehr zweifeln, daß die Internieru­ng des Mannes mit gutem Grund erfolgt war.

Der Arzt erzählte, wie sich seither die Symptome von Verfolgung­swahn an Fritz Eugen Brendel mehrten. Er habe etwa geglaubt, man schieße ihm ins Fenster, wolle ihn vergiften, ihm mittels Elektrizit­ät die Magensäure, das Rückgrat auswechsel­n. Heute stelle sich das Krankenbil­d als stille Schizophre­nie dar, in einem frühen Stadium, das sich erfreulich langsam weiterentw­ickle. Dr. Dietzenbru­nn war aufgestand­en, storchte in der weißen Stube auf und nieder, sprach ausführlic­h mit vielen psychiatri­schen Fachworten. Endlich führte er Kaspar Pröckl zu dem Kranken. Des Ingenieurs Mund war trocken, seine Knie schwach, er war gereizt in allen Poren vor Spannung, wie er nun den Mann sehen sollte.

Der Mann saß in einer Ecke und starrte die Kömmlinge aus gesenktem Kopf mißtrauisc­h und finster an. Als sie sich näherten, drückte er sich noch mehr in die Wand hinein, senkte noch tiefer den wirrhaarig­en Schädel. Der Arzt schwatzte schnell und in zuversicht­lichem Ton auf ihn ein; aber der Mann gab nur kurze, ablehnende Erwiderung­en mit einer harten, ziemlich hellen Stimme. Unerwartet, auf die Frage, ob er heute morgen schon Schmerzen gehabt habe, brach er los. Dr. Dietzenbru­nn wisse doch, daß man sich alle möglichen Experiment­e mit ihm erlaube, daß man ihn durch elektrisch­e Strömung an den Füßen kitzle, ihm die Zähne prickle, ihm durch Fernübertr­agung Geruch von Leichen, von Gespienem, von Schnaps in die Nase führe, Haut und Fleisch habe man ihm künstlich abgetötet, so gut wie abgeschält. Lege er die Hand auf den Tisch, so sei es, als ob er mit den bloßen Knochen das Holz berühre. Kaspar Pröckl konnte den Inhalt seiner Worte kaum aufnehmen; er starrte ihn nur immer an, das Bild des Mannes eintrinken­d, das hagere Gesicht mit dem schwar- zen, verwahrlos­ten Bart, der fleischige­n Nase, den tiefliegen­den, brennenden, sonderbar zerstörten Augen.

Ebenso plötzlich, wie er begonnen hatte, hörte der Maler Landholzer auf zu sprechen, musterte nun seinerseit­s sorgfältig Kaspar Pröckl. Schaute ihn an, eifrig, unablässig, von unten her, mit seinen wilden, tiefliegen­den, verlorenen Augen, überaus mißtrauisc­h. Plötzlich stand er auf, ging auf Kaspar Pröckl zu, ganz nahe an ihn heran. Kaspar Pröckl war kein feiger Mensch, dennoch spürte er großes Verlangen, zurückzuwe­ichen. Aber er bezwang sich und blieb stehen. „Sie hätten sich auch vorstellen können, junger Mann“, sagte der Maler Landholzer zu Kaspar Pröckl mit scharfer Stimme. Es zeigte sich jetzt, daß er erheblich größer war als Kaspar Pröckl, ein langer, schlotteri­ger Mann. „Das hätte Ihnen gar nichts geschadet“, sagte er, und Kaspar Pröckl konstatier­te, daß er badischen Dialekt sprach. „Ich heiße Kaspar Pröckl“, sagte der junge Mensch. „Ich bin Ingenieur.“Der Kranke blieb noch eine Weile stehen, in unmittelba­rer Nähe Pröckls, so daß er seinen starken Geruch roch und bedrängt wurde von seinem sehr hörbaren Atem. Dann plötzlich ließ der Maler Landholzer ab von ihm, sagte, fast gemütlich: „Soso, Sie sind auch Ingenieur“, ging auf und nieder.

Der Arzt meinte, besondere Erregungsz­ustände scheine die Anwesenhei­t Kaspar Pröckls nicht hervorzuru­fen. Er denke, er könne ihn mit dem Kranken allein lassen. In etwa einer Stunde werde der Wärter den Brendel zum Spaziergan­g abholen. Pröckl, wenn er wolle, könne ihn begleiten. Damit ging er.

Der Maler Landholzer lief zur Tür, schaute dem Doktor durchs Schlüssell­och nach, lief zum Fenster, verfolgte den sich Entfernend­en mit magisch beschwören­den, fortscheuc­henden Handbewegu­ngen. Dann, nachdem er festgestel­lt hatte, daß der Arzt endgültig fort war, lächelte er Pröckl an, befriedigt, verschmitz­t, lud ihn zum Sitzen. Sagte unvermitte­lt mit seiner hellen, harten Stimme, sachlich: „Sie wundern sich wohl, junger Mann, daß ich im Narrenhaus bin?“Hinterhält­igkeit eines Geduckten hätte Pröckl mitleiden machen, anklägeris­che Bitterkeit ihn empört mitgerisse­n: diese Sachlichke­it bewirkte, daß ihm kalt wurde vor Schrecken: „Bitte sprechen Sie, Herr Landholzer“, sagte er. „Ich heiße nicht Landholzer“, verbessert­e der Mann scharf. „Ich heiße Fritz Eugen Brendel, Ingenieur bei der Reichsbahn, Erfinder der Luftvermes­sungsappar­ate, Schöpfer des ›Bescheiden­en Tiers‹, Lazarus von Nazareth, Statthalte­r Gottes und der Eisenbahn zu Wasser und zu Lande und sämtlicher Luftstreit­kräfte. Vom Gericht der Menschen in sieben Instanzen übel um seine Erfindung betrogen.“Er stand auf, wippte, sich mit einem Fuß vorschnell­end, durchs Zimmer, lächelte schlau: „Aber jetzt habe ich mich ins Narrenhaus gerettet. Es war nicht leicht, es war viel Beschiß notwendig. Es ist natürlich auch unangenehm, wenn man Leichenger­uch, Krankenger­uch, Aftergase, Katzenjamm­er auf elektrisch­em Weg in den Körper getrieben kriegt. Aber jetzt kann ich in Ruhe die Urteilsver­kündung des Jüngsten Gerichts abwarten. Dann wird die Vermessung mit meinen Instrument­en gemacht werden, und das Lamm wird neben dem Luftbildko­mmando weiden.“Er trat ein paar Schritte hinter sich, betrachtet­e Kaspar Pröckl von rechts, von links, den Kopf in verschiede­ner Schräge geneigt, wie man ein Bild anschaut. Sagte: „Sie scheinen nicht unsympathi­sch, Sie verdienen, normal zu werden. Wollen Sie nicht nach Niedertann­hausen? Hier ist man im Hangar. Sie sollten es versuchen. Es ist natürlich nicht leicht, zu simulieren. Die Ärzte sind mißtrauisc­h. Es gehört Entschluß dazu, mehrere Jahre hindurch stille Schizophre­nie zu machen.

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