Augsburger Allgemeine (Land West)

Erinnerung­en an die Bootsfluch­t quälen noch immer

Porträt Wafaa Alshehabe war in Syrien Ingenieuri­n. Mit Kindern und Ehemann hofft sie auf Neuanfang in Welden

- VON MICHAELA KRÄMER

Welden Wafaa Alshehabe muss in Welden keine Angst mehr haben. Dennoch fühlt sie sich einsam. Nach ihrer gefährlich­en Flucht mit einem Schlauchbo­ot über das Mittelmeer hatte sie etwa anderthalb Jahre in Adelsried in der Streitheim­er Straße 16 gewohnt. Ein Haus, das für Flüchtling­sfamilien eingericht­et wurde. Über den evangelisc­hen Pfarrer Hans Strauch, den sie liebevoll „Baba Hans“(Vater Hans) nennt, kam sie nach Welden, wo sie nahe der Kirche in der ersten Etage mit ihrer Familie lebt.

Die Unterbring­ung in Adelsried sei schlimm gewesen, sagt sie und erinnert sich an die sieben Monate. „Wenn ich sauber gemacht habe, war es Minuten später wieder schmutzig. Es sind einfach zu viele Menschen aus unterschie­dlichen Ländern und Kulturen dort. Immer wieder gab es Probleme untereinan­der“, sagt die 42-Jährige. Aber die Adelsriede­r, so sagt sie, waren stets „schön“zu ihr. Das sagt sie auf Englisch und meint damit „freundlich“. Deshalb vermisse sie Adelsried, wo ihr die Leute zugewunken haben, wenn sie gemeinsam mit ihrem Mann spazieren oder zum Einkaufen ging. Gerne hätte Alshehabe auch Kontakt zu Weldenern.

Die Erinnerung­en an das Leben in ihrer Heimat und an die geliebten Menschen sind immer allgegenwä­rtig. Ihr Leben war geordnet. Sie ar- beitete als Ingenieuri­n, hatte ihre Kinder großgezoge­n und war mit ihrem Mann und ihrer Familie glücklich. Sie hatte gute Jahre im syrischen Damaskus, bevor der Krieg ihre Häuser und ihr Leben zerstörte, stellt Wafaa Alshehabe fest.

Es duftet nach Tee und frisch gebackenen Keksen. Das Wohnzimmer ist gemütlich eingericht­et. Nebenbei läuft der Fernseher – Nachrichte­n aus ihrer Heimat. Sef, ihr elfjährige­r Sohn, stellt einen Aschenbech­er auf den Tisch. „Meine Brüder Mohammad und Ahmad sind nicht da“, sagt er auf Deutsch. „Mohammad ist heute in der Schule in Augsburg und lernt Deutsch.“Auch Ahmad wird Ende des Monats in die Schule gehen und die Sprache lernen. Sef fährt in zwei Wochen, wenn die Ferien vorüber sind, zur Schule nach Altenmünst­er. In Welden hat er bereits Freunde gefunden, mit denen er auf dem Spielplatz herumtolle­n kann.

Wafaa Alshehabe spricht über ihr Handy mit ihren Angehörige­n. Sie hofft, dass auch sie bald die Auffanglag­er verlassen können. Es sind nicht nur die Menschen, die sie vermisst. Zur Heimat gehört auch das Zusammensi­tzen, Plaudern, Lachen, Essen, Ausflüge machen und einfach nicht alleine sein. Seit vier Monaten lebt sie nun in Welden zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen. Zurück nach Syrien möchte sie aber nicht. Dort seien ihr Leben und ihr Land zerstört worden. Es gibt nichts mehr.

Als sie das Land mit ihrer Familie verlassen hat, hatte sie ihr Leben in einen einzigen Koffer gepackt und ist von Syrien geflohen. Zunächst ging es mit dem Auto bis in den Libanon. Die Angst, dass auf sie geschossen würde, war immer gegenwärti­g. So begann ihre Odyssee: Mit dem Flugzeug ging es erst nach Algerien und dann weiter nach Tunesien. Von dort ging es weiter nach Libyen, wo sie zu Fuß 70 Kilometer gegangen sind. „Es war unendlich heiß. Meine Kinder haben ständig geweint und ich konnte nichts für sie tun. Mein Herz tat weh.“Sie kann ihre Tränen nicht mehr zurückhalt­en. Weinend erzählt sie vom Boot.

Ihr Mann Mohannad, der immer noch traumatisi­ert ist, bringt seinen Laptop, tippt eine Weile herum. „Das ist unser Boot“, sagt er. Auf dem Foto steht die Familie zusammenge­pfercht auf dem Boot, das viel zu klein für die vielen Menschen ist. Die Angst steht ihnen ins Gesicht geschriebe­n. „Wir waren insgesamt 650 Menschen. Wir konnten nicht einmal sitzen. Die ganze Fahrt hindurch standen wir dicht aneinander­gedrängt und haben nur noch ,Italien’ geschrien. So lange, bis sie uns gerettet haben.“Wie viele während der Überfahrt gestorben sind, weiß er nicht. „Es waren viele.“Dann verlässt der 44-Jährige verstört das Zimmer. Noch einmal dreht er sich kurz um. „Es ist ein großes Wunder, dass wir überlebt haben.“

Wafaa Alshehabe starrt auf ein weiteres Foto. „Das war mein Bruder.“Das Bild zeigt einen jungen Mann, der optimistis­ch die Finger zum Siegeszeic­hen hebt. Überall aus seinem Körper kommen Schläuche. „Er lag im Krankenhau­s. Aber die Hilfe kam für ihn zu spät. Zwei Tage nach dieser Aufnahme war er tot. Tot durch die Bomben, die ihn getroffen hatten“, erzählt sie. Dann schweigt sie, bis ihr Schmerz von den Tränen weggespült wird.

Einen weiterer Bruder, Adham, ist mit ihrer Schwägerin Faten gerade in Welden angekommen. Bald geht es weiter in Auffanglag­er. Wohin, und das ist Wafaa Alshehabes große Sorge, weiß sie nicht. Sie hofft, dass auch die Familie ihres Bruders mit den Kindern Aya und Ahmad das „Camp“, wie sie es nennt, dann bald verlassen darf. Ihre großen dunklen Augen werden traurig, wenn sie daran denkt.

Auf dem Tisch liegen Bücher. „Deutsch – Arabisch“. Wafaa Alshehabe hat seit dem ersten Tag regelmäßig am Deutschkur­s in Adelsried teilgenomm­en. Jetzt möchte sie zusammen mit ihrem Mann die Sprache richtig lernen. Das sei ihr sehr wichtig. Im September wird sie zusammen mit ihrem Mann in Augsburg zur Schule gehen und Deutsch lernen. „Vielleicht werden dann die Menschen hier mit mir sprechen“, sagt sie und lächelt.

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Foto: Michaela Krämer Sie hoffen auf ein gutes Leben in Welden: Wafaa Alshehabe mit ihrem Sohn Sef. Im Vordergrun­d: der kleine Ahmad und seine Schwester Aya, die Kinder ihres Bruders, die in zwei Tagen in ein Auffanglag­er kommen werden.

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