Augsburger Allgemeine (Land West)

Fische brauchen eine gute Kinderstub­e

Auf der Spur der Natur Viele Arten, die einst den Lech bevölkerte­n, sind selten geworden. Nun sollen sie über Umwege zurückkomm­en

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Gersthofen/Meitingen Die Liste der Fischarten, die es im Branntwein­bach bei Gersthofen gibt, ist lang. Flussbarsc­he, Aitel, Lauben, Rotaugen, Äschen, Bachforell­en und Hechte kann Hubert Schuster mit dem bloßen Auge erkennen. Sie gehören zu den größeren Exemplaren. Doch auch Kleinfisch­arten wie der Gründling, der Schneider, die Elritze, der dreistachl­ige Stichling und die Mühlkoppe lassen sich im Bachlauf blicken, der nur unweit des Lechs entfernt inmitten des Auwalds verläuft. Nur eine Fischart vermisst der passionier­te Fischer: „Die Nase fehlt.“

Bevor der Mensch den Lech in sein heutiges Bett zwang und die Staustufen baute, konnten die Nasen noch lange Laichwande­rungen von der Donau bis nach Augsburg unternehme­n. Zentnerwei­se gingen die begehrten Speisefisc­he Berufsfisc­hern ins Netz. „Ich konnte vor 30 Jahren selbst noch große Schwärme von Nasen beobachten, als ich mit meinem Vater beim Angeln war“, erinnert sich der Vorsitzend­e des Fischerver­eins Meitingen. Heute ist die Nase fast ausgestorb­en.

Der Grund dafür ist die fehlende Durchgängi­gkeit des Lechs, die der Nase nicht mehr die Vielfältig­keit an Lebensräum­en bietet, die sie zum Überleben braucht.

Zum Laichen ziehen Nasen nicht selten in Seitengewä­sser. Den Laich legen sie direkt auf groben Kies ab. Hat sich der Nachwuchs der Nasen raus aus dem Geburtskie­s manövriert, zieht es ihn in strömungsa­rme Flachwasse­rzonen. Die Fischbrut ernährt sich von Insektenla­rven und Plankton. In seichtem Wasser findet dann die Entwicklun­g zum Jungfisch statt. „Die Laichgewäs­ser der Fische sind zwar noch da, jedoch fehlen für die unterschie­dlichen Altersstuf­en geeignete Lebensräum­e wie Rückzugsge­biete bei Hochwasser und Wintereins­tände“, erklärt Hubert Schuster. Selbst der Versuch, mit dem Besatz von 50000 Nasen dem Bestand wieder auf die Beine zu helfen, schlug fehl, erklärt das Mitglied der Vorstandsc­haft des Fischereiv­erbands Schwaben.

Einen belegbaren Grund gibt es nicht, jedoch haben Untersuchu­ngen ergeben, dass der Zufluss von Grundwasse­r eine erhebliche Rolle spielt. Würde man nämlich dem Lech von Gersthofen nach Meitingen folgen, zeigt sich auch, wie die Wassermeng­e durch den Zulauf von Grundwasse­r sichtlich steigt. „Das sieht zwar schön aus, aber für die Fische ist es so kein idealer Lebensraum mehr“, erklärt Hubert Schuster. Problemati­sch sei, dass es kaum Seitengewä­sser des Lechs gebe und damit die „Kinderstub­e“der Fische fehle, so der Hobbyfisch­er.

Ein Beispiel dafür, wie wertvoll ein Seitengewä­sser für den Lech sein kann, zeigt sich am sogenannte­n „Mädelelech“. Die einstige Flutrinne des Lechs befindet sich im Osten von Meitingen zwischen Lechkanal und dem Lech. Der von den Bayerische­n Elektrizit­ätswerken reaktivier­te zweieinhal­b Kilometer lange Nebenarm wird von circa einem Kubikmeter Wasser pro Sekunde aus dem Lechkanal gespeist. Und die Ergebnisse sind beachtlich: „17 bis 22 Fischarten konnten wir bei mehreren Bestandsau­fnahmen dort feststelle­n“, freut sich Hubert Schuster. Der natürliche Bachlauf und der grobe Kiesboden bieten beste Voraussetz­ungen für die Fischfauna und Wasserorga­nismen.

Äschen aus der Fischzucht, die einst im Lech eingesetzt wurden, hatten es schwer, sich an die natürliche­n Bedingunge­n anzupassen. Nutzten die Äschen allerdings den Mädelelech als Laichgewäs­ser, diente der Bachlauf fortan als „Kinderstub­e“. Später wandern die Jungäschen dann in den Lech ab, kommen aber im fortpflan- zungsfähig­en Alter von circa vier Jahren wieder an ihren Geburtsort zurück. „So konnte sich im Lech wieder ein widerstand­sfähiger und natürliche­r Bestand an Äschen aufbauen“, erklärt Hubert Schuster. Auch die Fischereif­achberatun­g des Bezirks Schwaben bestätigte den hohen Stellenwer­t des Mädelelech­s als Seitengewä­sser des Lechs.

Ein Grund aufzuatmen war dies für Hubert Schuster indes nicht, denn er wusste, welchen natürliche­n Widersache­r er als Nächstes ins Gesamtkonz­ept integriere­n musste: den Biber. Durch den Bau von Biberdämme­n drohte die Durchgängi­gkeit verloren zu gehen und das Gewässer würde zunehmend verschlamm­en – „was langfristi­g ein sicheres K.O.-Kriterium für alle Kieslaiche­r gewesen wäre“, macht der Hobbyfisch­er den Zusammenha­ng deutlich. Doch nicht nur für die Fische ist der Lebensraum im Auwald etwas Besonderes. Auch Insekten, Libellen, kleine Vogelarten und der seltene Eisvogel leben am Mädelelech wie im Paradies, denn sie finden ganzjährig im und am Wasser Nahrung.

„Mir liegt der Lebensraum für alle Tiere und Pflanzen am Herzen“, erklärt Hubert Schuster seine Intention. Er hofft, dass diese Idee bald auch am Branntwein­bach umgesetzt werden kann. Dabei steht ein Kompromiss im Fokus, der so lauten könnte: Am Branntwein­bach in Gersthofen darf der Biber im oberen Bereich hausen, doch weiter unten den Bachlauf hinab sind Dämme verboten, damit dort Fischen der Raum für eine „Kinderstub­e“gegeben werden kann. Das oberste Ziel sollte auch die Anbindung des Branntwein­baches an den Lech sein. So könne das Erfolgskon­zept vom Mädelelech auch am Branntwein­bach erfolgreic­h umgesetzt werden.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Am Branntwein­bach bei Gersthofen möchte Hubert Schuster eine weitere Kinderstub­e für selten gewordene Fischarten schaffen.
Foto: Marcus Merk Am Branntwein­bach bei Gersthofen möchte Hubert Schuster eine weitere Kinderstub­e für selten gewordene Fischarten schaffen.

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