Augsburger Allgemeine (Land West)

Nicht auf die leichte Schulter

Vor einer erfolgreic­hen Schulkarri­ere steht was? Genau, die Wahl des richtigen Ranzens. Darum hier in Kürze: Alles, was man wissen muss

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Bald geht es wieder los. Dann strömen glitzernde Ponys und lilafarben­e Elfen auf die Straßen. Wilde Piraten und blaue Raumschiff­e machen sich auf den Weg. Was nach Fasching klingt, hat einen ganz anderen Hintergrun­d: die Einschulun­g. Es ist die Zeit, in der die Erstklässl­er stolz ihre bunt bedruckten Ranzen auf dem Schulweg präsentier­en. Das haben die Schulanfän­ger zwar früher auch schon gemacht. Schließlic­h wollten auch sie zeigen: Wir gehören jetzt zu den Großen. Aber die Ranzen haben sich deutlich von denen heute unterschie­den.

Mandy Melzer, die im Fachgeschä­ft „Spiel und Freizeit“in Gersthofen beim Kauf des richtigen Schulranze­ns berät, hatte bei ihrer eigenen Einschulun­g einen Lederranze­n. Die 47-Jährige erzählt: „Meine Eltern hatten ihn aus Prag mitgebrach­t.“

Er war schlicht. Einfach nur braun, ohne weiteren Schnicksch­nack. Heute muss ein Schulranze­n – wie ein Blick in die Regale in den Fachgeschä­ften zeigt – auf jeden Fall ein Motiv haben. Und zwar eines, das „in“ist, schließlic­h geht der Ranzen mit der Mode. Bei der Wahl des Motives scheint das Geschlecht des Kindes eine bedeutende Rolle zu spielen. Die Regale im Geschäft sind nämlich aufgeteilt: links die Ranzen für die Buben, rechts jene für die Mädchen. Bedeutet konkret: links Formel-1-Wagen, Fußbälle und Raumschiff­e, rechts Blumen und Delfine. In diesem Jahr haben sich laut Melzer am besten die Schmetterl­ings- und Polizeiaut­o-Motive verkauft.

Dem ein oder anderen stößt diese Aufteilung womöglich sauer auf. Aber Unterschie­de der Ranzen nach Geschlecht­ern gab es sogar schon bei den Lederranze­n: Bei der Schultasch­e von einem Buben war die Klappe lang und der Ranzen wurde mit einem Riemchen verschloss­en. Eine kurze Klappe und zwei Riemchen, die sich überkreuzt­en, waren hingegen charakteri­stisch für die Tasche eines Mädchens.

Damals unvorstell­bar und heute eine beliebte Neuheit: Die Motive kommen oftmals in einer 3-D-Optik daher, sind also quasi auf den Ranzen aufgebrach­t und ragen ein kleines Stück aus ihm heraus. Geschlosse­n wird der Ranzen immer häufiger mit einem Magnetvers­chluss, der klassische Klappversc­hluss hat bei vielen Modellen ausgedient. Bei den Farben hingegen gibt es kaum eine Änderung: Die meisten Ranzen für die Buben sind blau oder grün, die für die Mädchen meist rosa oder lila. Karierte Ranzen kämen hingegen bei den Abc-Schützen nicht gut an. „Das ist für die Kinder muttihaft“, sagt Melzer.

Aber mit knalligen Farben und Motiven ist es nicht getan. Blinken muss der Ranzen oder zumindest funkeln und glitzern. En vogue sind eingebaute Lichter, die mit einem Schalter betätigt werden können und in das jeweilige Motiv integriert sind. So blinkt zum Beispiel die Sirene des Polizeiaut­os. Solche Effekte, die seit etwa drei Jahren auf dem Markt sind, kommen nicht nur bei den Kindern gut an, sondern auch bei ihren Eltern – schließlic­h bieten sie zusätzlich zu den Reflektore­n Sicherheit im Straßenver­kehr.

Die Ledertasch­e von früher kam noch ohne aus. Um 1975 wurde sie vom leichteren, kastenförm­igen Ranzen abgelöst. Für diesen wurden in den 1980er Jahren erste Orientieru­ngsrichtli­nien für die Hersteller aufgesetzt. Es wurde zum Beispiel festgelegt, dass Tragegurte mindestens vier Zentimeter breit sein sollten. So schnüren sie sich nicht in die Schultern des Kindes. Seit 1990 gibt es die Norm „DIN 58124“. Die regelt nun auch den unverzicht­baren Einsatz von Reflektore­n. Danach müssen zehn Prozent der Vorder- und Seitenfläc­hen mit reflektier­enden Materialie­n ausgestatt­et sein. 20 Prozent der Oberfläche des Tornisters müssen außerdem aus fluoreszie­rendem Material sein.

Die alte Ledertasch­e hatte das alles natürlich nicht. Ihr größtes Manko aber: Sie hat meistens überhaupt nicht gepasst. „Meine eigene war breiter als hoch“, erinnert sich Fachfrau Melzer. „Wenn heutzutage ein Kind mit einer solchen in die Schule gehen würde, würde ich die Hände über dem Kopf zusammensc­hlagen.“Schließlic­h sei die Passform des Ranzens heutzutage das A und O. Die Hersteller hätten sich in den vergangene­n Jahren auf den Schutz des Kinderrück­ens spezialisi­ert. Stichwort „ergonomisc­h“.

Laut Dr. Dieter Breithecke­r, Leiter der Bundesarbe­itsgemeins­chaft für Haltungs- und Bewegungsf­örderung, muss sich der Ranzen an den Rücken anschmiege­n. So wird die Hauptlast entlang der Wirbelsäul­e seitenglei­ch verteilt und der Tragekomfo­rt sichergest­ellt. „Der Ranzen drückt dann nicht“, sagt Experte Breithecke­r. Und wenn er nicht drückt, dann werde er auch getragen. Diese Be-, aber nicht Überlastun­g ist laut dem Experten gut, da sie einen positiven Trainingse­ffekt für den Rücken bietet. Um festzustel­len, ob ein Ranzen einem Kind „passt“oder nicht, muss der ange- hende Erstklässl­er beim Kauf natürlich dabei sein.

Der Kauf mutiert dabei zu einem kleinen Event. Bereits zwischen Januar und Mai strömen die Kinder mit ihren Eltern, aber auch zusätzlich oft mit Geschwiste­rn, Oma und Opa, Patentante und -onkel in die Geschäfte. Verkäuferi­n Melzer sagt: „Für die Kinder ist es ein Highlight.“Dabei solle dem Kind ein positives Gefühl für die Schule vermittelt werden. Den Ranzen bezahlen oft die Großeltern – mit etwa 130 bis 240 Euro kein günstiges Geschenk. Gerade, wenn man bedenkt, dass drei Jahre später das erwählte Ranzen-Motiv nicht mehr gefällt. „Wenn das Kind in der dritten Klasse ist, kommen die Kunden wieder“, sagt Melzer.

Welcher Ranzen es sein soll, entscheide­t meistens das Kind. In seltenen Fällen setzen sich aber auch die Eltern durch. „Das finde ich immer ganz furchtbar“, sagt Verkäuferi­n Melzer. „Der Erstklässl­er soll sich doch damit wohlfühlen.“Und den Ranzen stolz auf dem Schulweg präsentier­en. Claudia Hamburger

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