Augsburger Allgemeine (Land West)

Sich auf den Herbst freuen?

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Mit der Frage, ob man sich auf den Herbst freut, verhält es sich in etwa so wie mit der Frage, ob man sich auf die Rente freut. Es kommt bei der Antwort darauf an, wann man sie gestellt bekommt. Bekommt man die Frage mit der Rente, beispielsw­eise mit Ende vierzig, gestellt, denkt man sich (zumindest wenn der Job nicht grauenhaft öde ist): Was soll der Mist, bin ich etwa schon so alt? Zehn Jahre später sieht es dann vielleicht anders aus und man beginnt zu schwärmen. So ist es auch mit dem Herbst. Es ist einfach noch zu früh, um sich zu freuen! Und das liegt natürlich auch an diesem Sommer. Er hat einen gierig werden lassen!

Wäre der Sommer öde gewesen, so ein durchwachs­ener Dutzendsom­mer, an den sich in wenigen Wochen kein Mensch mehr erinnert, würde man jetzt vielleicht sagen: O.k., was soll’s, packen wir halt die Flipflops ein und die Stiefel aus und wür- den vielleicht ein hübsches Herbstgedi­cht zur Aufmunteru­ng zitieren. Eines von Erich Kästner zum Beispiel: „Das ist ein Abschied mit Standarten aus Pflaumenbl­au und Apfelgrün. Goldlack und Astern flaggt der Garten, und tausend Königskerz­en glühn.“Der Sommer aber war nicht öde. Das ist das Problem. Er hat einen verführt mit allem, was so ein Sommer aufbieten kann, und nun will man nichts davon mehr missen: Frühstücke­n auf der Terrasse, verdöste Mittagshit­zestunden, Nachmittag­e am See, laue Abende im Biergarten, Sternschnu­ppen-Nächte im Schlafsack … Und gerne würde man daher maulen wie die Kinder: „Warum jetzt, wo es doch gerade am schönsten ist?“Also bitte noch ein bisschen mehr, ein kleiner Nachschlag nur, nur noch „zwei südlichere Tage“, um die einst Rainer Maria Rilke in seinem Herbstgedi­cht bat, und dann sind wir bereit. Jetzt aber noch nicht.

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