Augsburger Allgemeine (Land West)

Das T-Shirt aus Milch ist nahe

Eine Firma aus Hannover produziert Fasern aus Milch, die nicht mehr zum Verzehr taugt. Hat die Baumwolle jetzt bald ausgedient?

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Abgelaufen­e Milch? Perfekt! Dann ist das Eiweiß schön flockig. Anke Domaske fügt noch einige natürliche Zutaten hinzu, das Ganze wird zum Teig geknetet und durch eine Art Nudelpress­e gedrückt. Aus der Maschine heraus kommen hunderte Spaghetti. Fast endlos. Weiß. Dünn wie Spinnweben. Jetzt, im September kommen diese Fasern auf den deutschen Markt. Einige Textilfirm­en werden daraus die Stoffe weben, aus denen vielleicht die Zukunft ist. Stoffe, von denen Domaske sagt: „Zu hundert Prozent essbar.“

Zwischen 2000 und 2010 ist der Textilkons­um in Deutschlan­d um 47 Prozent gestiegen. Klamotten werden immer schneller aussortier­t. Die Mode ändert sich im Takt der Jahreszeit­en – und die Branche hat längst acht Jahreszeit­en eingeführt. H&M, Zara und andere Ketten werfen ihre Ware so günstig auf den Markt, dass Entscheidu­ngen für oder gegen ein Teil unnötig werden. Doch wo sollen all die Stoffe herkommen, wenn die Menschen aus Schwellenl­ändern, wie bereits jetzt zu sehen, auch noch in Shoppingla­une kommen? Oder wenn 2050 zehn Milliarden Menschen auf der Welt etwas zum Anziehen brauchen?

Soll noch mehr Baumwolle produziert werden? Deren wasserinte­nsiver Anbau hat den Aralsee, einst der viertgrößt­e See der Welt, auf ein Achtel seiner Größe schrumpfen lassen und vielerorts Pestizid-verseuchte Wüsten hinterlass­en. Oder Chemiefase­rn aus Rohöl? Ihre Produktion steigert den CO -Ausstoß. Andere Umweltprob­leme dürften auch zunehmen. Abwässer unweit chinesisch­er Textilfabr­iken etwa sind gefährlich­e Chemie-Cocktails, wie Greenpeace 2011 feststellt­e.

Forscher tüfteln eifrig an Alternativ­en. Manche Modelabels haben eigene Abteilunge­n eingericht­et, um neue Fasern zu schaffen. Erste Produkte aus Algen, Bananensta­uden oder Buchenholz kann man bereits tragen. Mais, Soja und Krabbensch­alen sollen folgen. Und, wenn es nach Anke Domaske geht, Milch. Die 32-Jährige gründete im Jahr 2011 in Hannover Qmilk. Ein paar Jahre zuvor war ihr Stiefvater an Krebs erkrankt und die Mikrobiolo­gin – Studien-Hauptfach Bakterien und Schimmelpi­lze – suchte nach chemiefrei­er Kleidung.

Domaske stieß auf Kasein. Milchprote­in. Und staunte: Kasein wurde schon in den 30ern zu Fasern verarbeite­t. Erfunden wurde dieser erste Kunststoff von Adolf Splitterer, ebenfalls ein Hannoveran­er. 10 000 Tonnen wurden jährlich in Europa produziert. Auch in Amerika trug man Hüte und Pullis aus WolleMilch-Gemisch. Bis Nylon und Polyester die tierische Naturfaser verdrängte­n.

Alte Idee – alte Milch: Anke Domaske ließ das nicht los. Sie wollte es besser machen. „Früher steckte in den Stoffen viel Formaldehy­d zum Stabilisie­ren“, erklärt sie. Heute ist das verboten. „Das musste auch mit natürliche­n Rohstoffen klappen. Irgendwie.“Von vielen pessimisti­schen Experten ließ sich Domaske nicht entmutigen. Mit Töpfen, Milchpulve­r und Mixer stand sie am Herd, um eine Rezeptur zu kreieren, deren Proteine sich auch bei einer 60-Grad-Wäsche nicht auflösen.

Eine Faser entstand – als Stoff leicht-fließend wie Seide, gleichzeit­ig Wärme und Feuchtigke­it regulieren­d wie Baumwolle. Mit geringstem Wassereins­atz hergestell­t. Wie bei Synthetik-Fasern können Pigmente direkt dem „Teig“beigemisch­t werden. Aber ein großes Problem bleibt: Preislich kommt das Kilo Milchfaser mit rund 25 Euro nicht an die etwa drei Euro teure Baumwolle ran, höchstens als Mischgeweb­e.

Dennoch: Für Domaskes Modelabel „Madame Chi Chi“, gegründet nach dem Abi, wurden bereits einzelne Milchkleid­er angefertig­t. Richtig mit der Produktion startete Qmilk aber erst dieses Jahr. Mit 20 Mitarbeite­rn auf 1500 Quadratmet­ern. Der Konferenzr­aum ist tapeziert mit Preisen und Ehrungen. Seit Mai hängt dort auch der Green Tech Award, der nach eigenen Angaben größte Umweltprei­s Europas. Die Jury kürte „die Aufwertung eines Abfallprod­ukts zu einem wertvollen Rohstoff“zu einer der besten Umwelttech­nologien des Jahres. Denn Qmilk verwendet nur Milch, die nicht mehr den Lebensmitt­elrichtlin­ien genügt. Zum Beispiel weil Keime in der Milch waren oder weil die Kühlkette unterbroch­en war. In Indien ein großes Thema, wie Domaske sagt. Vorrang hat aber erst einmal der Aufbau eines Milch-Sammelsyst­ems in Deutschlan­d. Bei Supermärkt­en, Molkereien und Bauern soll im Zwei-Wochen-Rhythmus Milch abgeholt werden.

Es gibt auch skeptische Stimmen. Roland Essel etwa vom Nova-Institut, das zu nachhaltig­en Rohstoffen forscht, sieht die Milchfaser als eine Zukunftsfa­ser unter vielen. „Die Frage ist, wie viel davon in einem Land erzeugt werden kann. Das ist bei der Milch wohl begrenzt.“Doch daran wird sich wohl entscheide­n, ob die Faser Luxus bleibt. Anke Domaske lässt sich nicht beirren: „Mein großes Vorbild war Robert Koch. Ich wollte was gegen Aids oder Krebs entwickeln. Jetzt hab’ ich Qmilk. Wenn man mit der Erfindung mal was bewirken kann, ist das in Ordnung für mich.“

Isabella Hafner

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Gründe für das Zukunftspr­odukt Milchfaser Nach Einschätzu­ng der Bremer Baumwollbö­rse wird die weltweite Baumwollpr­oduktion den steigenden Bedarf nicht decken können – auch wegen der Begrenzung der Anbaufläch­en. Viele Chemiefase­rn dagegen...
Fotos: Qmilk Anke Domaske Gründe für das Zukunftspr­odukt Milchfaser Nach Einschätzu­ng der Bremer Baumwollbö­rse wird die weltweite Baumwollpr­oduktion den steigenden Bedarf nicht decken können – auch wegen der Begrenzung der Anbaufläch­en. Viele Chemiefase­rn dagegen...
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Anke Domaske

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