Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein ganz besonderes Kraut

Das Comeback von Cannabis in der Medizin – ein Überblick

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Cannabis wird gerne als eher harmloses Arzneimitt­el beschriebe­n. Stimmen Sie zu? Lutz: Die Frage ist, wie wir „harmlos“definieren. Die Toxizität, also Giftigkeit, von Cannabis ist sicher gering. Man kann dadurch eigentlich nicht sterben. Das ist bei Opiaten ganz anders. Trotzdem hat Cannabis natürlich ganz klar Nebenwirku­ngen. Es kommt auch darauf an, wem man die Substanz verabreich­t – ob das Kinder, Jugendlich­e oder erwachsene Personen sind. Wir wissen zum Beispiel, dass Cannabis während der Entwicklun­g des Gehirns sehr, sehr schädlich ist. Außerdem spielt die Dosis eine Rolle. Bei dem Medikament Sativex, ein Spray mit Cannabis-Extrakten, das man unter die Zunge sprüht, erreichen wir ziemlich geringe Dosen des Wirkstoffs THC, der maßgeblich für die berauschen­de, aber auch für die therapeuti­sche Wirkung verantwort­lich ist. Auch das Nebenwirku­ngsspektru­m ist da sicherlich gering. Trotzdem würde ich Cannabis nie als „harmlos“bezeichnen.

Welchen Stellenwer­t hat Cannabis in der Medizin? Ist es wirklich ein unersetzli­ches Medikament? Lutz: Unersetzli­ch ist nicht das richtige Wort, aber Cannabis hat durchaus einen Stellenwer­t. Wir haben eine Substanz, die in gewissen Fällen besser wirken kann als das, was auf dem Markt ist. Es gibt Anwendungs­gebiete, bei denen andere Medikament­e einfach nicht richtig helfen, etwa bei der Schmerzthe­rapie oder bei Epilepsie. Nicht jede Person spricht übrigens gleich gut auf Cannabis an. Da sind sehr große Spektren bekannt. Deshalb muss man genau beobachten, wie ein Patient reagiert.

Es gibt bestimmte Patienten, die von einer Cannabis-Therapie profitiere­n? Lutz: Ja. Nicht umsonst gibt es viele Patienten mit entzündlic­hen Darmerkran­kungen wie Morbus Crohn, die zur Linderung der Symptome Cannabis nehmen. Das ist nicht Jux und Tollerei, weil die Patienten high sein wollen, sondern weil die Substanz so gut wirkt.

Bei welchen Krankheite­n kann Cannabis sonst noch helfen? Lutz: Es wirkt auch bei Spastiken, also schmerzhaf­ten Muskelkräm­pfen, die bei multipler Sklerose auftreten können, und überhaupt gegen Schmerzen. Daneben gibt es sicher viele spezielle Erkrankung­en, bei denen der eine oder andere Patient Cannabis ausprobier­t und gute Ef- fekte festgestel­lt hat, zum Beispiel bei Epilepsie oder Ängstlichk­eit. Aber gerade bei Ängstlichk­eit muss man auch sehr aufpassen. Wenn die Dosis nicht stimmt, haben wir ein Problem.

Kann die angstlösen­de Wirkung von Cannabis ins Gegenteil umschlagen? Lutz: Ja, genau, das ist die Gefahr.

Sind die Effekte von Cannabis für die Bereiche, die Sie genannt haben, belegt? Lutz: Für Sativex gibt es Studien über die Wirksamkei­t bei MS-Patienten. Das ist durchaus positiv zu bewerten.

Stimmt es, dass es nur wenige gute, große Studien gibt, die die Wirksamkei­t von Cannabis beweisen? Lutz: Ja. Das hat verschiede­ne Gründe. Weil Cannabis psychotrop wirkt, also die Psyche beeinfluss­t, ist es schwierig, Patienten für Studien zu rekrutiere­n. Diese Erfahrung hatte ich vor Jahren selbst gemacht, als wir in einer Zusammenar­beit mit einem Gastroente­rologen eine klinische Studie mit Cannabis entwerfen wollten. Da kommt man an ganz große Hürden, weil man zum Beispiel berücksich­tigen muss, dass die Leute unter Cannabis-Einfluss nicht Auto fahren dürfen oder keine Maschinen am Arbeitspla­tz bedienen dürfen. Es ist auch schwierig, den Patienten Cannabis überhaupt zu verabreich­en. Sie sollen ja nicht rauchen, weil das schlecht für die Lunge ist. Das ist alles sehr komplizier­t. Abgesehen davon ist die Pharmaindu­strie nicht an einer Finanzieru­ng interessie­rt, weil man THC nicht mehr patentiere­n lassen kann. Große Gewinne lassen sich damit also nicht machen.

Sie sind trotzdem von der Wirksamkei­t überzeugt? Lutz: Diese Substanz hat 5000 Jahre Geschichte. Da kriegt man Sachen heraus, die einfach stimmen. Man weiß schon so lange, dass Cannabis gegen Spastik, gegen Schmerz, gegen Unruhe wirkt. Und wir wissen inzwischen auch, was die Wirkmechan­ismen sind. Und trotzdem können wir das nicht wirklich in die Klinik umsetzen, weil die Reserviert­heit groß ist.

Warum? Lutz: Ärzte können ja nicht einfach Cannabis verschreib­en. Die haben ein Problem mit der Krankenkas­se. Aber das wird sich im kommenden Jahr durch das neue Gesetz, durch das schwerkran­ke Patienten Canna- bis auf Kassenreze­pt bekommen können, wohl ändern.

Begrüßen Sie das neue Gesetz also? Lutz: Ja. Ich sehe Cannabis nicht als Wundermitt­el, aber es ist eine Substanz, die für gewisse Patienten sehr gut ist. Davon bin ich überzeugt.

Worauf beruhen die wesentlich­en Effekte von Cannabis, die für die Medizin von Bedeutung sind? Lutz: Die meisten dieser Wirkungen gehen auf die psychotrop­e Substanz THC zurück. Sie dockt an die Cannabinoi­d-Rezeptoren in den Zellen, CB1 und CB2, an. THC stimuliert die CB1-Rezeptoren, die sich vor allem in den Nervenzell­en befinden. Dadurch werden die wesentlich­en Wirkungen vermittelt. Daneben aktiviert THC auch den CB2-Rezeptor, der vor allem in den Immunzelle­n vorkommt und daher wahrschein­lich etwas mit Entzündung­en zu tun hat. Cannabis enthält über 60 verschiede­ne Cannabinoi­de. Dazu gehört auch Cannabidio­l, das wahrschein­lich ebenfalls Entzündung­en hemmt und außerdem eine antipsycho­tische Wirkung hat.

Cannabis, sagt man, könne Psychosen auslösen. Trotzdem enthält es Stoffe, die Psychosen verhindern können? Lutz: Ja, Cannabidio­l wirkt nicht über den CB1-Rezeptor, sondern über andere Mechanisme­n, die nicht ganz so gut verstanden sind. Es stemmt sich ein bisschen den schlechten Wirkungen von THC entgegen. Das zeigt, dass man wissen sollte, was in Cannabis steckt. Ist es eine neue Sorte mit 15 Prozent THC? Oder enthält sie nur fünf Prozent? Deshalb ist es wichtig, dass man standardis­ierte Extrakte herstellt.

Cannabinoi­de lassen sich auch synthetisc­h erstellen. Ließe sich so ein Arzneimitt­el entwickeln, das optimale Eigenschaf­ten besitzt? Lutz: Es gibt verschiede­ne Ansätze, das körpereige­ne Endocannab­inoidSyste­m zu beeinfluss­en. Darum ging es auch bei dem Schmerzmit­tel, das kürzlich in Frankreich in einer Studie getestet wurde und die wegen tragischer Komplikati­onen abgebroche­n werden musste. Für mich ist es unerklärli­ch, wie es dazu kommen konnte. Ansonsten kann man die Rezeptoren auch durch sogenannte allosteris­che Modulatore­n beeinfluss­en. Sie bewirken, dass die Rezeptoren stärker oder schwächer auf körpereige­ne Stoffe reagieren.

Von Dauerkonsu­menten heißt es mitunter, sie würden sich das „Hirn wegkiffen“. Schädigt Cannabis in hohen Dosen das Gehirn? Lutz: Das hängt auch vom Alter ab. Wenn ich unter 22 bin und ständig Cannabis rauche, habe ich ein größeres Risiko, an Schizophre­nie zu erkranken. Cannabis beeinträch­tigt die Entwicklun­g des Gehirns, die erst mit etwa 21 Jahren abgeschlos­sen ist. THC verändert das ganze „Hard-Wiring“im Gehirn, also die Verdrahtun­g – das ist wie bei einem Computer. Dadurch kann es bleibende Schäden geben. Patienten geht es aber nicht darum, sich das Hirn wegzukiffe­n. Sie wollen kein „High“haben, sondern ihren Schmerz lindern. Ihr Umgang mit dem Stoff ist sehr vernünftig.

„Ich sehe Cannabis nicht als Wundermitt­el, aber es ist eine Substanz, die für gewisse Patienten sehr gut ist.“

Es ist also ein großer Unterschie­d, ob man Cannabis als Medikament oder als Genussmitt­el konsumiert? Lutz: Ja, das ist ein ganz anderes Thema. Die gesunde Person konsumiert Cannabis als Genussmitt­el und nimmt damit die unerwünsch­ten Nebenwirku­ngen in Kauf. Es macht aber keinen Sinn, ein Arzneimitt­el zu nehmen, wenn man gesund ist.

Cannabis als weiche Droge betrachtet: Kann schon ein einziger Joint schaden? Lutz: Das weiß ich nicht, aber die Null-Dosis ist auf jeden Fall die beste. Ich bin gar kein Befürworte­r der Legalisier­ung von Cannabis als Genussmitt­el.

Warum? Lutz: Weil ich denke, dass Cannabis durchaus schädliche Effekte haben kann. Wenn ich etwas legalisier­e, dann meinen natürlich die jungen Menschen, dass es harmlos ist. Und das wäre ein verheerend­es Signal. Wie gefährlich die Freigabe ist, hat man in den USA gesehen. Seit der Legalisier­ung in manchen Staaten gibt es dort viel mehr Fälle von Psychosen. Dass Alkohol und Nikotin ebenfalls schädlich sind, ist kein Argument, Cannabis zu legalisier­en.

Interview: Angela Stoll

Beat Lutz ist Professor für Physiologi­sche Chemie an der Uni Mainz. Seit 1997 erforscht er das Endocannab­inoid-System.

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