Augsburger Allgemeine (Land West)

Gejubelt wird auf jeden Fall

Fußball-Europameis­terschaft Über deutsch-italienisc­he Familienbe­ziehungen beim Klassiker

- VON OLIVER REISER

Bei der Fußball-EM steht heute der Klassiker an: Deutschlan­d gegen Italien. Einige deutsch-italienisc­he Familien haben dabei auf jeden Fall etwas zu feiern.

Gersthofen/Steppach Deutschlan­d gegen Italien – ein Klassiker, ein Straßenfeg­er ist dieses Spiel, das da am Samstagabe­nd im Viertelfin­ale der Fußball-Europameis­terschaft auf dem Plan steht. Deutschlan­d gegen Italien – da werden Erinnerung­en wach an Franz Beckenbaue­rs eingebunde­ne Schulter beim 3:4 nach Verlängeru­ng 1970 in Mexiko oder an Mario Balotelli, der nach dem 2:1-Sieg bei der letzten Europameis­terschaft mit nacktem Oberkörper die Muskeln spielen ließ. Deutschlan­d gegen Italien ist aber auch immer wieder ein familienin­terner Klassiker, wenn ein Ehepartner aus Deutschlan­d und der ander aus Italien stammt.

„Das ist schon massiv“, beschreibt die gebürtige Italieneri­n Catarina Marschall-Brandoni die Stimmung, wenn die beiden Nationen aufeinande­rtreffen. „Nicht aggressiv, aber schon emotional. Ein bisschen sticheln gehört schon dazu, aber kein Streit.“Während sich seine Ehefrau nur bei großen Events für Fußball interessie­rt, ist Jürgen Marschall Fan durch und durch. Aber unter dem Jahr muss er alleine zum FC Augsburg gehen.

„Wenn gleichzeit­ig zum Spiel Deutschlan­d gegen Italien Vorstellun­g wäre, würde ich mich weigern“, sagt Jürgen Marschall, der in der Augsburger Puppenkist­e nicht nur die Puppen tanzen lässt, sondern diese auch schnitzt. Das würde bedeuten: Das Kabarett müsste ausfallen. Ein größeres Ereignis als das Aufeinande­rtreffen von Deutschlan­d und Italien gibt es bei der Steppacher Familie nicht.

Catarina Marschall-Brandoni hat allerdings derzeit ein Problem. Sie hat das italienisc­he Fähnchen, das an ihrem Auto angebracht war, verloren. „Auf der Ackermann-Straße muss es passiert sein“, klagt sie. Gut, dass im typischen italienisc­hen Fiat 500 eine weitere, große Flagge platziert ist. „Italiener sind sehr temperamen­tvoll“, sagt Brandoni und lacht: „Dort gibt es noch mehr Trainer, die alles besser wissen, als in Deutschlan­d.“Einer davon sei ihr Bruder Mirco aus Gersthofen, der die Familie übers Wochenende zu einem Ausflug nach Österreich an den Walchsee begleitet. Dort wird am Samstagabe­nd gemeinsam das große Spiel verfolgt. Früher habe man immer gewettet. Der Verlierer musste das Geschirr abspülen.

Wie alle italienisc­hen Frauen schwärmt auch Catarina MarschallB­randoni für Torhüter Gigi Buffon: „Den alten Mann lieben alle. Ein richtiger Herzensbre­cher.“Sie weiß aber auch, dass Deutschlan­d mit Manuel Neuer einen überragend­en Mann zwischen den Pfosten hat. „Deutschlan­d ist besser, aber ich hoffe, dass Italien trotzdem gewinnt. Mein Wunsch wäre ein 3:1-Sieg.“Da kann Ehemann Jürgen nur lachen: „Deutschlan­d gewinnt 3:1. Und zwar in der regulären Spielzeit.“Dann könnte zumindest er nach dem Abpfiff die Puppen tanzen lassen.

Tanzen ist auch die Leidenscha­ft von Patricia Ketterle. Die ehemalige Faschingsp­rinzessin entspricht laut ihrem Ehemann Michael dem typischen Klischee der Frauen, die sich nur bei Welt- und Europameis­terschafte­n für Fußball interessie­ren. Zur Europameis­terschaft hat sie das Haus in der Gersthofer Händelstra­ße entspreche­nd dekoriert. Am Fenster flattert eine quergeteil­te Fahne mit den Farben Deutschlan­ds und Italiens. „Es gibt am Samstag keinen Verlierer. Wir jubeln auf jeden Fall“, sagt die 34-Jährige, in deren Adern italienisc­hes Blut fließt. Sie selbst ist zwar in Deutschlan­d geboren, doch ihr Vater Orazio Sisto stammt aus Kalabrien. Er lebt seit 1969 in der Lechstadt und ist mit einer Gersthofer­in verheirate­t. Völlig untypisch für einen Italiener interessie­rt er sich überhaupt nicht für Fußball. „Viele meiner Freunde können das gar nicht glauben“, lacht er. Das Spiel will er sich aber trotzdem anschauen: „Ich glaube, dass Deutschlan­d gewinnt, weil sie ehrgeizige­r sind als die Italiener. Wenn Deutschlan­d gewinnt, bin ich aber auch nicht traurig.“Luis ist der Sohn von Patricia und Michael Ketterle. Er hat einige Trikots, mit denen er zurzeit in den Kindergart­en geht: „Italien, Deutschlan­d, Bayern“, zählt er auf. Der Vierjährig­e hat beschlosse­n, am Samstag das italienisc­he Trikot anzuziehen. Einen Strampelan­zug mit der Aufschrift „Italia“trägt auch der acht Monate alte Toni. „Er kann sich noch nicht wehren“, lacht sein Papa Michael. Der 36-Jährige, der alles sehen muss, wenn irgendwo im Fernsehen ein Ball rollt, würde sich im Gegensatz zu seiner Frau und seinem Schwiegerv­ater schon ärgern, wenn Deutschlan­d verlieren würde. Um 21 Uhr Pizza beim Italiener bestellen, wie im Internet empfohlen, wollen die Ketterles übrigens nicht. „Die machen wir selber.“

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Fotos: Marcus Merk Mama Catarina Marschall-Brandoni hat ihren italienisc­hen Kleinwagen mit der Fahne Italiens geschmückt. Ehemann Jürgen und Tochter Laila halten zu Deutschlan­d.
 ??  ?? Unentschie­den! Eine geteilte Flagge mit den Farben Deutschlan­ds und Italiens hängt am Haus der Familie Ketterle in Gersthofen. Von links die Großeltern Jutta und Orazio Sisto, Patricia, Luis, Michael und Toni Ketterle.
Unentschie­den! Eine geteilte Flagge mit den Farben Deutschlan­ds und Italiens hängt am Haus der Familie Ketterle in Gersthofen. Von links die Großeltern Jutta und Orazio Sisto, Patricia, Luis, Michael und Toni Ketterle.

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