Augsburger Allgemeine (Land West)
Gejubelt wird auf jeden Fall
Fußball-Europameisterschaft Über deutsch-italienische Familienbeziehungen beim Klassiker
Bei der Fußball-EM steht heute der Klassiker an: Deutschland gegen Italien. Einige deutsch-italienische Familien haben dabei auf jeden Fall etwas zu feiern.
Gersthofen/Steppach Deutschland gegen Italien – ein Klassiker, ein Straßenfeger ist dieses Spiel, das da am Samstagabend im Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft auf dem Plan steht. Deutschland gegen Italien – da werden Erinnerungen wach an Franz Beckenbauers eingebundene Schulter beim 3:4 nach Verlängerung 1970 in Mexiko oder an Mario Balotelli, der nach dem 2:1-Sieg bei der letzten Europameisterschaft mit nacktem Oberkörper die Muskeln spielen ließ. Deutschland gegen Italien ist aber auch immer wieder ein familieninterner Klassiker, wenn ein Ehepartner aus Deutschland und der ander aus Italien stammt.
„Das ist schon massiv“, beschreibt die gebürtige Italienerin Catarina Marschall-Brandoni die Stimmung, wenn die beiden Nationen aufeinandertreffen. „Nicht aggressiv, aber schon emotional. Ein bisschen sticheln gehört schon dazu, aber kein Streit.“Während sich seine Ehefrau nur bei großen Events für Fußball interessiert, ist Jürgen Marschall Fan durch und durch. Aber unter dem Jahr muss er alleine zum FC Augsburg gehen.
„Wenn gleichzeitig zum Spiel Deutschland gegen Italien Vorstellung wäre, würde ich mich weigern“, sagt Jürgen Marschall, der in der Augsburger Puppenkiste nicht nur die Puppen tanzen lässt, sondern diese auch schnitzt. Das würde bedeuten: Das Kabarett müsste ausfallen. Ein größeres Ereignis als das Aufeinandertreffen von Deutschland und Italien gibt es bei der Steppacher Familie nicht.
Catarina Marschall-Brandoni hat allerdings derzeit ein Problem. Sie hat das italienische Fähnchen, das an ihrem Auto angebracht war, verloren. „Auf der Ackermann-Straße muss es passiert sein“, klagt sie. Gut, dass im typischen italienischen Fiat 500 eine weitere, große Flagge platziert ist. „Italiener sind sehr temperamentvoll“, sagt Brandoni und lacht: „Dort gibt es noch mehr Trainer, die alles besser wissen, als in Deutschland.“Einer davon sei ihr Bruder Mirco aus Gersthofen, der die Familie übers Wochenende zu einem Ausflug nach Österreich an den Walchsee begleitet. Dort wird am Samstagabend gemeinsam das große Spiel verfolgt. Früher habe man immer gewettet. Der Verlierer musste das Geschirr abspülen.
Wie alle italienischen Frauen schwärmt auch Catarina MarschallBrandoni für Torhüter Gigi Buffon: „Den alten Mann lieben alle. Ein richtiger Herzensbrecher.“Sie weiß aber auch, dass Deutschland mit Manuel Neuer einen überragenden Mann zwischen den Pfosten hat. „Deutschland ist besser, aber ich hoffe, dass Italien trotzdem gewinnt. Mein Wunsch wäre ein 3:1-Sieg.“Da kann Ehemann Jürgen nur lachen: „Deutschland gewinnt 3:1. Und zwar in der regulären Spielzeit.“Dann könnte zumindest er nach dem Abpfiff die Puppen tanzen lassen.
Tanzen ist auch die Leidenschaft von Patricia Ketterle. Die ehemalige Faschingsprinzessin entspricht laut ihrem Ehemann Michael dem typischen Klischee der Frauen, die sich nur bei Welt- und Europameisterschaften für Fußball interessieren. Zur Europameisterschaft hat sie das Haus in der Gersthofer Händelstraße entsprechend dekoriert. Am Fenster flattert eine quergeteilte Fahne mit den Farben Deutschlands und Italiens. „Es gibt am Samstag keinen Verlierer. Wir jubeln auf jeden Fall“, sagt die 34-Jährige, in deren Adern italienisches Blut fließt. Sie selbst ist zwar in Deutschland geboren, doch ihr Vater Orazio Sisto stammt aus Kalabrien. Er lebt seit 1969 in der Lechstadt und ist mit einer Gersthoferin verheiratet. Völlig untypisch für einen Italiener interessiert er sich überhaupt nicht für Fußball. „Viele meiner Freunde können das gar nicht glauben“, lacht er. Das Spiel will er sich aber trotzdem anschauen: „Ich glaube, dass Deutschland gewinnt, weil sie ehrgeiziger sind als die Italiener. Wenn Deutschland gewinnt, bin ich aber auch nicht traurig.“Luis ist der Sohn von Patricia und Michael Ketterle. Er hat einige Trikots, mit denen er zurzeit in den Kindergarten geht: „Italien, Deutschland, Bayern“, zählt er auf. Der Vierjährige hat beschlossen, am Samstag das italienische Trikot anzuziehen. Einen Strampelanzug mit der Aufschrift „Italia“trägt auch der acht Monate alte Toni. „Er kann sich noch nicht wehren“, lacht sein Papa Michael. Der 36-Jährige, der alles sehen muss, wenn irgendwo im Fernsehen ein Ball rollt, würde sich im Gegensatz zu seiner Frau und seinem Schwiegervater schon ärgern, wenn Deutschland verlieren würde. Um 21 Uhr Pizza beim Italiener bestellen, wie im Internet empfohlen, wollen die Ketterles übrigens nicht. „Die machen wir selber.“