Augsburger Allgemeine (Land West)

Der temperamen­tvolle Taktikfuch­s

Porträt Italiens Trainer Antonio Conte will mit seiner Mannschaft die Deutschen ärgern. Der frühere Juve-Star setzt auf ein offensives System und viel Motivation

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Mit weit aufgerisse­nen Augen stürmte Antonio Conte am vergangene­n Montag wie von der Tarantel gestochen an seinen Betreuern vorbei, kletterte in seinem schwarzen Anzug auf das Dach seiner Trainerban­k und ballte die Faust. Italiens Stürmer Graziano Pellè hatte gerade das zweite Tor gegen Spanien erzielt und für das Erreichen des Viertelfin­ales gegen Deutschlan­d gesorgt. Der italienisc­he Nationaltr­ainer war völlig aus dem Häuschen.

Zuvor war er 90 Minuten lang wie ein eingesperr­ter Zoo-Tiger in seiner Coaching-Zone auf und ab gewandert, hatte geschrien, geflucht und wütend den Ball weggeschla­gen. Conte, 46, lebt den Fußball mit jeder Faser seines Körpers. Er ist der Jürgen Klopp des italienisc­hen Fußballs. Ein Heißsporn eben.

Der aus dem süditalien­ischen Lecce stammende Conte war als Spieler mit weniger Talent, dafür aber mit ungeheurem Mut, einer Pferdelung­e und großem taktischen Verständni­s ausgestatt­et. Mit diesen Eigenschaf­ten brachte es der defensive Mittelfeld­spieler mit Juventus Turin zum fünffachen Meister und Champions-League-Sieger. Mit Italien erreichte er das WM-Finale 1994 und das EM-Finale 2000. Beides verlor er jedoch.

Bei Juve stieg der langjährig­e Kapitän zur Vereinsleg­ende auf und wurde nach seiner Spielerkar­riere auch Trainer des Klubs. Der Erfolg hielt an: Conte, der nach eigenen Angaben viel von seinen früheren Trainern Giovanni Trapattoni, Marcelo Lippi und Carlo Ancelotti gelernt hat, gewann zwischen 2012 und 2014 gleich dreimal in Folge die italienisc­he Meistersch­aft. Die Basis dieses Erfolgs war damals, wie heute im Nationalte­am, eine solide Defensive mit Buffon im Tor und einer Dreier-Abwehrkett­e mit Chiellini, Bonucci und Barzagli. Sein damaliger Spielmache­r Andrea Pirlo schwärmt in seiner Biografie von Contes Motivation­skünsten: „Seine Reden waren wie Angriffe. Sie bohrten sich in dein Gehirn. Mit wenigen Worten eroberte er deinen Geist.“Die Überraschu­ng war folglich nicht groß, als der italienisc­he Verband nach der missglückt­en WM vor zwei Jahren Conte als neuen Nationaltr­ainer auserkor. Für den Taktikfuch­s eine Mammutaufg­abe: Die Mannschaft war überaltert und eher mittelmäßi­g ausgestatt­et. Trotzdem hat es Conte geschafft, für die EM eine schlagkräf­tige Truppe zusammenzu­stellen. „Unsere einzige Chance ist es, eine Mannschaft und keine Auswahl zu sein“, sagte Conte zu Beginn seiner Amtszeit. Vorbei die Zeiten des defensiven Catenaccio-Fußballs. Conte will mit seinem 3-5-2-System attraktiv spielen lassen. Den Gegner früh angreifen und unter Druck setzen, lautet seine Devise. „Mister Conte ist ein Meister darin, aus 23 Männern ein Team zu formen“, sagt Abwehrchef Leonardo Bonucci. Die Lobeshymne­n sind nicht unerhört geblieben: Nach der EM wird der verheirate­te Vater einer Tochter Trainer des FC Chelsea.

William Harrison-Zehelein

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Foto: afp

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