Augsburger Allgemeine (Land West)
Urlaub machen, wo andere wohnen
Immobilien In München und Berlin ist bezahlbarer Wohnraum knapp. Weil zu wenig gebaut wird. Und dann sind da Privatleute, die immer mehr Ferienwohnungen und Zimmer an Touristen untervermieten. Die Politik versucht das zu verbieten – und stößt doch an ihre
Berlin Stephan la Barré ist ein fröhlicher Mensch. Wenn er spricht, streut er ab und an einen Witz ein – selbst dann, wenn es darum geht, dass seine Existenz auf dem Spiel steht. Vor zwölf Jahren hat la Barré einen alten Backsteinbau im damals strukturschwachen Berlin-Moabit gekauft – ruhige Lage, großer Hinterhof, die Wohnungen aber waren verfallen und muffig. Der Physiker hat sie grundlegend saniert. Heute vermietet er 15 Apartments, allesamt im Loft-Stil, mit großen Fenstern, schwarzen Ledersofas, ab 150 Euro die Nacht.
Viele seiner Gäste sind Familien. Manche kommen immer wieder, anderen, die zum ersten Mal in der Stadt sind, drückt la Barré schon mal einen Stadtplan in die Hand. Viele, sagt er, bleiben lieber hier als im Hotel, weil sie das echte Kiezgefühl schätzen, weil sie auch im Urlaub genug „Platz zum Leben“haben wollen und die Freiheit, selbst zu bestimmen, um wie viel Uhr sie frühstücken. Doch damit muss Schluss sein. Denn seit 1. Mai ist die Vermietung von Ferienwohnungen in Berlin endgültig verboten.
Das Problem ist: Die Hauptstadt wächst und wächst – im vergangenen und in diesem Jahr um etwa 80000 Bürger. Bezahlbarer Wohnraum ist schwer zu finden. Auch, weil zu wenig gebaut wird, wie aus einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln hervorgeht. Andererseits werden immer mehr Ferienwohnungen oder Zimmer an Touristen vermietet. Jeder elfte Städtetourist übernachtet einer Studie des Immobilienentwicklers GBI zufolge lieber privat als im Hotel. Leute wie la Barré leben davon, aber auch Onlineportale wie Airbnb, Wimdu, Housetrip oder Gloveler, wo Privatunterkünfte zu Hunderten angeboten werden.
Das ist auch für andere deutsche Städte ein Problem. In München etwa geht man davon aus, dass rund 2000 Wohnungen illegal im Stil einer Ferienwohnung an Touristen vermietet werden. Und das, wo es schwer geworden ist, in der Landeshauptstadt eine Wohnung zu einem angemessenen Preis zu finden. Noch gravierender ist die Lage in Berlin: Von 2009 bis 2014 sind die Neuvertragsmieten in der Hauptstadt um fast ein Drittel gestiegen. Auch die Mietpreisbremse konnte das Problem nicht lösen. Zudem ist die Dichte an Ferienwohnungen in Berlin hoch. Das Wirtschaftsmagazin Capital hat herausgefunden, dass in einem Berliner Bezirk 316 auf Airbnb angebotene Ferienwohnun- auf einen Quadratkilometer kommen. In Hamburg waren es höchstens 71, in München 63.
Der Berliner Senat hat reagiert und 2013 das Zweckentfremdungsverbot verabschiedet. Einfach übersetzt besagt es: Wohnraum muss zum dauerhaften Wohnen genutzt werden. Wer die Wohnung dagegen zweckentfremdet, weil er sie leerstehen lässt, abreißt, in Büro- oder Gewerberäume umwandelt oder darin Fremde beherbergt, macht sich strafbar. Ein Zimmer der selbst bewohnten Wohnung an Touristen zu vermieten, ist demnach erlaubt – dauerhaft die gesamte Wohnung anzubieten aber nicht. Das darf seit Mai dieses Jahres nur noch, wer eine Ausnahmegenehmigung hat – und für die gelten hohe Auflagen. Andernfalls riskieren Vermieter eine Geldstrafe von bis zu 100 000 Euro.
La Barré will sich das nicht gefallen lassen. Gemeinsam mit 62 anderen Ferienwohnungsbetreibern hat er vor drei Jahren die „Apartment Allianz“gegründet, die gegen das Gesetz kämpft. Natürlich versteht der 53-Jährige den Ärger über hohe Mieten und Wohnungsknappheit. Nur: Berlin macht in seinen Augen eine einzelne Gruppe für das Problem verantwortlich. Dabei trage die Hauptstadt selbst Schuld daran, weil hunderttausend öffentliche Wohnungen verkauft und zahlreiche andere abgerissen wurden, sagt der Vermieter.
Eines stört ihn ganz besonders: Für bestimmte Berufsgruppen gibt es Ausnahmen. Ärzte, Steuerberater oder Rechtsanwälte dürfen ihre Wohnungen weiterhin gewerblich nutzen, bis sie in Rente gehen. „Es gibt in der Welserstraße ein großes Haus, da sind bis unters Dach nur Rechtsanwälte untergebracht und unten eine kleine Pension. Und nur die muss jetzt zumachen.“In anderen deutschen Städten, in denen ein Zweckentfremdungsverbot gilt, gewähre man allen Gruppen Bestandsschutz, sagt la Barré.
Verlässliche Zahlen, wie viele Ferienwohnungen es in Berlin gibt, liegen ohnehin nicht vor. Offiziell gemeldet sind gerade einmal 6300. Geschätzt wird, dass es mindestens doppelt so viele sind. Stephan von Dassel, Stadtrat des Bezirks BerlinMitte, geht sogar von 23 000 Ferienwohnungen aus.
La Barré lehnt an der Küchenzeigen le seiner Wohnung, nippt an einem Kaffee und schüttelt den Kopf. Weil das bei einem Gesamtbestand von 1,9 Millionen Mietwohnungen gerade mal ein Prozent wäre – zu wenig, um das Gesetz zu rechtfertigen, findet er. „Man macht Unternehmen platt, ohne dass das nachhaltige Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt hat.“Er sagt: „Die schlachten uns jetzt. Das ist ihr Ziel.“
Dann ist da natürlich noch Airbnb – ein Thema, über das la Barré gar nicht gern redet. Für das US-Unternehmen war die Hauptstadt bislang ein wichtiger Markt. Mehr als 20000 Berliner haben im vergangenen Jahr eine Unterkunft über das Internetportal angeboten – meist eine ganze Wohnung, nur in jedem dritten Fall ein einzelnes Zimmer. Vom neuen Gesetz ist Airbnb naturgemäß wenig begeistert. Ende März kam noch eine Firmendelegation aus San Francisco nach Berlin, um mit dem Senat über Ausnahmen zu verhandeln. Inzwischen hat das Unternehmen das Angebot in Berlin deutlich zusammengestutzt und zahlreiche „kommerzielle Anbieter“wie la Barré aus dem Portal geworfen.
Doch Airbnb steht nach wie vor in der Kritik: Denn das Portal wird zunehmend von professionellen Immobilienmaklern genutzt. Fast die Hälfte der Angebote stammt nicht von Privatleuten, heißt es. Andere haben entdeckt, dass die nächteweise Vermietung mehr Geld einbringt als eine dauerhafte – und quartieren nur noch Touristen ein.
Genau das sieht man in der Hauptstadt als „Zweckentfremdung“. Touristen sollen in die Hotels oder in Apartmenthäuser, alle anderen Berliner Ferienwohnungen wieder dauerhaft vermietet werden, sagt Martin Pallgen, Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Dabei hat auch Berlin das „Wohnen auf Zeit“als Geschäftsmodell entdeckt: Der Senat bietet mit der landeseigenen Immobiliengesellschaft Berlinovo 7000 möblierte Apartments an. Diese seien jedoch für längere Vermietungen bestimmt, sagt Pallgen. „Die durchschnittliche Belegungsdauer liegt bei elf Monaten.“
Doch wie will Berlin eigentlich kontrollieren, dass Ferienwohnungen nicht einfach illegal weiter angeboten werden? Wo die Berliner Verwaltung doch ohnehin notorisch überlastet ist? Der wachsame Nachbar soll es richten. In Friedrichshain-Kreuzberg hat die SPD-Fraktion Postkarten an die Bürger verteilt, mit denen sie als „Beschwerdeführer“verdächtige Wohnungen melden können. Die Stadt hat online ein anonymes Anzeigeformular geschaltet, der Berliner Mietverein bietet ein Musterformular zum Download an.
Bislang sind fast 5000 Hinweise eingegangen. 60 Mitarbeiter sind dafür zuständig, das Verbot umzusetzen. Sie gehen unter anderem Hinweisen der Bürger nach, befragen Nachbarn, sammeln Beweise, fordern schriftliche Stellungnahmen von Vermietern an oder leiten Verfahren wegen Zweckentfremdung ein. Ob das allein den Wohnungsengpass lösen kann, ist fraglich. Doch es könnte ein wenig helfen: Noch bevor das Gesetz Anfang Mai in Kraft trat, sind aus rund 1000 Ferienwohnungen wieder normale Mietwohnungen geworden.
Für la Barré ist das keine Option. Zwar muss er – nach dem Gesetz – mehr als die Hälfte seiner Ferienwohnungen aufgeben. Doch er nutzt derzeit „alle legalen Möglichkeiten“, sein Geschäft weiter zu betreiben – auch seiner Mitarbeiter
Die Urlauber schätzen das echte Kiezgefühl Nachbarn sollen verdächtige Wohnungen melden
wegen. „Wenn wir jetzt zumachen, sind wir tot“, sagt der 53-Jährige.
Stattdessen will die Apartment Allianz kämpfen. Zusammen mit Airbnb, Wimdu und Housetrip hat sie ein Gutachten in Auftrag gegeben, Airbnb stieg später wieder aus. Darin kommt Professor Helge Sodan, der jahrelang Präsident des Verfassungsgerichtshofs Berlin war, zu folgendem Ergebnis: Das Gesetz verletze die Berufsausübungsfreiheit sowie die Eigentumsfreiheit, die im Grundgesetz verankert sind. Das sieht das Verwaltungsgericht allerdings anders: Vor wenigen Wochen wurden vier Klagen, die sich auf dieses Gutachten stützen, abgewiesen. Der Streit dürfte nun vor dem Oberverwaltungsgericht fortgesetzt werden – die Ferienwohnungsbetreiber wollen in Berufung gehen.
Stephan la Barré, der vor zwölf Jahren noch ein willkommener Investor in Moabit war, ist betroffen und traurig, dass Berlin die einen bevorteilt und die anderen benachteiligt. Und wütend, dass den Vermietern von Ferienwohnungen nur eine zweijährige Übergangsfrist gewährt wurde. Und doch bleibt er zuversichtlich. Weil er überzeugt ist, dass das Gesetz bald korrigiert wird. „Wie man bis dahin aber überlebt, das ist total kompliziert“, sagt er. Und dass er noch viel Energie hat, das durchzustehen.