Augsburger Allgemeine (Land West)
Der Herr der Linien
Porträt Hubert Jocham gestaltet im Unterallgäu Buchstaben und verkauft sie in die ganze Welt. Er sieht sich als Künstler. Über einen Mann, der auf Weltmetropolen keine Lust hat
Lautrach Linien und Striche sind seine Welt. Hubert Jocham gestaltet, was wir täglich ansehen und doch nie bewusst wahrnehmen: Buchstaben. Dünne und dicke, runde und kantige, schlichte und pompöse. Der Designer verkauft seine Schriften und Firmenlogos in die ganze Welt. Entworfen werden sie im beschaulichen Lautrach, zwölf Kilometer von Memmingen an der baden-württembergischen Grenze.
Jochams Haus sieht man auf den ersten Blick an, dass sein Besitzer ein Faible für Design hat. Außen eine gewellte Fassade, innen blanke, graue Betonwände, minimalistische Möbel, klare Linien. Bauhaus-Stil. Der Holztisch, auf den der 50-Jährige seine muskulösen Arme stützt, ist von einem befreundeten Designer aus der Gegend gestaltet.
„Die meisten Aufträge erhalte ich von Agenturen.“Dann sind etwa neue Schriftarten für Magazine gefragt; oder Firmenschriftzüge sollen überarbeitet werden. Der 50-Jährige zieht auf dem glatten Tisch seinen silberfarbenen Laptop heran und zeigt vergangene Aufträge. Darunter sind etliche Firmen, deren Logos vom wöchentlichen Einkauf bekannt sind: Alete, Weihenstephan, Milky Way und Fruchtzwerge sind nur eine kleine Auswahl.
Wenn Jocham einen solchen Auftrag erhält, geht er über den Hof in sein quaderförmiges Ein-Raum-Bü- ro und beginnt, auf einem digitalen Zeichenbrett Ideen zu skizzieren. „Je nach Auftrag und Kunden habe ich Anhaltspunkte, wie die Schrift aussehen soll.“Für das Magazin Men’s Health etwa gestaltete er den Zeitschriftentitel: Breite Balken, stark, männlich. Seine Schriftart „Glanz“dagegen, die Modemagazine wie die französische Vogue auf der Titelseite nutzen, kombiniert filigrane und starke Linien, strahlt Eleganz und Luxus aus.
Von Schubladendenken hält er jedoch nichts: „Das nimmt einem Möglichkeiten.“Denn dünne Linien wirken nicht nur grazil, sondern auch kühl; dicke vermitteln neben Stärke auch Wärme und wirken einladend. „Es geht darum, Regeln zu brechen, um etwas zu schaffen, das sich andere nicht trauen. So entstehen Alleinstellungsmerkmale.“
Ein Beispiel, bei dem Jocham erfolgreich Regeln gebrochen hat, war das Logo der Kaufhauskette Hertie. „Der Schriftzug wirkt wie handgeschrieben. Bei Kaufhäusern gab es das bis dahin nirgends.“Die Kette ist zwar 2009 insolvent gegangen. Doch der Neon-Schriftzug, den Mitarbeiter damals symbolisch in der Spree versenkten, wurde geborgen und ins Berliner Buchstabenmuseum gebracht.
Manchmal geht es aber gar nicht darum, Buchstaben zu erschaffen, denen ihre Botschaft bereits anzusehen ist. „Manche Marken-Schriftzüge werden bewusst neutral gestal- tet, um ihnen erst durch Werbung wie Fernsehclips ein bestimmtes Image zu verleihen.“So erhält der Schriftzug erst nach und nach eine Bedeutung. „Das muss man aber auch aushalten können. Viele scheuen das Risiko.“
Auch wenn Jocham in der Gestaltung von Buchstaben einen kulturellen Beitrag sieht und seine Arbeit mitunter als Kunst bezeichnet – meistens ist er schlichtweg Dienstleister. „Da darf man nicht eitel sein.“Oft wurden Schriftzüge von Chefs entworfen. „Dann muss man sensible Lösungen finden, die der Kunde akzeptieren kann.“Manches könne man allerdings elegant umgestalten, damit der Schriftzug trotzdem funktioniert. „Denn gerade solche Abweichungen von der Norm machen oft die Eigenart des Schriftzuges aus.“
Viel freier ist Jocham dagegen bei der Gestaltung der Schriftarten, die er ohne Auftrag entwirft und auf seiner Internetseite als Lizenz verkauft. Dabei entstanden auch seine vier prämierten Schriftarten. „Narziss“etwa, deren Buchstaben-Enden in dünnen Linien schwungvoll ausladende Kreise beschreiben, erhielt 2010 den Designpreis des New Yorker „Type Directors Club“. Oder „Matrona“, deren dicke runde Lettern an die 60er-Jahre erinnern und nur wenig Weiß zwischen ihren Flächen durchblitzen lassen. Sie wurde 2011 ausgezeichnet und ziert die gläserne Schiebetür zu Jochams Garten-Büro in Lautrach.
Hinter dieser Tür arbeitet der Designer als beruflicher Selbstversorger: Seine Schriften entstehen von der Idee bis zur Vermarktung in Eigenregie. Durch die Möglichkeiten des Internets sei er nicht auf die Marketing- und Vertriebsmaschinerie großer Agenturen angewiesen. Entweder macht er alles selbst oder er kennt einen befreundeten Experten. „Das ist wie mit dem UniversalKünstler in der Renaissance.“Damals galt es als ideal, besonders vielseitig und unabhängig zu sein.
Zur umkämpften Designbranche scheint der idyllische Ort, in dem Jocham arbeitet und lebt, so gar nicht zu passen. Ebenso wenig zur hippen Designwelt und den schillernden Mode-Magazinen, die Jochams Schriften drucken. Doch das Leben im Dorf ist bewusst gewählt: „Ich finde die Modeszene total wahnsinnig. Sie ist laut, eitel, schräg und ständig wird gestritten.“Großstädte sind ebenfalls nicht seine Sache: auch dort zu viel Eitelkeit. „Da leb’ ich lieber zu Hause im Allgäu.“Neben Ruhe und Bodenständigkeit hat das noch einen weiteren Vorzug: Während des Interviews wirft Jocham einen prüfenden Blick gen Himmel: „Ich glaube, ich geh’ heut’ noch mountainbiken.“
Wenn hippe Designwelt und Dorfidylle zusammentreffen