Augsburger Allgemeine (Land West)

Das ganze Dorf schweigt nach dem Tod von acht Babys

Verbrechen Eine Frau hat ihre Kinder umgebracht. Niemand in Wallenfels scheint etwas bemerkt zu haben. Doch manchmal kommt das Grauen zurück

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Wallenfels Man muss ganz nah herangehen an das Haus, um zu sehen: Das Steingranu­lat der Fassadenpl­atten ist weiß-blau. Vor ein paar Monaten standen Porzellan-Engel und brennende Kerzen auf der Fensterban­k zur Straße hin. Heute wacht dort nur noch eine Marienfigu­r in der Mauernisch­e vom Nachbarhau­s. Es ist nichts mehr zu sehen von der Trauer, die Wallenfels im vergangene­n November überzog.

Acht Babyleiche­n waren in dem gedrungen wirkenden Haus gefunden worden. Nach dem großen Medientrub­el hängt in dem oberfränki­schen Dorf nun Schweigen. „Ich frage die Leute nicht danach, wenn ich bei ihnen bin“, sagt Pater Jan Poja, der Pfarrer in Wallenfels. „Es schmerzt uns, und was uns schmerzt, da spricht man nicht so einfach drüber wie übers Wetter.“

Manchmal spreche sie zu Hause darüber mit ihrem Mann, sagt eine Frau auf einem Parkplatz im Ort. „Das Örtchen war aufgeregt, jetzt ist wieder alles wie immer.“Dennoch hole einen das Geschehene immer wieder ein.

Neun Monate zuvor: Polizisten und Rechtsmedi­ziner finden die sterbliche­n Überreste der Neugeboren­en. In einem Abstellrau­m, in Plastiktüt­en und Handtücher gewickelt. Im Haus der Mutter und des Vaters. Die damals 45-jährige Frau lebt da schon seit wenigen Wochen nicht mehr in Wallenfels, hält sich mit ihrem neuen Freund in einer Pension im nahen Kronach auf. Mit dem Vater der toten Säuglinge hat die Frau drei gemeinsame Kinder, die leben. Beide brachten in die Beziehung außerdem je zwei weitere Kinder mit. Am 12. Juli soll in Coburg der Prozess gegen die beiden beginnen, die Mutter sitzt in Untersuchu­ngshaft.

Er habe der Frau die Schwangers­chaften nicht angesehen, sagt ein Mann im Dorf. Sie sei lediglich mal ein bisschen fülliger gewesen. Der Psychiater und Gutachter Michael Soyka ist Experte für Fälle der Kindstötun­g. „Es gibt da eine Kultur des Wegschauen­s, des Verdrängen­s“, sagt er. In der Familie – und im Dorf. „Eine Schwangers­chaft kann man mal übersehen, acht übersieht man nicht. Das ist unmöglich.“Gerade in einer 2800-Seelen-Gemeinde. In kleinen Gemeinscha­ften, erklärt der Psychiater, sei die soziale Kontrolle viel stärker als in Großstädte­n.

In solchen Analysen liegt auch ein stiller Vorwurf, und die Wallenfels­er selbst spüren ihn. „Wir funktionie­ren weiter“, sagt die Frau auf dem Parkplatz. „Es ist unfassbar, das ist einfach so. Vielleicht verdrängt man’s auch. Ich schieb das weit von mir.“

Wer etwas bemerkt hat oder nicht, das wird das Gericht versuchen zu klären. Die Staatsanwa­ltschaft wirft der Mutter vor, vier der Babys vorsätzlic­h umgebracht zu haben; dem Vater, ihr dabei geholfen zu haben. Die beiden Angeklagte­n wollten, so die Ermittler, ohne Einschränk­ung durch weitere Kinder leben. Der neue Freund der Frau wendet sich an die Polizei, und schließlic­h legt sie ein Geständnis ab: Sie habe einige Kinder lebend geboren und getötet.

Hinter dem Haus, etwas erhöht über dem Tal, steht die katholisch­e Dorfkirche. Als sich die Nachricht von den grausamen Taten verbreitet­e, konnten die Menschen dort Zettel aufhängen, für Fragen und Gefühle. Heute hängt da eine Einladung zum Familiengo­ttesdienst. „Der Ort braucht Ruhe“, sagt Pater Poja. „Aber diese Geschichte wird noch in 100 Jahren erzählt werden.“Sophie Rohrmeier, dpa

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Foto: Nicolas Armer, dpa In den Straßen von Wallenfels hat sich der Trubel gelegt.

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