Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Pflanzen wurden beschlagnahmt
Patientenschicksal Jetzt ist Ralf M. ratlos. Für den Kauf des Cannabis reicht die Rente nicht
Weihnachten 2015 wird Ralf M. noch lange in schlechter Erinnerung bleiben: Zunächst musste der 52-Jährige wegen akuter Atemnot den Notarzt rufen. Als Polizisten den Mediziner zu M.s Wohnung brachten, bemerkten sie dort einen verdächtigen Marihuana-Geruch, kamen herein und kassierten seine Cannabispflanzen samt Zubehör. Jetzt wartet der schwerkranke Mann auf ein Gerichtsverfahren: „Mal sehen, was da auf mich zukommt“, sagt er und klingt relativ gelassen. Dabei hatte der Vorfall noch andere unangenehme Folgen: Weil auch die beiden Enkelkinder auf Besuch waren, als die Polizei die Hanfpflanzen beschlagnahmte, wurde das Jugendamt verständigt. „Die Dame dort hat aber zum Glück eingesehen, dass die Sache harmlos ist“, erzählt der Hamburger.
Der ehemalige Zeitsoldat ist nämlich weder Verbrecher noch Junkie – vielmehr bekämpft er mit Medizinalhanf die Krämpfe und Schmerzen, die ihn in Folge einer angeborenen Neuropathie regelmäßig überfallen. „Sie sind heftig und kommen plötzlich“, sagt er. „Die Schulmedizin hat dagegen nur hammerharte Mittel parat.“So wurden ihm mehrere Schmerzmittel und ein AntiDepressivum verschrieben. „Ich habe nicht mal die Eingewöhnungszeit überstanden. Die Nebenwirkungen waren so schlimm, dass ich nur noch durch die Wohnung torkeln konnte.“
Cannabis hilft ihm dagegen ohne unangenehme Begleiterscheinung, auch von der berauschenden Wirkung spürt er meist wenig. M. konsumiert die Blüten – manchmal kann er damit Beschwerden, die sich vor allem bei einem Wetterumschwung anbahnen, gezielt vorbeugen. Wenn es schnell gehen muss, inhaliert der kranke Mann Cannabis per Verdampfer. Schon beim zweiten Zug spürt er dann eine Linderung. „Das Gute ist außerdem, dass ich nichts zu nehmen brauche, wenn es mir ein paar Tage lang gut geht“, sagt der Frührentner, der zu den Gründern des „Selbsthilfenetzwerks Cannabis-Medizin“gehört. M.s Patientenakte ist dick: Er leidet an einer „hereditär motorisch-sensorischen Neuropathie“, die mit Lähmungen, Krämpfen, Zittern und Empfindungsstörungen einhergeht. Das Gehen fällt ihm schwer. Außerdem hat er die Lungenkrankheit COPD, die zu Atemnot führt, Diabetes und „eine kaputte Leber“. Trotz bürokratischer Hürden ist es ihm gelungen, vor zwei Jahren vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Ausnahmegenehmigung zum Erwerb von Cannabis zu therapeutischen Zwecken zu bekommen. Er darf jetzt in einer Apotheke, die eine spezielle Genehmigung hat, Cannabisblüten kaufen. Doch damit ist das Problem nicht gelöst. „Fünf Gramm kosten dort etwa 75 Euro. Diese Menge reicht mir gerade mal für drei Tage“, sagt M. Für derart hohe Zusatzausgaben reicht seine Rente nicht. „Deshalb habe ich mir daheim drei, vier Pflanzen gehalten.“Jetzt, da sie weg sind, sieht er sich genötigt, den Stoff auf dem Schwarzmarkt zu besorgen. „Ich möchte diese kriminellen Strukturen nicht unterstützen. Aber mir bleibt nichts anderes übrig“, sagt er.
Das neue Gesetz der Bundesregierung, das vorsieht, dass schwerkranke Patienten Cannabis auf Kassenrezept bekommen können, ist für M. ein „Schritt in die richtige Richtung“. Er wünscht sich darüber hinaus, dass Patienten die Versorgung weiter erleichtert wird. Vielen Laien ist nicht klar, dass es viele verschiedene Cannabis-Züchtungen gibt, die auch unterschiedlich wirken. „In der Apotheke sollten einige verschiedene Varietäten angeboten werden, und der Patient sollte auch die Möglichkeit haben, sie auszuprobieren.“
Auch deshalb trauert M. nämlich um seine Pflanzen: Sie enthielten eine Wirkstoff-Komposition, die für seine Zwecke optimal war.
Angela Stoll
Ausnahmegenehmigung für therapeutische Zwecke