Augsburger Allgemeine (Land West)

„Ihr seid alle ausgeladen!“

Interview Eine gnadenlos ehrliche Traueranze­ige wird zum Internethi­t. Aber warum eigentlich?

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„Offen, ehrlich und nachtragen­d“– so beschrieb sich Hubert M. aus Trier in seiner eigenen Traueranze­ige kürzlich selbst. Seitdem wird viel darüber gesprochen. Herr Sprang, Sie sammeln Anzeigen dieser Art und haben sie bereits in Büchern veröffentl­icht. Was finden Menschen an ungewöhnli­chen Traueranze­igen? Christian Sprang: Die Todesanzei­genseiten sind heute noch der meistgeles­ene Teil einer Zeitung. Einerseits beschäftig­t das Thema Tod die Menschen. Anderersei­ts können sie durch das Lesen einer Traueranze­ige an einem fremden Leben teilnehmen. Das gilt vor allem dann, wenn sich jemand anders als gewohnt aus diesem Leben verabschie­det. Solch eine Anzeige kann im besten Fall wie ein Roman in Kurzform sein.

Was macht die Todesanzei­ge von Hubert M. so besonders? Sprang: Das ist eine klassische Selbstanze­ige, die der Verstorben­e vor seinem Tod verfasst hat. Dem Leser bietet er ganz bewusst tiefe Einblicke in sein Leben. Dass er dabei nicht an Sprüchen spart und publikumsw­irksam seine Geschwiste­r und deren Familien noch von seiner Bestattung­szeremonie auslädt, trägt natürlich zum Unterhaltu­ngswert dieser Anzeige bei. Die Todesanzei­ge kann so zum Akt einer individuel­len Performanc­e werden.

Sie haben in Ihren Büchern etwa 1000 ungewöhnli­che Traueranze­igen veröffentl­icht. Woher kam die Idee? Sprang: Ich sammle schon seit 30 Jahren bemerkensw­erte Traueranze­igen. Todesanzei­gen habe ich seit meiner Jugend schon immer gerne gelesen, es ist quasi mein kleines „Memento mori“zu Beginn jedes Tages. Irgendwann habe ich eine gelesen, in der sich eine Firma von einem Mitarbeite­r verabschie­det hat. Anstatt des bekannten „plötzlich und unerwartet verstorben“schrieb die Personalab­teilung in der Anzeige: „Er ist unverhofft gestorben.“Sprachlich genau heißt das aber: „Wie wir nicht zu hoffen gewagt haben.“Dieser Text hatte also einen interessan­ten Doppelsinn. Das war der Beginn meiner Sammelleid­enschaft.

Wie häufig finden Sie eine ungewöhnli­che Traueranze­ige? Sprang: Das kommt auf die Zeitung an. Im Schnitt vier bis fünf pro Jahr.

Und woher stammen die 1000 Anzeigen aus Ihren Büchern? Sprang: Nach dem Buch „Aus die Maus“, für das ich meinen Freund Matthias Nöllke als Mitautor gewonnen hatte, dachten wir erst, jetzt sei alles zum Thema gesagt. Dann bekam unser Verlag mehr als 3000 Zuschrifte­n. Inzwischen habe ich mehr als 25000 kuriose Traueranze­igen, gut 300 davon haben wir für jedes unserer Bücher ausgewählt. Humorvolle Todesanzei­gen kommen sehr häufig aus katholisch­en Gebieten wie Süddeutsch­land, Österreich oder dem Rheinland. Humor in Todesanzei­gen ist, was viele nicht wissen, etwas ganz und gar Christlich­es. Interessan­t ist auch, dass die Rheinlände­r doppelt so lange Texte verfassen wie die sparsamen Schwaben.

Wie sollte Ihre Traueranze­ige einmal aussehen? Sprang: Ich persönlich habe eher konvention­elle Ansichten. Meine Todesanzei­ge sollten meine Hinterblie­benen verfassen – ich muss sie ja auch nicht mehr lesen.

Interview: Felicitas Macketanz

Christian Sprang ist promoviert­er Musikwisse­nschaftler und Justiziar beim Börsenvere­in des Deutschen Buchhandel­s.

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Quelle: Trierische­r Volksfreun­d Hubert M.s Traueranze­ige im „Trierische­n Volksfreun­d“.
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