Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Kronzeugin darf starten
Leichtathletik Die Russin Julia Stepanowa wird für ihren großen Mut belohnt und darf bei der EM laufen. Moskau protestiert
Berlin Doping-Kronzeugin Julia Stepanowa wird für ihren großen Mut belohnt und darf bei der Leichtathletik-EM in Amsterdam an den Start gehen. „Es ist ein wichtiges Zeichen des internationalen Sports, dass sie für ihr Risiko, Missstände in ihrem Sportsystem aufgedeckt zu haben, nicht abgestraft, sondern honoriert wird“, begrüßte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, die Entscheidung des Weltverbandes IAAF. Dieser hatte Stepanowa am Freitag die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen als neutrale Athletin genehmigt.
In Moskau erregte ihre Starterlaubnis erwartungsgemäß Kritik. „Das ist keine gerechte Entscheidung, weil Julia Stepanowa selbst verbotene Präparate verwendet hat“, sagte der Vorsitzende des Sportausschusses der Staatsduma, Dmitri Swischtschjow. Das Gesetz solle für alle gleich sein, forderte er.
Dagegen hat DOSB-Präsident Alfons Hörmann die EM-Teilnahme von Stepanowa als „Signal in die richtige Richtung“gewertet. „Whistleblower müssen gestärkt werden, denn sie werden zur Glaubwürdigkeit und Optimierung des Anti-Doping-Kampfes dringend gebraucht“, sagte der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes. Die Nationale Anti-DopingAgentur begrüßt die IAAF-Entscheidung und hofft, das Julia Stepanowa ein Vorbild für andere Athleten sein kann, über Doping-Betrug zu berichten.
Nach dem IAAF-Beschluss ist nun das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter Zugzwang. Es muss klären, ob ein Start der russischen 800-Meter-Läuferin bei den Sommerspielen in Rio mit der olympischen Charta vereinbar ist. Nach den IOC-Regeln darf nur ein Nationales Olympisches Komitee Athleten für die Spiele nominieren.
Russlands Leichtathletik-Verband WFLA ist nach den Enthüllungen von Stepanowa über ein flächendeckendes Doping in dieser Sportart in ihrem Land auch für die Rio-Spiele suspendiert worden – das NOK des Sportreichs nicht.
Die 29-jährige Mittelstreckenläuferin wird bei der EM unter der Flagge des europäischen Verbandes EAA starten und im Olympiastadion von Amsterdam schon am Eröffnungstag im Blickpunkt stehen. Um 18.25 Uhr beginnen am nächsten Mittwoch die 800-Meter-Vorläufe der Frauen. Was sportlich von Stepanowa nach langer Pause zu erwarten sein wird, ist offen. Nach ihrer Flucht aus Russland, wo sie seit ihren Enthüllungen in der ARDDokumentation „Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht“am 3. Dezember 2014 als Verräterin gilt, machte sie mit ihrer Familie kurz Zwischenstation in Deutschland, inzwischen lebt sie in den USA. Im März 2011 war sie wegen Auffälligkeiten in ihrem biologischen Pass und später eingestandenem Blutdoping gesperrt worden.