Augsburger Allgemeine (Land West)
Ich? Lebe? Noch?
Endlich alles klar. Die Briten wollen bloß noch raus, raus, raus, ob EM oder EU, Hauptsache nicht Europa. Gäbe es dafür einen symbolischeren Akt, als gegen einen in der Finanzkrise 2008 ohne den Europäischen Wirtschaftsraum garantiert Pleite gegangenen Zwerginselstaat zu verlieren? Klar also. Aber dann kommt die Queen und bringt alles wieder durcheinander, mit einem Satz. Als Antwort auf die unverfänglichste aller Fragen, wie’s geht, sagt sie: „Ich lebe jedenfalls noch.“Und was soll das nun heißen? Der Satz verändert seinen Inhalt ja grundlegend, je nach Betonung.
Ich lebe noch: Das könnte eine schwarzhumorige Anspielung auf all die Gestorbenen 2016 sein, Bowie, Prince, Ali, Genscher, Spencer… Oder Triumph: Selbst die EU überlebe ich noch! Oder eine Drohung an Brexit-Überflieger und Premier in spe, Boris Johnson: Komm ruhig – ich werde da sein, mich kriegst du nicht klein.
Ich lebe noch: Während Normalbürger „Muss ja“antwortet, unterscheidet Majestät hier – sie existiert nicht bloß, sie lebt noch. Oder sie verbittet sich die öffentlich wirklich unverfrorene Frage (ähnlich dem Schwäbischen „Ja, gibt’s dich auch noch, ich schau schon immer in der Zeitung“– gemeint: in Todesanzeigen). Das wäre das eine Ansage Richtung Schottland und alle möglichen Spaltern des Vereinigten Königreichs.
Ich lebe noch: Aber vielleicht bald nicht mehr? Und dann geht hier alles drunter und drüber? Also Europa, mach dich auf was gefasst? Eine fiese Spitze gegen den ewigen Thronfolger Charles! Aber vielleicht ist es auch das geschickte Dementi von sich immer mehr verdichtenden Gerüchten: Nein, ich, die Queen, bin sterblich, bin nicht E.T., werde nicht über die nächsten Jahrhunderte hinweg schrumpeln und bis zur Puppengröße schrumpfen, aber lächelnd lebend eben. Klar, oder?