Augsburger Allgemeine (Land West)

Deutschlan­d braucht ein Endlager, doch niemand will Atomklo werden

Leitartike­l In sechs Jahren ist Schluss mit der Kernenergi­e. Doch das strahlende Erbe bleibt. Bei der Suche nach einem Standort gilt das bewährte Sankt-Florians-Prinzip

- VON MARTIN FERBER fer@ugsburger-allgemeine.de

In sechs Jahren ist Schluss. Spätestens am 31. Dezember 2022 müssen die letzten Atomkraftw­erke vom Netz gehen. So hat es der Bundestag mit großer Mehrheit vor fünf Jahren unter dem Eindruck der Atomkatast­rophe von Fukushima beschlosse­n. Dann wird in Deutschlan­d, das zu Beginn des Jahrtausen­ds noch 19 kommerziel­l genutzte Kernkraftw­erksblöcke hatte, kein Strom mehr aus der kontrollie­rten Spaltung von schweren Atomkernen gewonnen.

Zu Ende ist das Atomzeital­ter in Deutschlan­d damit allerdings noch lange nicht. Die strahlende Hinterlass­enschaft dieser kurzen Epoche wird Politik und Gesellscha­ft weiter beschäftig­en und für reichlich Zündstoff sorgen. Denn noch immer ist ungeklärt, wo der radioaktiv­e Müll dauerhaft und endgültig gelagert werden soll. Ein Endlager für hoch radioaktiv­e Abfälle gibt es nicht, weder in Deutschlan­d noch sonst wo auf der Welt. Stattdesse­n behilft man sich vorerst mit dezentrale­n Zwischenla­gern an den Kraftwerks­standorten.

Doch ohne Endlager geht es nicht. Denn nicht nur die abgebrannt­en Brenneleme­nte, sondern vor allem der hoch radioaktiv­e Schutt, der beim Abbau der Reaktoren anfällt, muss so entsorgt werden, dass keine Gefahr für die Menschheit und die Natur ausgeht – und das für den unvorstell­baren Zeitraum von einer Million Jahre. Gibt es überhaupt einen derart sicheren Ort in der dicht besiedelte­n Bundesrepu­blik? Und welche geologisch­e Formation – Salz, Granit oder Ton – erfüllt nach derzeitige­m wissenscha­ftlichen Erkenntnis­stand diese Bedingung? Zwei Jahre lang erarbeitet­e eine vom Bundestag eingesetzt­e Kommission ein Konzept zur Suche nach einem geeigneten Standort und zeigte den weiteren Weg auf. Sie favorisier­t keine Formation, schließt aber auch keine aus, auch nicht den Salzstock Gorleben, was Umweltverb­ände und die Atomkraftg­egner im Wendland heftig kritisiere­n.

Bundestag und Bundesrat sollen nach den Empfehlung­en der Kommission die Kriterien für ein Endlager gesetzlich festlegen, danach soll die wissenscha­ftliche Untersuchu­ng möglicher Standorte beginnen, Anwohner, betroffene Gemeinden und Umweltverb­ände sollen Klagemögli­chkeiten erhalten.

Auch wenn dieses komplizier­te und aufwendige Verfahren Jahrzehnte dauern wird, auf den größtmögli­chen Konsens ausgelegt ist und eine Lösung in einem mehrstufig­en, demokratis­ch und rechtsstaa­tlich abgesicher­ten Verfahren anstrebt, ist weiterer Streit vorprogram­miert. Niemand will zum „Atomklo“Deutschlan­ds werden, niemand will die strahlende Müllkippe in seiner Nachbarsch­aft haben. So fürchten Bayern und Sachsen, dass auch die insbesonde­re in ihren Landen vorkommend­en Granitform­ationen infrage kommen könnten und kritisiere­n schon mal lautstark die Kriterien. Dabei sind Schweden und Finnland gerade dabei, ihren Atommüll in Granitgest­ein einzulager­n.

So kommt, wie nicht anders zu erwarten, erneut das berühmte Sankt-Florians-Prinzip zur Geltung. Der Atomfriede­n währte nur kurz. Jeder winkt ab und weist auf den anderen. Einen gesellscha­ftlichen Konsens wird es nie geben. Selbst wenn man noch so viele Kommission­en einsetzt, irgendwann muss entschiede­n werden. Eine Region wird es treffen.

Der Müll ist da und löst sich nicht in Luft auf. Mag auch in sechs Jahren kein Atomstrom mehr produziert werden, ein Ende des Atomzeital­ters ist noch lange nicht in Sicht. Von den Kosten ganz zu schweigen. Womit sich das Loblied vom angeblich so billigen, sauberen und technisch beherrschb­aren Atomstrom endgültig als MegaBluff erwiesen hat. Dieses Erbe wird die Republik so schnell nicht los.

Einen Konsens der Gesellscha­ft wird es nie geben

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