Augsburger Allgemeine (Land West)
Deutschland braucht ein Endlager, doch niemand will Atomklo werden
Leitartikel In sechs Jahren ist Schluss mit der Kernenergie. Doch das strahlende Erbe bleibt. Bei der Suche nach einem Standort gilt das bewährte Sankt-Florians-Prinzip
In sechs Jahren ist Schluss. Spätestens am 31. Dezember 2022 müssen die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen. So hat es der Bundestag mit großer Mehrheit vor fünf Jahren unter dem Eindruck der Atomkatastrophe von Fukushima beschlossen. Dann wird in Deutschland, das zu Beginn des Jahrtausends noch 19 kommerziell genutzte Kernkraftwerksblöcke hatte, kein Strom mehr aus der kontrollierten Spaltung von schweren Atomkernen gewonnen.
Zu Ende ist das Atomzeitalter in Deutschland damit allerdings noch lange nicht. Die strahlende Hinterlassenschaft dieser kurzen Epoche wird Politik und Gesellschaft weiter beschäftigen und für reichlich Zündstoff sorgen. Denn noch immer ist ungeklärt, wo der radioaktive Müll dauerhaft und endgültig gelagert werden soll. Ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle gibt es nicht, weder in Deutschland noch sonst wo auf der Welt. Stattdessen behilft man sich vorerst mit dezentralen Zwischenlagern an den Kraftwerksstandorten.
Doch ohne Endlager geht es nicht. Denn nicht nur die abgebrannten Brennelemente, sondern vor allem der hoch radioaktive Schutt, der beim Abbau der Reaktoren anfällt, muss so entsorgt werden, dass keine Gefahr für die Menschheit und die Natur ausgeht – und das für den unvorstellbaren Zeitraum von einer Million Jahre. Gibt es überhaupt einen derart sicheren Ort in der dicht besiedelten Bundesrepublik? Und welche geologische Formation – Salz, Granit oder Ton – erfüllt nach derzeitigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand diese Bedingung? Zwei Jahre lang erarbeitete eine vom Bundestag eingesetzte Kommission ein Konzept zur Suche nach einem geeigneten Standort und zeigte den weiteren Weg auf. Sie favorisiert keine Formation, schließt aber auch keine aus, auch nicht den Salzstock Gorleben, was Umweltverbände und die Atomkraftgegner im Wendland heftig kritisieren.
Bundestag und Bundesrat sollen nach den Empfehlungen der Kommission die Kriterien für ein Endlager gesetzlich festlegen, danach soll die wissenschaftliche Untersuchung möglicher Standorte beginnen, Anwohner, betroffene Gemeinden und Umweltverbände sollen Klagemöglichkeiten erhalten.
Auch wenn dieses komplizierte und aufwendige Verfahren Jahrzehnte dauern wird, auf den größtmöglichen Konsens ausgelegt ist und eine Lösung in einem mehrstufigen, demokratisch und rechtsstaatlich abgesicherten Verfahren anstrebt, ist weiterer Streit vorprogrammiert. Niemand will zum „Atomklo“Deutschlands werden, niemand will die strahlende Müllkippe in seiner Nachbarschaft haben. So fürchten Bayern und Sachsen, dass auch die insbesondere in ihren Landen vorkommenden Granitformationen infrage kommen könnten und kritisieren schon mal lautstark die Kriterien. Dabei sind Schweden und Finnland gerade dabei, ihren Atommüll in Granitgestein einzulagern.
So kommt, wie nicht anders zu erwarten, erneut das berühmte Sankt-Florians-Prinzip zur Geltung. Der Atomfrieden währte nur kurz. Jeder winkt ab und weist auf den anderen. Einen gesellschaftlichen Konsens wird es nie geben. Selbst wenn man noch so viele Kommissionen einsetzt, irgendwann muss entschieden werden. Eine Region wird es treffen.
Der Müll ist da und löst sich nicht in Luft auf. Mag auch in sechs Jahren kein Atomstrom mehr produziert werden, ein Ende des Atomzeitalters ist noch lange nicht in Sicht. Von den Kosten ganz zu schweigen. Womit sich das Loblied vom angeblich so billigen, sauberen und technisch beherrschbaren Atomstrom endgültig als MegaBluff erwiesen hat. Dieses Erbe wird die Republik so schnell nicht los.
Einen Konsens der Gesellschaft wird es nie geben