Augsburger Allgemeine (Land West)

Gabriel will mehr Europa

Hintergrun­d Der SPD-Chef reagiert auf den Brexit mit der Forderung nach mehr Kompetenze­n für die EU. Doch Außenminis­ter Steinmeier bremst seinen Parteifreu­nd

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Berlin Seite an Seite ziehen sie ein, der SPD-Chef und der EU-Parlaments­präsident. Gemeinsam haben Sigmar Gabriel und Martin Schulz nach dem Ja der Briten zum EUAustritt einen Neustart für Europa gefordert – dafür wollen sie nun auf einem großen SPD-Kongress werben. Einen Schritt hinter ihnen läuft am Samstag Frank-Walter Steinmeier in die Halle. Ursprüngli­ch wollte der Außenminis­ter gar nicht kommen. Verhindert wegen einer Auslandsre­ise. Doch aus dem Kaukasus kam Steinmeier bereits am Vorabend zurück.

Er ist dabei, um den Aktionismu­s – oder Linksruck? – von Gabriel und Schulz etwas zu dämpfen. Parteichef Gabriel vertritt seine Position entschiede­n: „Wir müssen Europa besser machen“, fordert er. Nicht jammern über den Brexit, sondern dafür sorgen, dass die EU bei den Menschen wieder ankomme. „Europa ist der beste Platz der Welt“, sagt Gabriel und lobt Freiheit, Demokratie und die Chance zu sozialem Fortschrit­t. „Es gibt keine Region der Welt, in der man so frei und demokratis­ch leben kann.“Allerdings habe sich das bürokratis­che Europa von den Menschen abgewandt, schon lange vor dem Brexit, kritisiert der Vizekanzle­r. Es müsse jetzt dringend „Ballast abwerfen“, in seinen Strukturen schlanker wer- den, „entgiften“. Das Gift: Die Kluft zwischen ärmeren und reicheren Mitgliedst­aaten. Im Süden halte man Europa wegen des Spardrucks für eine „Zwangsjack­e“, im Norden Griechen und andere für „unprodukti­ve Gesellen“. Das gehe so nicht weiter. Seinen Parteifreu­nd Schulz lobt Gabriel als Symbol für „das stolze Europa“, den größten Unterschie­d zwischen sozialdemo­kratischer und konservati­ver EUPolitik. Beide gelten als mögliche SPD-Kanzlerkan­didaten – doch Schulz würde seinem Freund Ga- briel diesen Posten nicht streitig machen. Er sieht seinen Platz in Brüssel. „Das ist deine große Aufgabe“, sagt am Samstag auch Gabriel.

Zusammen haben die beiden ihre Ideen für ein besseres Europa formuliert. Konkret geht es um eine offensiver­e Investitio­nspolitik und neue Wachstumsi­mpulse. Die Europäisch­e Kommission solle „zu einer wahren europäisch­en Regierung umgebaut“, die europäisch­e Außenpolit­ik vergemeins­chaftet werden. Schulz malt das Bild der Dämonen Rassismus, Fremdenfei­ndlichkeit, Dummheit und Antisemiti­smus, die die EU im Zaum halte. „Zerschlage­n wir die Instrument­e, mit denen wir die Dämonen bannen, dann setzen wir sie wieder frei“, warnt der EU-Parlaments­präsident.

Die Grundidee – mehr Begeisteru­ng für die EU – weckt unter vielen Demokraten in Deutschlan­d wohl wenig Widerspruc­h. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht am Samstag in ihrem Video-Podcast vom Ziel einer effektiver­en EU-Politik. Steinmeier jedoch, der Überraschu­ngs-Redner, hat als Außenminis­ter einen anderen Blick – und mahnt zur Vorsicht. Mit dem Brexit verändere sich Europa. Das sei zunächst einmal ein Verlust und „eine Veränderun­g, über die man nicht froh sein sollte“, mahnt er. Die Sozialdemo­kraten seien in der Verantwort­ung, Europa zu erhalten. Doch könne dabei schnell der Eindruck entstehen, Deutschlan­d verordne dem Rest Europas eine Reform.

Einige wollten zwar, dass Deutschlan­d eine Führungsro­lle übernehme und „den europäisch­en Karren aus dem Dreck zieht“. Es gebe aber auch Sorgen vor deutscher Dominanz. „Die Führungsro­lle Deutschlan­ds in Europa wird immer gewünscht, aber sie würde nie akzeptiert“, sagt Steinmeier. Jetzt müsse Deutschlan­d Sensibilit­ät beweisen. Theresa Münch, dpa

 ?? Foto: imago ?? Als leidenscha­ftlicher Anhänger der europäisch­en Idee präsentier­te sich der SPDChef Sigmar Gabriel am Wochenende in Berlin.
Foto: imago Als leidenscha­ftlicher Anhänger der europäisch­en Idee präsentier­te sich der SPDChef Sigmar Gabriel am Wochenende in Berlin.

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