Augsburger Allgemeine (Land West)
Neue Dimension des Terrors in Bangladesch
Hintergrund Die jüngste Eskalation löst weltweit Entsetzen aus. Die Regierung behauptet, dass nicht der Islamische Staat (IS), sondern lokale islamistische Extremisten die Tat begangen haben. Bei einem Anschlag in Bagdad war der Blutzoll noch höher
Dhaka/Bagdad Die Täter kamen am Abend, bewaffnet mit Gewehren, Sprengkörpern und Macheten. In den rund zehn Stunden, die sie das idyllisch gelegene Restaurant „Holey Artisan Bakery“in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka danach besetzt hielten, richteten sie ein Blutbad an. Am Morgen stürmten Polizei und Militär schließlich das bei Ausländern beliebte Lokal.
Die schreckliche Bilanz am Ende: Neben sechs der sieben Terroristen waren 20 der Geiseln und zwei Polizisten tot. Mindestens 18 der Opfer waren Ausländer, die meisten kamen aus Italien und Japan. Der Angriff löste einen weltweiten Aufschrei aus. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte die blutige Attacke ebenso wie die Regierungschefs Italiens und Japans, Matteo Renzi und Shinzo Abe. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zeigten sich entsetzt. Wohl noch nie ist der Welt das Terrorproblem Bangladeschs so bewusst geworden wie nach diesem Wochenende.
Die überwiegend muslimische Volksrepublik mit rund 160 Millionen Einwohnern leidet bereits seit Anfang 2013 unter einer Serie religiös inspirierter Morde – meist mit äußerster Brutalität ausgeführt. Doch mit dem Anschlag vom Wochenende hat der Terror eine neue Dimension erreicht. Keine der bisherigen Attacken war so koordiniert, so blutig und kostete so viele Menschen das Leben. Bisher waren die Opfer in der Regel einzelne säkulare Blogger, Religionskritiker oder Angehörige religiöser Minderheiten. Nun richtete sich der Angriff gegen ein gut besuchtes Restaurant, das ein beliebter Treffpunkt für Ausländer in Dhaka war. Augenzeugen zufolge hatten es die Täter vor allem auf ausländische Staatsbürger abgesehen.
Doch bisher tut die Regierung in Dhaka nur, was sie zuvor auch immer getan hat. Am Sonntag bestritt die Polizeiführung in Dhaka jegliche Verbindung der sieben Täter mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und machte stattdessen lokale Extremisten für die Angriffe verantwortlich. Fünf der Angreifer hätten bereits vor dem Anschlag als mutmaßliche Militante auf der Fahndungsliste der Polizei gestanden. Dagegen hatte die als gut informiert geltende US-Terrorbeobachtungsstelle Site noch in der Nacht zum Samstag gemeldet, der IS habe sich zu dem Anschlag bekannt. Das Verhalten der Regierung hat System. Immer häufiger wurden in den vergangenen Monaten die Attacken auf Einzelpersonen – und immer wieder sagte die politische Führung des Landes, lokale Militante seien dafür verantwortlich, angestachelt durch die Opposition. Auch die Tatsache, dass der IS und Al-Kaida für die meisten der Attacken die Verantwortung übernahmen, änderte nichts an dieser Strategie. Erst vor zwei Wochen ging ein umstrittener Großeinsatz der Polizei gegen Islamisten im ganzen Land zu Ende, bei dem mehr als 12 000 Menschen festgenommen wurden. „Die Behörden sind gegen die üblichen Verdächtigen vorgegangen, anstatt fokussiert zu ermitteln“, kommentierte Brad Adams, Asienchef von Human Rights Watch, die Aktion. „Das vermittelt wenig Vertrauen, dass die Morde aufhören.“
Was den jüngsten und bisher größten Anschlag angeht, sollte er recht behalten. Am Sonntag begannen die Ermittler in Bangladesch nach Angaben der Behörden mit der Aufklärungsarbeit. Seit dem frühen Morgen durchkämmte die Spurensicherung die inzwischen völlig abgeschirmte „Holey Artisan Bakery“. Was auch immer sie über die Täter herausfinden wird: Dieses Mal wird die Welt wahrscheinlich genauer hinschauen.
Auch aus dem Irak kamen am Sonntag traurige Nachrichten: Bei einem der blutigsten Terroranschläge in diesem Jahr sind in der Hauptstadt Bagdad mindestens 119 getötet worden. Die Autobombe explodierte am frühen Sonntagmorgen nur wenige Tage vor dem Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan in einem beliebten Einkaufsviertel. Mehr als 170 Menschen wurden bei der Detonation in dem Stadtteil Karada verletzt, wie das Innenministerium meldete. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannte sich im Internet zu der Tat und sprach von einem Selbstmordanschlag.
Fernsehbilder irakischer Sender zeigten ausgebrannte Autowracks und stark beschädigte Gebäude. In der Stellungnahme erklärte der IS, der Attentäter habe Schiiten angegriffen. Die sunnitische Terrormiliz sieht Schiiten als Abtrünnige an. Die IS-Erklärung konnte zunächst nicht verifiziert werden. Schon in der Vergangenheit hatte sich die Miliz zu zahlreichen Anschläge im Irak bekannt.