Augsburger Allgemeine (Land West)
Fische wandern mit einem blauen Punkt
Natur An der Iller läuft ein groß angelegtes Forschungsprojekt an. Der Wasserkraftbetreiber BEW möchte nämlich wissen, ob die aufwendig gebauten Fischtreppen an dem Fluss funktionieren
Legau Es ist ein beeindruckend großer Fisch. Die Bachforelle zappelt aufgeregt in der großen weißen Wanne. Oliver Born, Fischereifachberater des Bezirks Schwaben, hält sie mit beiden Händen fest. Schon hat sie einen blauen Punkt an der Bauchflosse. Tobias Epple hat ihn ihr mit einer Impfpistole, wie sie auch bei Menschen eingesetzt wird, unter die Unterhaut verpasst. Ohne Nadel und völlig schmerzfrei mit Druckluft, wie Born betont.
Das Ganze spielt sich an der Iller bei Legau (Kreis Unterallgäu) ab. Zwischen Altusried (Oberallgäu) und Lautrach haben die Bayerischen Elektrizitätswerke (BEW) fünf sehr aufwendige und mäandrierende Fischtreppen gebaut. Die längste ist über einen Kilometer lang. Nun möchte Ralf Klocke, Leiter Wasserbau bei BEW, wissen, wie „seine“Aufstiegshilfen bei den Fischen ankommen. Es gibt bislang noch kaum systematische Untersuchungen dazu. Diese sollen nun im Rahmen der Iller-Strategie 2020 durchgeführt und wissenschaftlich begleitet werden. Mit im Boot ist die Univer- Augsburg. Projektleiter ist Gewässerbiologe Epple, der darüber seine Doktorarbeit schreiben wird.
Obwohl die Fische die Markierung kaum spüren, gilt das Monitoring als Tierversuch und musste erst von der Regierung von Oberbayern genehmigt werden. Am 1. August geht es nun offiziell los. Jeder Fisch, der eine der fünf Fischtreppen zwischen Lautrach und Altusried hochschwimmt, landet über eine Reuse in einem etwa zwei auf sechs Meter großen Zählbecken. Es wird dann jeden Tag von Mitgliedern der örtlichen Fischereivereine kontrolliert – und das immerhin drei Jahre lang. Damit das möglichst stressfrei abläuft, wurde eine spezielle Hebeanlage konstruiert: Per Knopfdruck werden die Tiere auf Arbeitsebene hoch befördert.
Mit einem Kescher werden sie bequem aus dem Wasser genommen, wo sie vermessen und mit der Impfpistole markiert werden. In jedem Zählbecken an einer bestimmten Stelle: Bauchflosse links, rechts, Brustflosse links, rechts. Danach werden die Fische ins Oberwasser gesetzt, damit sie ihre Wanderung fortsetzen können. Die Ergebnisse werden in einem Formular dokumentiert. So weiß Epple, wo der Fisch aufgetaucht ist und ob er schon andere Fischpässe erfolgreich hochgewandert ist.
Born hält es für denkbar, dass irgendwann in Kempten ein Fisch gefangen wird, der im Jahr zuvor aufgrund seines blauen Punktes im Legauer Zählbecken dokumentiert wurde. Er hat Erfahrungen von der Günz, wo schon 1000 Fische markiert wurden. Einzelne Tiere haben dort fünf Staustufen passiert. Flusssität abwärts werden sie mit dem Hochwasser übers Wehr verdriftet. Diesen Kreislauf möchte Klocke nachvollziehen können.
Die europäische Wasserrahmenrichtlinie schreibt vor, dass Flüsse, die von Wasserkraftanlagen unterbrochen sind, für Fische und andere Lebewesen passierbar gemacht werden. BEW habe an den von ihr verantworteten Flussabschnitten die Durchgängigkeit hergestellt, sagt Klocke stolz. Doch nehmen die Fische diese Aufstiegshilfen auch an? Was muss besser gemacht werden? Das Forschungsprojekt an der Iller soll nun auf einer Länge von 30 Kilometern wegweisende Ergebnisse liefern, die auf andere Flüsse übertragbar sind.
Projektleiter Epple hat schon einen Sensationsfund gemacht: einen Huchen, 1,10 Meter lang. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die großzügig angelegten Fischtreppen gut angenommen werden. So haben beispielsweise in Legau Nasen im Kies abgelaicht. Das zeigt den Gewässerbiologen, dass die naturnahen Aufstiegshilfen Lebensräume aus zweiter Hand in der auf weiten Strecken strukturarmen Iller sein können. Borns Hoffnung ist, dass so auch strömungsliebende Fische wieder eine Zukunft haben.
Bei der Iller-Strategie 2020 geht es um eine nachhaltige Verbesserung der Gewässerökologie im Einklang mit der Stromerzeugung aus Wasserkraft. BEW setzt laut Klocke dabei auf ein umfangreiches Maßnahmenpaket, das beispielsweise naturnahe Fischwanderhilfen, die Aufweitung von Ufern und gezielte Wasserausleitungen aus den Flüssen umfasst.