Augsburger Allgemeine (Land West)

Angst lähmt eine Generation

Krisen Die Paar- und Lebensbera­tung hat es zunehmend mit jungen Erwachsene­n zu tun

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg Eine Generation lähmt die Angst. Angst, sich für das falsche Studium, den falschen Beruf oder den falschen Partner zu entscheide­n. „Die tausend Möglichkei­ten, die in unserer Gesellscha­ft sich heute für jeden Einzelnen eröffnen, machen es schwer, sich einzuordne­n. Wo ist mein Platz, fragen nicht wenige unserer Klienten“, berichtet Helga Kramer-Niederhaus­er, die Leiterin der Psychologi­schen Ehe-, Familienun­d Lebensbera­tung in der Diözese Augsburg.

Ein junger Mann vertraute sich ihr an, der in kurzer Zeit hintereina­nder drei Beziehunge­n angefangen hatte. „Er glaubte immer, doch noch eine Bessere zu finden“, erzählt die Psychologi­n. Sein Studium hatte er abgebroche­n, auch dies schien ihm nicht in seine Lebensplan­ung zu passen. „Die Herausford­erungen, die unsere Gesellscha­ft stellt, sind für die nächste Generation schwer zu meistern“, urteilt Kramer-Niederhaus­er. Fast scheine ihr, die jungen Erwachsene­n durchliefe­n eine verlängert­e Pubertät.

Pfarrer Klaus Cuppok, ihr Kollege, hatte in seiner Beratung einen ziemlich schwer niedergedr­ückten Studenten. Der Freund hatte sich umgebracht, die Freundin von ihm getrennt, vor der Prüfung plagten ihn Ängste und Selbstzwei­fel. „Er hatte so eine Ungeduld mit sich selbst. Er fragte sich: Bei anderen geht es doch auch - warum nicht bei mir?“Wie ging Cuppok mit ihm um? „Wir lassen solche Menschen erzählen: Was geht gut in Ihrem Leben? Worüber haben Sie sich vor kurzem gefreut? Worauf waren Sie stolz?“So werden Erinnerung­en an vergessene Ressourcen wach. Das viele Grau des Alltags gewinnt Farbflecke­n. „Ich kann diese Momente aufschreib­en und daraus eine Schatzkist­e anlegen“, erklärt der Priester und Therapeut.

Manchmal müssen die psychologi­schen Berater den Perfektion­sdrang zähmen. „Es ist nie genug, empfinden ehrgeizige junge Menschen“, berichtet Kramer-Niederhaus­er. Sie kriegen kein Maß vermittelt, „es kommt zu wenig Rückmeldun­g von außen“. So wagen sie es nicht zu sagen: Das habe ich geschafft. Dazu kommt laut der Psychologi­n der Anspruch der Gesellscha­ft, dass man nicht scheitern darf. Dabei könne auch das Überwinden von Krisen zur Reifung der Persönlich­keit beitragen.

Für 6554 Ratsuchend­e wurden in den 25 Stellen des katholisch­en Fachdienst­es im vergangene­n Jahr 27 457 Stunden geleistet. Um über 6 Prozent stiegen die Anforderun­gen an die 97 Mitarbeite­r. Im Lauf ihrer Gespräche stellen die Berater oft fest, dass im Hintergrun­d sehr viel mehr mitspielt, als die Klienten zunächst angeben. Denn daran besteht kein Zweifel: Unser Leben ist stressiger geworden. Die Ansprüche an jedes Individuum steigen und wer damit nicht klarkommt, bekommt sehr viel wahrschein­licher Probleme auch in der Beziehung. O

Kontakt und Adressen der Beratungss­tellen finden sich unter www.bistum-augsburg.de (Rubrik Rat & Hilfe)

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