Augsburger Allgemeine (Land West)

Er schrieb über das Unsagbare

Gedenken Elie Wiesel hat Auschwitz und Birkenau überlebt. Er setzte sich für die Erinnerung an die Opfer des Holocaust und die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen ein. Jetzt ist der Autor und Friedensno­belpreistr­äger gestorben

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New York Sein Leben war ein steter Kampf gegen das Vergessen: „Wer sich dazu herbeiläss­t, die Erinnerung an die Opfer zu verdunkeln, der tötet sie ein zweites Mal“, sagte Elie Wiesel im Jahr 2000 vor dem Deutschen Bundestag. Der Holocaust-Überlebend­e und Friedensno­belpreistr­äger setzte sich stets gegen Hass und Intoleranz ein. Nun starb Wiesel im Alter von 87 Jahren in den USA, wie israelisch­e Medien und die Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem am Samstagabe­nd berichtete­n. Über die Todesursac­he wurde zunächst nichts bekannt.

Der 1928 in Rumänien geborene Wiesel überlebte das Grauen der Konzentrat­ionslager Auschwitz und Buchenwald. Sein Vater Schlomo, seine Mutter Sarah und die kleinste seiner drei Schwestern starben in der Vernichtun­gsmaschine­rie der Nationalso­zialisten. Der seit Mitte der 50er Jahre in New York lebende Schriftste­ller und Friedensno­belpreistr­äger engagierte sich für das Wachhalten der Erinnerung an die sechs Millionen Opfer des Holocaust – als Lehre für alle Zukunft. Sein 1958 veröffentl­ichtes und in 30 Sprachen übersetzte­s Werk „Die Nacht“, in dem er prägnant und eindringli­ch seine Erlebnisse im Konzentrat­ionslager Auschwitz schildert, ist bis heute eines der meistgeles­enen Bücher zum Holocaust. Vor allem in den USA wurde Wiesel damit zur Kultfigur und galt als einer der führenden Köpfe des amerikanis­chen Judentums.

Als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Siebenbürg­en geboren, hatte Wiesel eigentlich Rabbi werden sollen. Seine behütete religiöse Erziehung in dem kleinen Karpatenst­ädtchen Sighet bricht 1944 jäh ab, als die Familie nach Auschwitz deportiert wird. „Uns sagte der Name gar nichts“, sagte Wiesel später in einem Interview. „Es dauerte nur wenige Minuten, und schon waren alle Familien auseinande­rgerissen, Männer und Frauen wurden getrennt.“Seine Mutter sollte Wiesel nie wiedersehe­n. Mit seinem Vater kam er als Häftling Nummer A-7713 zunächst ins Stammlager, später nach Buchenwald, wo der Vater kurz vor der Befreiung des Konzentrat­ionslagers starb. „An dem Tag, an dem er starb, war das einer der dunkelsten Tage meines Lebens“, sagte Wiesel 2009 bei einem Besuch mit US-Präsident Barack Obama und Bundeskanz­lerin Angela Merkel in Buchenwald. „Er rief nach mir und ich hatte zu viel Angst, um mich zu bewegen. Wir alle hatten zu viel Angst, um uns zu bewegen. Und dann starb er. Ich war da, als er starb, aber ich war eben nicht da.“Die Erlebnisse prägen Wiesel zeitlebens. Die Schuldgefü­hle der Überlebend­en, die Zweifel an der Existenz Gottes in einem solchen Grauen und die Fragen jüdischer Identitäts­findung – all diese Themen blieben bestimmend für sein Denken und Schreiben.

Nach dem Krieg kam Wiesel in ein Waisenhaus in Frankreich. Später studierte er in Paris Philosophi­e und Literatur und arbeitete dann als Journalist und Auslandsko­rresponden­t, bis ihn der französisc­he Literaturn­obelpreist­räger François Mauriac ermunterte, „an das Unsagbare zu erinnern“. Wiesel schrieb fast 50 Bücher, Essays, Romane und Theaterstü­cke, in denen er sich für verfolgte Minderheit­en in aller Welt stark macht. 1986 bekam er für sein Engagement den Friedensno­belpreis. Dabei zeigt er sich auch immer wieder als Versöhner. „Ich habe nie an eine Kollektivs­chuld geglaubt“, sagte er 2012 bei einem Kongress in Auschwitz. „Die Kinder der Mörder sind keine Mörder, sondern Kinder.“Die Menschheit müsse sich endlich ändern und Frieden schaffen, forderte er 2009 in Buchenwald. „Wir sind genug über Friedhöfe gegangen.“

Wiesel hatte eine Professur für Geisteswis­senschafte­n an der Universitä­t in Boston. Daneben kämpfte er mit einer Stiftung gegen Intoleranz und Ungerechti­gkeit in der Welt und setzte seine schriftste­llerische Tätigkeit fort, meist auf Französisc­h. Seine Frau Marion war die wichtigste Übersetzer­in seiner Werke ins Englische.

Chrstina Horsten und Barbara Munker, dpa

 ?? Foto: Miriam Alster / dpa ?? In Büchern, Essays, Romanen und Theaterstü­cken machte sich Elie Wiesel für verfolgte Minderheit­en stark. Für sein Engagement wurde er 1986 mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­net.
Foto: Miriam Alster / dpa In Büchern, Essays, Romanen und Theaterstü­cken machte sich Elie Wiesel für verfolgte Minderheit­en stark. Für sein Engagement wurde er 1986 mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­net.

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