Augsburger Allgemeine (Land West)
Strom der Heimatlosen
Donaufest-Jubiläum mit „Treibgut“
Ulm Das Bild passt zur Donau, aber es passt auch zur europäischen Gegenwart: Treibgut, das sich an einem Stauwehr sammelt, bis der Druck zu groß wird – und sich die Blockade löst. Bei „Treibgut“, seiner Jubiläumsproduktion zur zehnten Ausgabe, profitiert das Internationale Donaufest Ulm/Neu-Ulm von der politischen Lage. Wer denkt bei diesem Bild nicht an Flüchtlingsströme, die sich angeblich über den Kontinent ergießen, oder an die aufgestaute Wut der Unzufriedenen, die sich Bahn bricht in Hass gegen Fremde, Andersdenkende oder das politische System? Das künstlerische Team ist jedoch einen anderen Weg gegangen: „Treibgut“, das im Großen Haus des Theaters Ulm uraufgeführt wurde, ist eine Sinfonie der Heimatlosen. Doch die Inszenierung schiebt sich bisweilen träge wie ein großer Strom dem Ende entgegen.
Hinter dem Stück steht ein prominenter Name: Alexander Balanescu, erfolgreicher Geiger und Vermittler zwischen Klassik, Neuer Musik und Pop. Mit seinem Quartett wirkt der gebürtige Rumäne auch selbst mit – zusammen mit dem Philharmonischen Orchester der Stadt Ulm, dem Opernchor und den Solisten Maria Rosendorfsky (Sopran) und Thorsten Sigurdsson (Tenor). Dazu kommt die um neun Tänzer verstärkte Compagnie des Ulmer Ballettdirektors Roberto Scafati. Opernchef Matthias Kaiser fungiert bei diesem „choreografischen Musiktheater“als Regisseur, Dirigent ist Henrik Haas.
„Treibgut“verbindet repetitive und sich überlagernde Melodie- und Rhythmus-Muster der „Minimal Music“mit dezenten folkloristischen Einflüssen und nur zwischenzeitlich aufbrausender filmischer Dramatik. Es ist eher die träge Kraft des Flusses, die man in ihr zu spüren glaubt, als der sich aufbauende Druck an der Staumauer. Scafatis wogender Choreografie gelingt es dabei selten, einen Kontrapunkt zu der kreisenden Musik setzen: Es wird viel gegen das Stauwehr (Bühne: Marianne Hollenstein) angetanzt, doch die Explosion bleibt aus. Bei rund 100 Minuten Dauer stellt sich da nicht nur meditative Ruhe ein, sondern auch etwas Ungeduld.
„Treibgut“will viel, bleibt inhaltlich aber vage und künstlich. Denn das Stück behandelt auch noch die Unzulänglichkeit von Sprache und Namen. Das gipfelt in dem überraschenden Moment, wenn der aus einer jüdischen Familie stammende Balanescu (auf Englisch) davon berichtet, wie er zu seinem Namen kam und damit auch von der Verfolgung seiner jüdischen Familie durch die Faschisten. Und dann sind da noch die beiden Solisten Rosendorfsky und Sigurdsson, die – als Großmutter und Baby verkleidet – inmitten all dieser Schwere, gewissermaßen als Pausenclowns, Volkslieder, KleinkindKonversationen und Zahlenfolgen im Walzertakt singen. Es gibt dankbarere Partien. Bei der Uraufführung gibt es trotzdem guten Applaus. Eine verdiente Anerkennung für ein ehrgeiziges Projekt, das sein Potenzial leider nicht ausschöpft. O
Termine 5., 7., und 8. Juli um 20 Uhr.