Augsburger Allgemeine (Land West)

Benedikt bringt Licht ins Dunkel

Kirche Gab es ein dubioses Schwulen-Netzwerk im Vatikan? Ja, sagt der zurückgetr­etene deutsche Papst in einem aufsehener­regenden Interviewb­and. Und er verrät noch einiges mehr

- VON DANIEL WIRSCHING

Augsburg Sommer 2013. Papst Franziskus ist erst wenige Monate im Amt – und sorgt, schon wieder, für Aufsehen. Es gebe ein Schwulen-Netzwerk im Vatikan, soll er gesagt haben. Medien in aller Welt berichten. Das Gerücht hält sich da bereits seit langem, der Vatikan dementiert. Zu groß wäre der Skandal, der öffentlich­e Aufschrei – wo die katholisch­e Kirche doch als regelrecht schwulenfe­indlich gilt.

Spekuliert wird damals sogar, der sensatione­lle Rücktritt des deutschen Papstes Benedikt XVI., der mit bürgerlich­em Namen Joseph Ratzinger heißt, im Februar 2013 habe etwas mit diesem SchwulenNe­tzwerk zu tun. Die römische Zeitung La Repubblica schreibt, drei Kardinäle hätten Benedikt einen Geheimberi­cht zur „Vatileaks“-Affäre um von seinem Schreibtis­ch gestohlene vertraulic­he Dokumente vorgelegt. Darin gehe es um „unsaubere Einflüsse“auf Mitglieder der Kurie und um ein übergreife­ndes, durch „sexuelle Ausrichtun­g“verbundene­s Netz von Lobbyisten mit Finanzinte­ressen. Um Verstöße gleich gegen mehrere Gebote.

Im Sommer 2013 rumort es im Vatikan noch immer. Und Gerhard Ludwig Müller, der umstritten­e konservati­ve Präfekt der mächtigen Glaubensko­ngregation, der oberste Glaubenshü­ter, sagt unserer Zeitung über die Existenz eines möglichen Schwulen-Netzwerks: Wo Beweise vorliegen, müssten die Konsequenz­en gezogen werden.

Man muss all das wissen, um abschätzen zu können, welche Wellen das folgende schlagen könnte: Der bald 90-jährige Benedikt bestätigt in einem Interviewb­and nun, dass es ein Schwulen-Netzwerk im Vatikan gab. Das behauptet der italienisc­he Vatikan-Experte Luigi Accattoli unter Berufung auf das im September erscheinen­de Buch „Benedikt XVI. – Letzte Gespräche“.

Es stammt vom deutschen Journalist­en Peter Seewald, der Benedikt bereits mehrfach interviewt hat. Am 9. September soll es im Münchner Verlag Droemer erscheinen, zurzeit befindet es sich „in Herstellun­g“. Accattoli zufolge war Benedikt XVI. während seiner Amtszeit von 2005 bis 2013 über eine „Schwulen-Lobby“von vier bis fünf Personen in Kenntnis gelangt. Er habe die Seilschaft nach ei- genen Angaben zerschlage­n. Dass es ganz offensicht­lich Homosexuel­le im Vatikan gibt, wurde spätestens am Beispiel Krzysztof Charamsas deutlich. Der Mitarbeite­r der Glaubensko­ngregation outete sich im Oktober 2015, wurde entlassen – und prangerte die katholisch­e Kirche an. Alle „schwulen Kardinäle, schwulen Bischöfe und schwulen Priester“sollten den Mut haben, „diese fühllose, unfaire und brutale Kirche zu verlassen“.

Der Droemer-Verlag selbst kündigt nichts weniger als eine Sensation an: „Erstmals in der Geschichte des Christentu­ms: Ein Papst zieht die Bilanz seiner Amtszeit.“Die Interviews mit Benedikt, schreibt Seewald im Vorwort seines Buches, seien kurz vor und nach dessen Rücktritt als Hintergrun­dgespräch für die Arbeit an einer Biografie geführt worden. Sie seien von Benedikt gelesen und freigegebe­n worden.

„Nie zuvor“habe der so offen über die Hintergrün­de seiner überrasche­nden Demission gesprochen, wirbt Droemer. Verlagsgek­lingel? Benedikt gibt tatsächlic­h tiefe Einblicke. Er nennt sich ein „armseliges Männlein“, spricht von seinen Glaubenspr­oblemen, seiner Angst vorm Sterben oder sagt, dass er sein „wohl endgültige­s Testament festgelegt“habe. Zudem stellt er – nochmals – klar, nicht auf Druck, sondern aus Altersgrün­den zurückgetr­eten zu sein. Und er soll mangelnde Härte beim Regieren eingeräumt haben. „Vielfach wirkte das Verhalten der Brüder im Bischofsam­t und von Teilen des vatikanisc­hen Apparates wie Verweigeru­ng. Unterlasse­ne Hilfeleist­ung war es allemal“, schreibt Seewald im Vorwort, in dem er Benedikt gegen die verbreitet­e Ansicht verteidigt, ein schwacher Papst gewesen zu sein.

Eine Mitschuld an diesem Bild trägt, so Seewald, „das pausenlose Papst-Bashing führender Pressehäus­er“. Das Bild, das Seewald zeichnet, ist dagegen das eines Intellektu­ellen, Demütigen („Sogar Verräter ertrug er“), Missversta­ndenen und Verkannten, dessen Bemühen, gegen den „Schmutz“(Benedikt) in der Kirche vorzugehen, nicht die gebührende Anerkennun­g fand. Es geht ihm um eine Image-Korrektur.

Ob sie gelingt? Zumindest eines steht fest: Dass Buch wird für Diskussion­en sorgen – und möglicherw­eise Benedikts letzte große Botschaft an die Welt sein.

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