Augsburger Allgemeine (Land West)
Benedikt bringt Licht ins Dunkel
Kirche Gab es ein dubioses Schwulen-Netzwerk im Vatikan? Ja, sagt der zurückgetretene deutsche Papst in einem aufsehenerregenden Interviewband. Und er verrät noch einiges mehr
Augsburg Sommer 2013. Papst Franziskus ist erst wenige Monate im Amt – und sorgt, schon wieder, für Aufsehen. Es gebe ein Schwulen-Netzwerk im Vatikan, soll er gesagt haben. Medien in aller Welt berichten. Das Gerücht hält sich da bereits seit langem, der Vatikan dementiert. Zu groß wäre der Skandal, der öffentliche Aufschrei – wo die katholische Kirche doch als regelrecht schwulenfeindlich gilt.
Spekuliert wird damals sogar, der sensationelle Rücktritt des deutschen Papstes Benedikt XVI., der mit bürgerlichem Namen Joseph Ratzinger heißt, im Februar 2013 habe etwas mit diesem SchwulenNetzwerk zu tun. Die römische Zeitung La Repubblica schreibt, drei Kardinäle hätten Benedikt einen Geheimbericht zur „Vatileaks“-Affäre um von seinem Schreibtisch gestohlene vertrauliche Dokumente vorgelegt. Darin gehe es um „unsaubere Einflüsse“auf Mitglieder der Kurie und um ein übergreifendes, durch „sexuelle Ausrichtung“verbundenes Netz von Lobbyisten mit Finanzinteressen. Um Verstöße gleich gegen mehrere Gebote.
Im Sommer 2013 rumort es im Vatikan noch immer. Und Gerhard Ludwig Müller, der umstrittene konservative Präfekt der mächtigen Glaubenskongregation, der oberste Glaubenshüter, sagt unserer Zeitung über die Existenz eines möglichen Schwulen-Netzwerks: Wo Beweise vorliegen, müssten die Konsequenzen gezogen werden.
Man muss all das wissen, um abschätzen zu können, welche Wellen das folgende schlagen könnte: Der bald 90-jährige Benedikt bestätigt in einem Interviewband nun, dass es ein Schwulen-Netzwerk im Vatikan gab. Das behauptet der italienische Vatikan-Experte Luigi Accattoli unter Berufung auf das im September erscheinende Buch „Benedikt XVI. – Letzte Gespräche“.
Es stammt vom deutschen Journalisten Peter Seewald, der Benedikt bereits mehrfach interviewt hat. Am 9. September soll es im Münchner Verlag Droemer erscheinen, zurzeit befindet es sich „in Herstellung“. Accattoli zufolge war Benedikt XVI. während seiner Amtszeit von 2005 bis 2013 über eine „Schwulen-Lobby“von vier bis fünf Personen in Kenntnis gelangt. Er habe die Seilschaft nach ei- genen Angaben zerschlagen. Dass es ganz offensichtlich Homosexuelle im Vatikan gibt, wurde spätestens am Beispiel Krzysztof Charamsas deutlich. Der Mitarbeiter der Glaubenskongregation outete sich im Oktober 2015, wurde entlassen – und prangerte die katholische Kirche an. Alle „schwulen Kardinäle, schwulen Bischöfe und schwulen Priester“sollten den Mut haben, „diese fühllose, unfaire und brutale Kirche zu verlassen“.
Der Droemer-Verlag selbst kündigt nichts weniger als eine Sensation an: „Erstmals in der Geschichte des Christentums: Ein Papst zieht die Bilanz seiner Amtszeit.“Die Interviews mit Benedikt, schreibt Seewald im Vorwort seines Buches, seien kurz vor und nach dessen Rücktritt als Hintergrundgespräch für die Arbeit an einer Biografie geführt worden. Sie seien von Benedikt gelesen und freigegeben worden.
„Nie zuvor“habe der so offen über die Hintergründe seiner überraschenden Demission gesprochen, wirbt Droemer. Verlagsgeklingel? Benedikt gibt tatsächlich tiefe Einblicke. Er nennt sich ein „armseliges Männlein“, spricht von seinen Glaubensproblemen, seiner Angst vorm Sterben oder sagt, dass er sein „wohl endgültiges Testament festgelegt“habe. Zudem stellt er – nochmals – klar, nicht auf Druck, sondern aus Altersgründen zurückgetreten zu sein. Und er soll mangelnde Härte beim Regieren eingeräumt haben. „Vielfach wirkte das Verhalten der Brüder im Bischofsamt und von Teilen des vatikanischen Apparates wie Verweigerung. Unterlassene Hilfeleistung war es allemal“, schreibt Seewald im Vorwort, in dem er Benedikt gegen die verbreitete Ansicht verteidigt, ein schwacher Papst gewesen zu sein.
Eine Mitschuld an diesem Bild trägt, so Seewald, „das pausenlose Papst-Bashing führender Pressehäuser“. Das Bild, das Seewald zeichnet, ist dagegen das eines Intellektuellen, Demütigen („Sogar Verräter ertrug er“), Missverstandenen und Verkannten, dessen Bemühen, gegen den „Schmutz“(Benedikt) in der Kirche vorzugehen, nicht die gebührende Anerkennung fand. Es geht ihm um eine Image-Korrektur.
Ob sie gelingt? Zumindest eines steht fest: Dass Buch wird für Diskussionen sorgen – und möglicherweise Benedikts letzte große Botschaft an die Welt sein.