Augsburger Allgemeine (Land West)

Der stille Star

Jonas Hector Der Saarländer ist ein außergewöh­nlicher Typ mit einer ungewöhnli­chen Karriere

- VON ACHIM MUTH

Bordeaux Da stand er nun. Hände in den Hosentasch­en. Unsicherer Blick. Von der anderen Seite der hüfthohen Gitter im Keller des neuen Stadions ragte ihm ein Dickicht aus Armen mit Aufnahmege­räten ins Gesicht. Jonas Hector ist die Aufmerksam­keit der Journalist­en, so scheint es, fast peinlich. Der 26-Jährige vom 1. FC Köln stand einfach nur da, und wenn er sich tatsächlic­h gefreut hat, so hat er es sehr gut verborgen. „Was soll ich jetzt machen?“, fragte er in die Runde.

Wenn der gockelhaft­e Cristiano Ronaldo im Universum des Profifußba­lls die Sonne ist, dann ist Jonas Hector so etwas wie ein Zwergplane­t. Einer, der nicht gerne im Rampenlich­t steht und der in der Stunde seines bislang größten Erfolges Sätze sagt wie diesen: „Man sollte die anderen Spieler auch nicht einfach so hinten runterfall­en lassen.“

Er habe vielleicht den letzten Elfer verwandelt, „aber ohne den Manu wäre es dazu nicht gekommen und ohne diejenigen, die auch getroffen haben, ebenfalls nicht.“

Und doch ist der Aufstieg des Jonas Hector vom Dorfkicker zum Nationalsp­ieler eine fast märchenhaf­te Geschichte. Erst vor vier Jahren gelang ihm als damals 22-Jähriger unter Trainer Holger Stanislaws­ki der Sprung in den Profikader des 1. FC Köln, für den er davor zwei Spielzeite­n bei den Amateuren gekickt hatte. Entwachsen ist er keinem der vielen Jugendfußb­allinterna­te, sondern seinem Heimatvere­in aus Auersmache­r, einem 2500-Einwohner-Dorf im Saarland, direkt an der französisc­hen Grenze. Hier fing Hector das kicken an, hier läutete der Pfarrer die Kirchenglo­cken, als der bekanntest­e Sohn des Dorfes den entscheide­nden Elfmeter verwandelt hatte. Seine Jugend, seine Kumpels, Hector möchte dieses behutsame Reinwachse­n in den Profizirku­s nicht missen: „Ich habe als Teenager Fußball gespielt, weil es mir Spaß gemacht hat.“

Jonas Hector ist in der NachWM-Ära der Fixstern in der Mannschaft von Joachim Löw. Als einziger Spieler stand der Linksverte­idiger seit dem 25. März 2015 in sämtlichen 18 Spielen in der Anfangsfor­mation.

Im Elfermeter­schießen war „Schlaubi“, wie er wegen seiner Brille in Anlehnung an einen der Schlümpfe genannt wird, gar nicht vorgesehen. Doch Schuss um Schuss ging ins Land, ohne dass eine Entscheidu­ng gefallen wäre.

Und plötzlich war Jonas Hector an der Reihe: „Ich hatte nicht unbedingt damit gerechnet, noch dranzukomm­en“, sagte er. „Aber man kann sich das nicht immer aussuchen. Und wenn es so kommt, muss man das Herz in die Hand nehmen und antreten.“Also nahm Jonas Hector, der in den 90 Minuten schon das 1:0 durch Özil schön vorbereite­t hatte, sein Herz in beide Hände und schoss den Ball unter Buffon hindurch ins Netz.

Außer in der Jugend beim SV Auersmache­r hatte Hector noch nie einen Elfmeter geschossen. Nun schrieb er mit seinem ersten gleich ein kleines Kapitel deutscher Fußballges­chichte. „Es fühlt sich gut an“, sagte der Held wider Willen. „Im ersten Moment dachte ich, er hat ihn, dann war er doch drin – und dann ist einfach nur Freude.“

Bislang konnte Jonas Hector sein Leben als Fußballpro­fi im Stillen führen und nebenbei BWL studieren. Diese Nacht von Bordeaux könnte zu einem Wendepunkt werden. Soll man es ihm wünschen? „Ich bin“, sagt Hector, „mit meinem Leben bislang wirklich sehr zufrieden“.

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Foto: Vincenzo Pinto, afp Jonas Hector verwandelt­e den entscheide­nden Elfmeter.

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