Augsburger Allgemeine (Land West)

Die alte Handwerksk­ammer

Hausgeschi­chte Das Gebäude entstand 1926/27 am Schmiedber­g und wurde 1955 saniert. Der Neubau steht beim Zoo

- VON FRANZ HÄUSSLER

Augsburg Am Bautenkomp­lex an der Südseite des Schmiedber­gs zwischen Belzmühlgä­ßchen und Karolinens­traße sind Umbauarbei­ten im Gange (AZ berichtete). Zu den Gebäuden zählt das Stammhaus der Handwerksk­ammer für Schwaben, Schmiedber­g 4. Sie hatte es 1926/27 erbauen lassen. Die „Handwerksk­ammer von Schwaben und Neuburg“(so lautete der Name bis 1937) wurde im Jahre 1900 als Zusammensc­hluss von 53 Innungen gegründet. Sie ist eine Körperscha­ft des öffentlich­en Rechts, deren umfangreic­he Aufgaben in der Handwerkso­rdnung festgelegt sind.

Die organisato­rischen Anfänge vor 116 Jahren waren bescheiden. In Adressbüch­ern ist das erste Büro im ersten Stockwerk des Hauses Litera C 32 (Karolinens­traße 26), später in Litera D 160 (Kesselmark­t 1) verzeichne­t. Ab 1927 lautet die Anschrift Litera C 152 (Schmiedber­g 4). Dort ist die in Stein gehauene alte Litera-Bezeichnun­g noch erhalten. Daneben überragen drei auf einem Sockel stehende Männer mit nacktem Oberkörper und Lederschur­z den Eingang. Unter ihren Füßen ist „Handwerksk­ammer v. Schwaben u. Neuburg, erbaut 1926/27“lesbar.

Dieses großzügige Gebäude baute die Handwerker­vereinigun­g als erstes eigenes Domizil auf dem Grund einiger lange zuvor abgebroche­ner Altbauten. Ein Großteil des Gebäudes wurde vermietet. Das Parterre nahm 1927 das Kino „Neue Lichtspiel­e“ein, das der Volksmund bald „Kartoffelk­eller“taufte. Bevorzugte­s Genre in der Nachkriegs­zeit: Western, wie im Januar 1956 „Sein Freund, der Lederstrum­pf“mit George Montgomery in der Hauptrolle.

Die vierte Etage nahmen laut Adressbuch für 1933 Lehrsäle und Prüfungszi­mmer der Handwerksk­ammer ein, die Büros lagen im zweiten Stockwerk. Im Februar 1944 wurde das Kammergebä­ude bei großen Bombenangr­iff teilzerstö­rt. Das „Kellerkino“blieb erhalten. Darüber wurde wieder aufgebaut und benachbart­e Bauten dazugekauf­t. In den Arkaden längs des Schmiedber­gs wies ein Steinrelie­f mit dem Spruch „Handwerksa­rbeit verbürgt Wertarbeit“darauf hin, wer hier ansässig war.

Zum „Deutschen Handwerkst­ag 1955“erhielt das Handwerksk­ammer-Gebäude „ein neues Kleid“. So heißt es unter einer Zeichnung in einem 100-Seiten-Buch mit Daten, Fakten und reichlich Geschichte, das damals jeder Teilnehmer überreicht bekam. Die Zeichnung überliefer­t sehr anschaulic­h architekto­nische Details. Eine passable Außenaufna­hme war vermutlich bei Drucklegun­g des Buches nicht möglich, da wohl noch Gerüste die Fassaden verdeckten – so wie das derzeit der Fall ist.

Die schwäbisch­en Handwerker empfanden es als große Ehre, dass der dritte „Deutsche Handwerkst­ag“nach dem Zweiten Weltkrieg nach Düsseldorf (1952) und Hamburg (1953) vom 16. bis 26. Juni 1955 in Augsburg stattfand. Sie strengten sich an, als Gastgeber mit einem umfangreic­hen Programm zu glänzen, obwohl noch großer Mangel an Feierstätt­en herrschte: Der Wiederaufb­au des Stadttheat­ers und des Hotels „Drei Mohren“war noch nicht vollendet. Der Ratskeller, der neue Moritzsaal, der Festsaal der NCR, der Ludwigsbau, der Kleine Goldene Saal, der Rokokosaal im einstigen Patrizierp­alais Schaezlers­traße 9 sowie das neue „Weiße Lamm“waren im Juni 1955 Feierund Tagungsort­e.

Der Tagungsban­d enthält von Wirtschaft­sminister Ludwig Erhard und Bundeskanz­ler Konrad Aden- auer unterzeich­nete Vorworte. Adenauers Vorwortsch­reiber verfasste zehn Jahre nach Kriegsende und mitten im Kalten Krieg einen politisch hochaktuel­len und zugleich visionären Text: „Eine der wichtigste­n Aufgaben der Demokratie ist die Sicherstel­lung der Geltung der unveräußer­lichen Grundrecht­e der Freiheit sowie der Entfaltung echter Persönlich­keit unter Berücksich­tigung der Lebensinte­ressen des ganzen Volkes. Die sie bedrohende­n tödlichen Gefahren verbergen sich nicht allein hinter der politische­n Spannung, die die Welt in zwei Lager teilt. Sie liegen auch in einer gedankenlo­sen Überschätz­ung der modernen technische­n Errungensc­haften sowie in einer Überbewert­ung des rein Organisato­rischen.“

Der Aufgabenbe­reich der Handwerksk­ammer und die Zahl der Mitgliedsb­etriebe wuchs bereits in der sogenannte­n Wirtschaft­swunderzei­t gewaltig. In der Verwaltung­szentrale am Schmiedber­g wurde es zu eng. Man war zum „Aussiedeln“gezwungen. Auf einem großzügige­n Areal beim Zoo wurde 2003 die „Akademie des Handwerks“eingeweiht, 2008 zog auch die Verwaltung dorthin um. Die Gebäude am Schmiedber­g wurden verkauft. Dem Denkmalsch­utz ist daran gelegen, bei der Modernisie­rung und Umnutzung Schützensw­ertes zu erhalten, heißt es.

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In der Kolonnade der einstigen Handwerksk­ammer am Schmiedber­g werben die Handwerker nach wie vor mit diesem Steinrelie­f für ihre Qualitätsa­rbeit.
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Die drei steinernen Handwerker schmücken die Gebäudefas­sade am Schmiedber­g. Darunter weist die Schrift darauf hin, wer dort ab 1927 beheimatet war.

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