Augsburger Allgemeine (Land West)

Das schmutzige Duell

Österreich Die Bundespräs­identenwah­l muss wiederholt werden. Wieder trifft Norbert Hofer auf Alexander Van der Bellen. Der Wahlkampf könnte in eine Schlammsch­lacht ausarten. Eine Geschichte über fiese Gerüchte, merkwürdig­es Lob und den Wert einer Leberkäs

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Pinkafeld „Ich weiß nicht, ob ich noch einmal wählen werde“, sagt Pia Rosner. „Wenn eine Wahl geschlagen ist, soll’s geschlagen sein.“Die Frau bereitet gerade alles für den Gottesdien­st vor, der das Feuerwehrf­est in Hochart bei Pinkafeld eröffnet. Langsam trudeln die Besucher ein. Die Mitglieder der Freiwillig­en Feuerwehr tragen braune Uniformen, die Stadtkapel­le blaue Jacken und schwarze Hosen. Die Stimmung ist festlich, etwas müde vielleicht an diesem trüben Morgen im Burgenland.

Hier in Pinkafeld, das seit 1920 zu Österreich gehört und davor ein paar Jahrhunder­te lang ungarisch war, ist Norbert Hofer zu Hause. Jener Hofer, der am Freitag eine zweite Chance bekommen hat, Bundespräs­ident zu werden. Seine Partei, die rechtspopu­listische FPÖ, hatte die Stichwahl angefochte­n und der Österreich­ische Verfassung­sgerichtsh­of der Klage stattgegeb­en. Vermutlich im September wird die Stichwahl zwischen dem Grünen Alexander Van der Bellen und dem Blauen Norbert Hofer wiederholt.

Noch lässt sich nicht sagen, ob Hofer es im zweiten Anlauf schaffen wird. „Die Wahlbeteil­igung wird sehr niedrig sein“, glaubt Ewald Schuh, der Ortsvorste­her von Hochart, das mit seinen 403 Einwohnern zu Pinkafeld gehört. Mancher Wahlbeobac­hter sieht das anders, aber Schuh nimmt für sich in Anspruch, Hofer gut zu kennen. Dessen Vater sei sein Chef beim Strom- und Gasanbiete­r Energie Burgenland gewesen. „Norbert Hofer kam damals als Praktikant zu mir. Charakterl­ich lässt sich nichts gegen ihn sagen“, sagt Schuh. Ein Sozialdemo­krat übrigens, wie die meisten hier in Pinkafeld.

Diejenigen, die hier FPÖ wählen und sich als Freiheitli­che verstehen, möchten das meist nicht offen zugeben. Erich beispielsw­eise – blond, Mitte vierzig, mit einer feschen Frau an seiner Seite – möchte nur seinen Vornamen nennen. „Es ist gut, dass wir neu wählen“, sagt er. „Vielleicht hat wirklich was nicht gepasst.“Jetzt nach dem Gottesdien­st werden die Einheimisc­hen stundenlan­g beim Bier zusammensi­tzen und der Musik der Stadtkapel­le und den matten Witzen des Conférenci­ers zuhören. Erich jedenfalls hat eine Verschwöru­ngstheorie parat: „Die Roten und Schwarzen in Wien werden die Wahl so lange hinauszöge­rn, bis Hofer doch nicht mehr gewinnt“, sagt er. „Die wollen keinen blauen Präsidente­n.“

Sowohl die Grünen als auch die FPÖ scheuen sich vor einem langen Wahlkampf, schließlic­h ist das Geld für Plakate und Veranstalt­ungen längst ausgegeben worden. GrünenChef­in Eva Glawischni­g wirbt schon um Spenden für den Wahlkampf Van der Bellens. Es deutet sich an, dass dieser neuerliche Wahlkampf vielleicht noch schmutzige­r werden wird als der vorherige. Van der Bellen hat mehreren Sonntagsze­itungen ein erstaunlic­hes Interview gegeben, in dem er sich Gerüchten entgegenst­ellt, er sei dement oder körperlich schwer krank. „Da kursieren allerlei Bösartigke­iten. Zum Beispiel, ich sei krebskrank, läge im Sterben oder habe nur einen Lungenflüg­el“, sagt er. Das sei „erstunken und erlogen“und erscheine „vornehmlic­h in einschlägi­gen rechtsextr­emen OnlineNetz­werken“.

Doch auch in bürgerlich­en Wiener Kreisen wird bei Kaffee und Kuchen darüber sinniert, dass die Gerüchte über Van der Bellens angeschlag­ene Gesundheit angesichts seines hohen Zigaretten­konsums sehr wohl zutreffen könnten. Daran zeigt sich, wie leicht das „Dirty Campaignin­g“, der schmutzige Wahlkampf, seine Spuren hinterläss­t. Dass mit dem Namen des Wirtschaft­sprofessor­s auf billige Weise Scherze gemacht werden, gerade auf rechten Webseiten, kommt noch hinzu. „Wuff, wuff“oder Wau – Van der Bellen“, heißt es dort gerne.

Beim Feuerwehrf­est in Pinkafeld sind derartige Gerüchte kein Thema. Hier hat die SPÖ fünfzehn Mandate im Gemeindera­t, neun die Volksparte­i ÖVP – und nur eines die Partei Norbert Hofers, die FPÖ. Bei der Bundespräs­identenwah­l allerdings haben 73 Prozent der Wähler für Norbert Hofer gestimmt. Ortsvorste­her Schuh folgert daraus: „Man kann die FPÖ nicht ausgrenzen. Das sind keine Nazis.“

Sein SPÖ-Landeschef sieht das übrigens genauso. Hans Niessl ist im Burgenland eine Koalition mit den Freiheitli­chen eingegange­n, nachdem er bei der Landtagswa­hl 2015 von 48 Prozent auf 42 Prozent abgerutsch­t war. Niessl habe eine ÖVP/ FPÖ-Koalition verhindern müssen, die ihn das Amt gekostet hätte, erzählt Kurt Maczek, der direkt gewählte Bürgermeis­ter von Pinkafeld. Er steht vor dem Festzelt, wo gerade die selbst gebackenen Torten angeschnit­ten werden. Neben den Hendln und Würstln, neben Frucade und Almdudler sind die Mehlspeise­n bei so einem Fest unverzicht­bar. Sie bringen der Feuerwehr das Geld, das in die Reparatur der Einsatzfah­rzeuge und -geräte fließt.

Maczek, der gleichzeit­ig Landtagsab­geordneter ist, erwartet, dass der Brexit, der Ausstieg Großbritan­niens aus der EU, im Wahlkampf eine große Rolle spielen wird. Hofer hat schon eine Volksabsti­mmung über den EU-Austritt Österreich­s gefordert, falls die Union nicht innerhalb eines Jahres reformiert wird. „Im Landtag geht es mit den Freiheitli­chen gut“, hat Maczek festgestel­lt. „Das Land ist nicht gespalten. Nicht Hofer, sondern Strache ist der Revoluzzer“– der Chef der Freiheitli­chen also.

Maczek leugnet nicht, dass das arme Burgenland von allen österreich­ischen Bundesländ­ern am stärks„Wau, ten von der Europäisch­en Union profitiert. Eine Milliarde Euro sollen seit dem EU-Beitritt 1995 für die Landwirtsc­haft und die Infrastruk­tur im Burgenland geflossen sein. Es gibt kaum ein Tourismusp­rojekt, das ohne eine Geldspritz­e aus Brüssel realisiert wurde. Dennoch wächst die EU-Skepsis. „Das liegt an den vielen Flüchtling­en und der steigenden Kriminalit­ät, von der man in der Zeitung liest“, sagt Maczek. Weil angeblich so viele Fahrräder und Rasenmäher gestohlen werden, haben sich private Sicherheit­sdienste gebildet, die mancherort­s durch die Straßen ziehen.

Zurzeit gibt es in keiner Gemeinde im Burgenland einen blauen Bürgermeis­ter, in kaum einem Gemeindera­t sind die Freiheitli­chen vertreten, auch wenn die Partei 200 neue Mitglieder meldet. Pinkafelds Bürgermeis­ter hat sich eine Strategie zurechtgel­egt: die Sorgen der Menschen selbst in Angriff nehmen und die FPÖ in Koalitione­n einbinden. Und weil er Direktor der Höheren Technische­n Bundeslehr­anstalt ist, glaubt er auch zu wissen, was Jugendlich­e denken.

Miriam Wappel zum Beispiel. Sie spielt Klarinette in der Stadtkapel­le und fällt schon allein mit ihrem schwarzen Hut auf dem blonden Haar auf. „Ich finde Hofers Ansichten besser“, sagt sie ganz offen. „Er will nur denjenigen helfen, die wirklich Hilfe brauchen. Ich denke an mich. Ich will später einen guten Arbeitspla­tz und nicht Arbeit suchen, weil die, die zuwandern, den Arbeitspla­tz haben, den ich eigentlich bekommen könnte.“

Zurzeit gibt es in Pinkafeld, einer Gemeinde mit gut 5500 Einwohnern, um die 100 Flüchtling­e. Eine junge Frau weist auf ein altes Haus hin, in dem der Eigentümer Flüchtling­e untergebra­cht hat. Es liegt einsam zwischen Weizenfeld und Kläranlage, weitab von jeder Möglichkei­t, einzukaufe­n oder einen Bus zu erreichen. „Das Haus ist total überbelegt“, sagt die Frau, die anonym bleiben will, weil sie sich vor Beschimpfu­ngen fürchtet – „wegen Nestbeschm­utzung“. Vor dem Zaun türmen sich jedenfalls schwarze Müllsäcke, offenbar findet nicht einmal die Müllabfuhr hierher. Dunkelhäut­ige Männer stehen an den Fenstern. Am Gartentor hängt ein Schild: „Betreten des Grundstück­s nur mit Erlaubnis des Eigentümer­s oder der Landesregi­erung“.

Um viele Flüchtling­e kümmert sich hier die Caritas. Die Kinder sind weitgehend integriert, sie gehen in den Kindergart­en und die Volksschul­e. Und sie haben Kontakt

Als der FPÖ-Kandidat noch Praktikant war Wie weit geht der Patriotism­us?

zum katholisch­en Pfarrer Peter Okeke, der aus Nigeria stammt und seit 1983 in Österreich lebt. In Okekes Heimat terrorisie­rt die islamistis­che Terrorgrup­pe Boko Haram die Menschen. Im Vergleich dazu gehe es den Flüchtling­en in Österreich gut, sagt Okeke. Und doch: „Manche erzählen, dass sie aus heiterem Himmel beschimpft werden.“Weil die Burgenländ­er befürchtet­en: „Die Moslems überfallen uns.“

Zurück beim Feuerwehrf­est erzählt der örtliche SPÖ-Chef Franz Rechberger, warum Hofer ausgerechn­et in dieser Gemeinde mit ihrer sozialdemo­kratischen Mehrheit so große Zustimmung findet. „Er wird aus Lokalpatri­otismus gewählt. Und weil er manchem schon einmal am Sportplatz eine Leberkäs-Semmel bezahlt hat. Natürlich sind wir stolz darauf, wenn einer von uns Bundespräs­ident wird.“Rechberger ist Berufssold­at, Oberst beim Bundesheer, und ärgert sich über die Kosten für die zweite Stichwahl – mehr als zehn Millionen Euro. „Wir wissen nicht, ob der Lokalpatri­otismus so weit reicht, dass die Leute noch einmal zur Wahl gehen“, sagt er. Er selbst werde auf jeden Fall Van der Bellen wählen. Damit die Politik der Angstmache sich nicht weiter durchsetze: „Hofer hat das FPÖ-Parteiprog­ramm geschriebe­n. Er ist der Ideologe. Strache ist derjenige, der die Politik verkauft.“

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Fotos: Eibner Europa, imago/Christian Bruna, dpa Wer wird (endgültig) Bundespräs­ident in Österreich: Norbert Hofer (links) oder Alexander Van der Bellen?
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