Augsburger Allgemeine (Land West)

Warum die Bundespräs­identenwah­l wiederholt wird und wie es jetzt weitergeht

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nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs musste eine Wahl in Österreich landesweit wiederholt werden. Die Bürger sind nach einem Urteil des Verfassung­sgerichts vom vergangene­n Freitag nochmals an die Urnen gerufen, um ihren Präsidente­n zu wählen. Der von den Grünen unterstütz­te Alexander Van der Bellen, 72, hatte die Stichwahl im Mai mit knappem Vorsprung von etwas über 30 000 Stimmen gegen den Kandidaten der rechtspopu­listischen FPÖ, Norbert Hofer, 45, gewonnen. Wie sieht der weitere Fahrplan aus? ● Was hat das Gericht kritisiert? Entscheide­nd für die Aufhebung der Stichwahl war die ungesetzmä­ßige von fast 78 000 Briefwahls­timmen. In 14 Wahlbezirk­en wurden die Wahlkarten außerhalb einer Sitzung der Bezirkswah­lbehörde geöffnet. Außerdem waren in einigen Fällen unbefugte Personen bei der Auszählung tätig. So habe es die Möglichkei­t einer Manipulati­on gegeben, auch wenn diese nicht nachgewies­en wurde. Juristisch reicht es für eine Wahlwieder­holung aus, die theoretisc­he Möglichkei­t nachzuweis­en. Außerdem rügten die Richter, dass die Behörden Teilergebn­isse an Medien und Forschungs­institute vorzeitig weitergabe­n. Das ist ein Vorgehen, das seit Jahrzehnte­n in Österreich üblich ist. Die Medien könnten diese InformaNoc­h tionen aber schnell im ganzen Land verbreiten und damit das Ergebnis beeinfluss­en, so das Gericht. ● Wie reagierten die Betroffene­n? Norbert Hofer zeigte sich erleichter­t: „Ich bin froh, dass der Verfassung­sgerichtsh­of eine sehr schwierige Entscheidu­ng objektiv getroffen hat.“Das Team von Alexander Van der Bellen gab sich kurz nach der Verkündung siegessich­er. Es akzeptiere die Entscheidu­ng und stelle erneut eine „große, österreich­weite Bürgerwahl­bewegung auf die Beine“, sagte Wahlkampfm­anager Lothar Lockl. ● Hat sich die FPÖ auf die Anfechtung vorbereite­t? Sie sagt Nein – und tritt damit SpekulaAus­zählung tionen entgegen, dass sie eine entspreche­nde Strategie für den Fall einer Niederlage hatte. Erst zwei Tage nach der Stichwahl habe es einen ersten Kontakt zwischen der FPÖ und den Anwälten gegeben. „Keine Sekunde vorher“, sagte FPÖ-Anwalt Dieter Böhmdorfer. ● Wieso hatten auch FPÖ-Beisitzer in der Wahlkommis­sion zunächst den korrekten Ablauf festgestel­lt? Sie berufen sich auf eine verbreitet­e Haltung unter den Beisitzern: Es wird schon alles korrekt gelaufen sein, Abweichung­en im Ablauf seien immer möglich. Erst auf konkrete Nachfrage ihrer Partei seien ihnen die Rechtsvers­töße wirklich bewusst geworden. ● Was passiert jetzt? Die drei Präsidente­n des Nationalra­ts übernehmen kommissari­sch das Amt des Bundespräs­identen. Dazu gehört pikanterwe­ise auch der FPÖ-Kandidat Hofer. Als mögliche Neuwahl-Termine gelten der 25. September und der 2. Oktober. ● Wie sieht der Wahlkampf aus? Die Kassen beider Lager sind geleert. Niemand hat mit einer Wahlwieder­holung gerechnet. Auch die Positionen der beiden Kandidaten sind in den vergangene­n Monaten auf alle Arten abgeklopft worden. Bei den Bürgern droht Frust, nochmals einen Wahlkampf erleben zu müssen. Trotzdem kündigten die Fernsehsen­der an, erneut das ganze Wahlprogra­mm mit allen möglichen TV-Duellen fahren zu wollen. ● Wer profitiert mehr von einer Neuwahl? Wenn im Herbst neu gewählt wird, stehen die Chancen gut, dass beide Kandidaten viele ihrer Anhänger erneut motivieren können. Die einen wollen den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer im zweiten Anlauf ins Amt hieven, die anderen den bisherigen Sieger nicht in einem juristisch­en Verfahren um das Amt gebracht sehen. Entscheide­nd dürfte aber die politische Großwetter­lage sein: Ist die EU mehr denn je in der Krise, wie steht es in der Flüchtling­sfrage, hat Österreich beim Asyl bereits den „Notstand“ausgerufen? (dpa)

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